Torsten Maul über Psychoanalyse: „Malen hat mit Selbsterkenntnis zu tun“
Torsten Maul ist Psychoanalytiker und malt Bilder mit Eierschalen und Menschenhaar. Ein Gespräch über die Parallelen von Kunst und Psychoanalyse
taz: Herr Maul, sind Sie ein Künstler, der sein Geld als Psychoanalytiker verdient, oder andersherum?
Torsten Maul: Es entwickelte sich so, dass ich am Anfang deutlich mehr Arzt war, und mich nun zunehmend mit Kunst und anderen Dingen beschäftige. Aber der Beruf ist der Beruf, und ich habe auch nicht vor, in den Kunstbetrieb einzusteigen. Das befreit mich auch, denn ich muss damit kein Geld verdienen.
Was für eine Kunst machen Sie?
Ich male schon immer. Ich habe mich früher mit kleinformatiger Ölmalerei beschäftigt, also in Postkartengröße. Auch da ging es schon darum, die dabei entstehenden Assoziationen im Malprozess mit einfließen zu lassen. Das hat ja auch mit meinem Beruf zu tun, in dem ich assoziieren, Nicht-Gesagtes erspüren und Worte dafür finden muss, was dann eine Emotion ausdrückt, eine Frage aufwirft oder Spannung erzeugt. 2013 war ich in Vietnam unterwegs, da habe ich dann die Lackmalerei kennengelernt.
55, ist Psychoanalytiker und Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. In seiner Freizeit organisiert er den Psychoanalytischen Salon und malt.
Wie funktioniert die?
Es gibt einen Bildträger und eine anfängliche Idee, dann überlege ich, welche Materialien ich verwenden will: Eierschalen, Blattgold oder -silber, Silberstaub, Perlmuttstaub, also lauter Naturmaterialien. Es werden Schichten mit verschieden gefärbtem Lack übereinander angelegt und durch Nassschleifen hole ich übermalte Teile wieder hervor. Dann wird poliert, und danach kommen wieder mehrere Schichten drauf und so weiter. Bis am Ende ein möglichst glattes Bild entsteht. Zum Schluss kommt eine dünne Lackschicht ohne Pigmente darüber. Diese wird mit nassem Holzkohlestaub eingerieben und mit der Handfläche poliert. Allein das Polieren dauert oft mehrere Tage, das hat also etwas sinnlich Meditatives: Man sitzt da, streichelt das Bild und erst mal passiert nichts, dann beginnen die Farben zu leuchten.
Spiegelt sich in ihrer Kunst die Psychoanalyse wider?
Beim Psychischen ist es ja auch so, dass viele Schichten übereinander liegen. Man hat früher etwas gelernt, man weiß, was gut und schlecht ist und was wie schmeckt. Insofern hat diese Schichtung, das Wiederwegnehmen und dann wieder etwas Drauftun bei den Bildern schon eine Entsprechung in meiner analytischen Arbeit. Zum Beispiel kommt irgendwas von früher hoch, wie eine Traurigkeit, und versenkt sich wieder, und es kommt etwas anderes drüber. Insofern hat das Technische der Lackmalerei schon viel mit meiner Arbeit zu tun.
Tatsächlich das Technische und nicht das Interpretative am Bild?
Ich beschäftige mich beruflich viel mit Träumen, und manche Bilder haben auch etwas Traumhaftes, also etwas sehr frei zu Interpretierendes. Ein gutes Bild ist für mich, wenn Leute dazu unterschiedliche Interpretationen haben können.
Sie sagten, manche Bilder haben auch etwas Traumhaftes, weil sie so frei sind. Macht Ihre Kunst auch Sie persönlich frei?
Das ist auf jeden Fall so. Ich durchlebe dabei ganz verschiedene Zustände. Mal bin ich ganz verzweifelt, weil es nicht vorangeht, weil ich keine Idee habe. Und dann wird es plötzlich ganz aufregend, weil irgendwie klar wird: Jetzt entwickelt sich etwas. Meist weiß ich nicht, was, das sind intuitive Impulse. Ich erlebe das als kreative Freiheit.
Also ist es auch in gewisser Weise eine Selbsttherapie?
