IslamismusSpanien hat eine Schlüsselrolle im Weltbild der Radikalen. Rund um Barcelona sind sie besonders präsent: Der alte Traum von Al-Andalus
Berlin taz | Barcelona und Katalonien sind seit Langem Sorgenkinder internationaler Geheimdienste und der spanischen Sicherheitsbehörden. Der US-Geheimdienst CIA hatte bereits vor zwei Jahren die spanischen Behörden vor der großen Gefahr eines Anschlags in Barcelona und dort ganz besonders auf der jetzt betroffenen Flaniermeile Las Ramblas gewarnt.
„Die Provinz von Barcelona ist der Fokus des radikalen Dschihadismus in Spanien“, erklärt deshalb auch der Terrorexperte des spanischen Elcano Institutes, Fernando Reinares. Die Zahlen sprechen für sich. Seit 2012 wurden bei 30 Polizeioperationen in Katalonien 62 mutmaßliche radikale, gewaltbereite Islamisten festgenommen.
Die Hälfte der in Spanien auffällig gewordenen salafistischen Gruppen und 80 der rund 100 radikalen Gebetshäuser des Landes befinden sich in und um Barcelona. Die Finanzierung der Moscheen, die sich meist in Lagerhallen, Ladenlokalen oder Wohnungen befinden, soll von Geschäftsleuten aus dem Persischen Golf stammen.
Nährboden für die Radikalisierung sind nicht nur jüngst Zugezogene, sondern auch Muslime, die in Spanien geboren wurden, und selbst Konvertiten. Sie stammen meist aus den „Ghettos“ der Immigration rund um die katalanische Hauptstadt.
Im Fokus der Islamisten
40 Prozent der in Spanien wegen ihren Beziehungen zu islamistischen Terrorgruppen Verurteilten stammen aus der Region rund um Barcelona. Bereits 2008 vereitelte die Polizei eine Anschlagsserie in Barcelona, die das Nahverkehrssystem zum Ziel haben sollte. 2015 flog ein weiteres großes Komplott auf. Und im April wurden drei Islamisten verhaftet, die mit den Anschlägen von Brüssel 2016 in Zusammenhang stehen sollen.
Ein zweites Zentrum islamistischer Aktivitäten sind die spanischen Exklaven an der Nordküste Afrikas, Ceuta und Melilla. Hier sind ganze Stadtteile in der Hand salafistischer Prediger. In Mellia haben die Attentäter zwei Fahrzeuge angemietet.
„Alle, die wir die Lage analysieren, warnen seit Langem, dass etwas passieren könnte. Es war nur eine Frage der Zeit“, erklärt José Julio Fernández Rodríguez, Juraprofessor und Chef des Studienzentrums für Sicherheitsfragen an der Universität in Santiago de Compostela. „Spanien nimmt eine Schlüsselrolle in der islamistischen Weltanschauung ein“, fügt er hinzu. Denn bis 1492 wurden große Teile der Iberischen Halbinsel über Jahrhunderte von Muslimen beherrscht. Für al-Qaida und den Islamischen Staat (IS) ist Spanien daher bis heute Al-Andalus – das von Christen besetzte Land des goldenen Zeitalters des Islam.
Die Anschläge mit Fahrzeugen von Nizza, Berlin, London und Katalonien gleichen sich, und doch gibt es einen ganz entscheidenden Unterschied. Die radikalen Islamisten kennen sich offenbar mit spanischer Innenpolitik aus und mischen sich da auf ihre blutige Art und Weise ein. Am 11. März 2004 töteten Bomben in Madrider Nahverkehrszügen 192 Menschen – wenige Tage vor den Parlamentswahlen. Daraufhin gewannen überraschend der Sozialist José Luis Rodríguez Zapatero die Wahl. Er zog anschließend das spanische Militär aus dem Irak ab, das sein konservativer Amtsvorgänger José María Aznar dorthin entsandt hatte.
Jetzt steht wieder ein Urnengang an. Die Autonomieregierung in Katalonien will am 1. Oktober das Volk über die Unabhängigkeit abstimmen lassen – gegen den Widerstand der Zentralregierung. Die Islamisten suchen gezielt die Risse im spanischen System.
Stellt sich die Frage, wie die Schreckensnacht den Urnengang am 1. Oktober beeinflusst. Was feststeht: Die Autonomieregierung bewies im Umgang mit den Attentaten, dass Katalonien tatsächlich als Land funktionieren kann. Die Autonomiepolizei, die die Ermittlungen führt, zeigte sich äußerst effektiv. Sie kamen den Attentätern schnell auf die Spur, nur wenige Stunden nach der Terrorfahrt.
Allerdings sind die Spanier im ganzen Land geschockt und leiden mit, egal welcher Kultur und Sprache. Sie wollen ihr Land mit Katalonien – aus tiefer Sympathie. Reiner Wandler
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