Ende für Beschäftigungs-Maßnahme: Senioren-Begleitung fällt weg
Dass Arbeitslose bedürftigen Rentnern im Alltag helfen, ist nicht mehr erlaubt, seit die Pflegeversicherung dafür eine Pauschale zahlt. Allein: Die reicht nicht
„Ich bin mit ihm immer rausgegangen“, erinnert sich die Rentnerin Brigitte Nebe. „Wir haben im Park gesessen oder waren einkaufen. Später wollten wir mal in die Stadt.“ Von einem Tag auf den anderen sei ihr Helfer dann nicht mehr zu ihr gekommen. „Ich bin sehr traurig. Wir hatten so ein freundschaftliches Verhältnis entwickelt.“ Die 78-jährige Eimbüttlerin hat am Freitag in ihrem Rollstuhl den Weg ins Lawaetz-Haus an der Elbe auf sich genommen, zu einem Gespräch mit Trägern, Betroffenen und Kunden. Denn sie will wissen, was aus dem wird, was zehn Jahre lang in Hamburg „Seniorenbegleitservice“ hieß.
Das will auch Holger Hinsmann wissen. Seit einem Schlaganfall braucht der 73-Jährige Hilfe, um die Treppe nach unten zu gehen. Laufen könne er, nur nicht weit. „Es war eine große Hilfe, wenn da jemand kam und mich zum Seniorentreff bei der Kirche begleitet hat“, sagt der Altonaer. Doch die beiden Senioren haben eine Pflegestufe und dürfen deshalb keine Hilfe mehr von den „Helpslüüd“ des Trägers Koala annehmen.
Am Tisch sitzen am Freitag auch Teilnehmer der Arbeitsgelegenheit (AGH), die für eine kleine Summe von 1,60 Euro die Stunde zusätzlich zum Hartz-IV-Satz alten Leuten helfen. Finanziell sei er nicht zufrieden, sagt Wolfgang Knochen. „Aber ich bin sehr überrascht, wie viele positive Erfahrungen ich dort machen kann“, so der 56-Jährige. „Inhaltlich ist das sehr befriedigend“, sagt Thomas Hanke. Beide gehören zu den Bergedorfer Soziallotsen des Trägers Aqtivus. Sie seien keine Konkurrenz zu den Pflegediensten. „Die sind froh, dass es uns gibt.“
Doch seit Ende Juli dürfen die insgesamt 280 AGH-Kräfte der Stadt nur noch Menschen ohne Pflegestufe helfen. Der Grund: Die Pflegeversicherung zahlt eine Pauschale von 125 Euro im Monat, von der auch Alltagshilfen bezahlt werden können. Und: AGH, auch Ein-Euro-Jobber genannt, dürfen den Pflegediensten auf dem freien Markt keine Konkurrenz sein. Dabei ist diese Alltagsbegleitung für die Pflegedienste wirtschaftlich ohnehin offenbar kaum attraktiv.
In Hamburg sind 53.000 Senioren von Armut bedroht. 25.000 leben von 409 Euro im Monat.
Hamburg startet 2018 ein Pilotprojekt in Harburg und Eimsbüttel, bei dem 80-Jährige zu Hause besucht und nach Hilfebedarf gefragt werden. In Wien beispielsweise gibt es das längst.
Es gibt 1.955 Arbeitsgelegenheiten für Langzeitarbeitslose, davon 280 in der Seniorenhilfe. Der Verdienst beträgt 1,60 pro Stunde. Eine Alternative sind feste Stellen, dafür müsste die Stadt Geld zuschießen.
„Ich habe bei so einer Firma angerufen. Mir ist vorgerechnet worden, eine Stunde kostet 40 Euro“, sagt Brigitte Nebe. Höchstens sechs Stunden könne sie von der Monatspauschale zahlen. „Das hat doch keinen Sinn. Teilhabe funktioniert so nicht.“
Bianka Klose ist Helferin bei Koala. Sie habe eine Kundin, der gesundheitlich eine Pflegestufe zusteht. „Die sagt, sie will darauf verzichten, damit sie uns behält.“ Durch sie habe sie zum Beispiel den Bäcker kennengelernt, „wo man gut sitzen kann“.
Die AGH Seniorenbegleitung sei sehr erfolgreich und habe hohe Integrationskraft. „Das kann ich mit Zahlen belegen“, sagt Aqtivus-Anleiter Wilfried Krickhahn. Viele Helfer stellten fest, dass das etwas für sie ist und machten eine Weiterbildung zur Betreuungskraft.
Dieses Angebot darf nicht einfach wegfallen, warnt auch Klaus Wicher vom Sozialverband Deutschland (SoVD). „Wir brauchen ein neues Modell“, sagt er. Denn das Problem der Altersarmut sei groß. Hamburg hat rund 25.000 Rentner, die von 409 Euro im Monat leben. „Die brauchen kostenlose Hilfen“, sagt Wicher. Er will mit den Senatorinnen für Soziales und Gesundheit reden.
Auch Jobcenter-Geschäftsführer Dirk Heyden bekundet Interesse an der Rettung und erklärt, man suche mit den Behörden „nach Alternativen, um das Angebot für ältere Menschen aufrechtzuerhalten und gleichzeitig Langzeitarbeitslose zu fördern“.
Eine Idee, die bereits bei einem Gespräch mit Trägern besprochen wurde, ist die Schaffung von richtigen Stellen, die zu 75 Prozent mit Arbeitsmarktmitteln bezuschusst werden. Doch die Träger sehen sich nicht in der Lage, die verbleibenden 25 Prozent zu zahlen. Nötig wäre die politische Entscheidung, dass Hamburg diese 25 Prozent übernimmt. Klaus Wicher will darüber mit der Politik reden. „Das Geld haben wir“, sagt er und erinnert an die Steuer-Mehreinnahmen von bis zu 500 Millionen Euro.
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