Selbsttherapie würde ich es nicht nennen, aber das Malen hat viel mit Selbsterkenntnis zu tun, denn es hat auch etwas Klärendes für mich, nicht nur im Bezug auf das Bild, sondern auch auf meine Befindlichkeit. Das kann man ja hinterher auch sehen: Plötzlich habe ich lauter finstere oder heitere Bilder gemalt. Ich erlebe das Malen auch als Ausgleich zu meiner Arbeit mit anderen Menschen. Denn ich bin allein mit dem Bild, da geht es dann mehr um mich, während ich mich bei meiner Arbeit meinen Patienten zur Verfügung stelle.
Als Psychoanalytiker dürfen Sie doch Ihren Patienten gegenüber gar nichts von sich preisgeben?
Ich zeige mich mit der Malerei sehr offen, das machen nicht viele. Aber ich gebe keine Interpretationen zu meinen Bildern ab.
Wo sind Parallelen zwischen Kunst und Psychoanalyse?
Ich bin zwar kein studierter Künstler, aber für mich ist es so, dass das analytische Arbeiten auch ein Kunststück ist. Man ist nicht festgelegt, hat es mit Gefühlen, Fantasien und Beziehungen zu tun. Und damit gut umzugehen und immer wieder eine Form daraus zu machen, mit der der Patient etwas anfangen kann, das hat etwas Künstlerisches.
Sie verwenden viele organische Materialien, auch Menschenhaar. Was fasziniert Sie an diesem Archaischen?
Auf der Vietnamreise habe ich die traditionellen Lacke kennengelernt. Mein Lehrmeister hat mir erzählt, dass viele seiner Studenten nur noch den industriellen Lack nehmen, weil das schneller geht. Aber ich interessiere mich generell für das Althergeholte, das Traditionelle in der Malerei – da steckt viel Wissen drin. Das ist vielleicht auch eine Verbindung zu meinem Beruf: Die Analyse ist ja auch als etwas Altes, Traditionelles, Kluges. Malerei ist entstanden aus der Verwendung der vorgefundenen Materialien. Das nennt man vielleicht heute archaisch. Mich interessiert mehr das Sinnliche am Malprozess.
Sie reisen viel, warum zieht es Sie in die Ferne?
Ich bin in der DDR aufgewachsen, da konnte man nicht viel reisen. 2012 habe ich eine Auszeit genommen und einiges nachgeholt. Es hat auch meiner Arbeit genützt: dass ich mich nicht einenge, sondern einen weiteren Blick bekomme. Und ein Gefühl für das aufgeregte und angespannte Leben, das wir hier in Deutschland führen.
Was haben Sie vom Reisen gelernt?
Auf den Reisen habe ich viel gelernt, auch über die Länder, aber vorwiegend über mich. Ich habe mich dem Fremden ausgesetzt und auch Fremdes in mir gefunden. Also zum Beispiel die Angst: Wenn man aus seinem Kulturkreis rauskommt, wird man nicht nur neugierig, sondern auch unsicher und ängstlich. Und man merkt: Es gibt nicht das Konzept des richtigen Lebens. Wir glauben im Westen, dadurch, dass wir alles organisierter haben, hätten wir ein besseres Leben.
Haben wir es besser?
Nicht unbedingt. Wir zahlen einen hohen Preis, das merkt man, wenn man nach einem Jahr hier wieder hinkommt und merkt, wie angespannt und hektisch die Leute alle sind.
Haben Sie daraus Vorsätze für sich abgeleitet?
Also, es hat sich schon etwas geändert. Nicht im Sinne von Vorsätzen. Aber ich habe beschlossen, mich mehr zu engagieren, mehr öffentliche Projekte zu starten. Denn so, wie ich die Welt kennengelernt habe, ist sie zwar einerseits faszinierend schön, aber gleichzeitig frage ich mich: Wie kann man so viel zerstören und Umwelt verschmutzen, wie kann es so viel Armut geben? Der Psychoanalytische Salon, den ich mit veranstalte, ist aus der Idee entstanden, mich zu engagieren.
… eine unregelmäßig stattfindende Diskussionsrunde zu unterschiedlichen Themen in Hamburg, die gut besucht wird.
Ja, das große Interesse kam auch sehr überraschend für uns, die Veranstaltungen waren überfüllt und wurden deshalb wiederholt. Beim nächsten Mal im Herbst oder Winter soll es einen Salon zum Thema Identität geben, im Frühjahr zum Thema Kommunikation in der digitalen Welt. Und danach einen Salon zum Thema Neid.
Wonach suchen Sie ihre Themen aus?
Wir wollen einen Raum schaffen, in dem ungezwungen nachgedacht werden kann. Es gibt wenige Räume, wo versucht wird, mit dem Publikum gemeinsam nachzudenken, sich auf andere Sichtweisen einzulassen und andere Argumente an sich ran zu lassen. Dazu nehmen wir Themen, die gesellschaftlich relevant sind, und betrachten sie aus einer analytischen Perspektive.
Trotzdem: Wie erklären Sie, dass Psychoanalyse gerade so viele Linke anzieht?
Ich glaube, es gibt einen Bedarf, ein bisschen tiefgründiger nachzudenken. Es platzt hier eine Bombe, dann gibt’s da einen Streit, dort hat jemand gelogen – davon ist die Presse voll, aber man weiß gar nicht, was man damit anfangen soll. Wir bieten psychoanalytische und interdisziplinäre Gedanken an und versuchen dann, gemeinsam mit dem Publikum nachzudenken und zu diskutieren.
Vor einigen Monaten gab es einen Salon zum Thema „Befriedigendes Leben“. Was macht befriedigendes Leben aus?
Wir haben keine Normative anzubieten, wie das Leben geht. Aber wir wissen, was passiert, wenn die Leute Auseinandersetzungen vermeiden oder sich nur einseitig beschäftigen. Wer nur frisst, wird fett, wer nur auf Ordnung und Macht setzt, wird starr und langweilig, wer auf Konkurrenz setzt, wird am Ende einsam sein. Wenn man eine gute Mischung hinkriegt und seine Lebensgeschichte als kohärent erleben kann, wenn man sich nicht nur immer rumgeschubst fühlt, sondern sagt, da hab ich mich weiterentwickelt oder was Neues gemacht, das ist sehr befriedigend. Beziehungen sind auch was Zentrales, wenn sie gelingen, was ja nicht einfach ist.
Vor sieben Wochen hat sich in Hamburg beim G20-Protest gezeigt, dass viele unglücklich über die Verhältnisse sind. Was hat sich da Bahn gebrochen?
Das ist so pauschal eine schwierige Frage. Es gibt ja Leute, die sind in der Lage, sich auf kreative Weise mit dem Gemeinwesen oder mit dem System auseinanderzusetzen. Und andere sind es nicht. Aber es gibt ja einen relativ weit verbreiteten Konsens, dass man nicht einfach den Nachbarn umhaut, wenn er einem nicht gefällt. Dass Rache eingedämmt wird und Regeln eingehalten werden. Manche können die besser einhalten, andere schlechter. Das hat viel mit dem persönlichen Gewordensein zu tun, aber vielleicht auch ein bisschen mit Glück und Pech. Oder mit der inneren Konfliktbereitschaft.
Aggressivität steckt in uns allen.
Natürlich, man braucht sie auch, um sich durchzusetzen, um Rivalitäten auszuhalten, Standpunkte zu verteidigen. Aber das Gemeinwohl hat mit dem Rechtssystem dafür gesorgt, dass sich nicht immer der Stärkere durchsetzt. Nur dann kann man zusammenleben, wenn nicht jeder seine Aggressionen sofort auslebt. Es ist gut, wenn eine Gesellschaft oder eine Gruppe es schafft, die Aggressionen der Einzelnen einzuhegen und die Sorgen einzufangen. Das gelingt mal besser und mal schlechter.
Wenn es schlecht gelingt, hat man viele Rechts-Wähler. Müssen AfD-WählerInnen zur Psychoanalyse?
Das würden sie nicht tun, weil sie sich schon in ihrer Gruppe eingerichtet haben, für die gehöre ich zum Feind. Aber einzelne Ausnahmen gibt es natürlich schon.
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