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Erfrischender Saunagang

BEACHVOLLEYBALL Vor einem narrischen Publikum gewinnt das deutsche Duo Kira Walkenhorst und Laura Ludwig den WM-Titel. Die Olympiasiegerinnen ziehen damit in die Walhalla ihres Sports ein

aus Wien Felix Meininghaus

Als der zweite Satz des Frauenfinals bei der Beachvolleyball-WM in Wien lief, verkündete der Sprecher auf dem Center Court, dass auf dem Veranstaltungsgelände nichts mehr gehe. Die Eingangstore wurden dicht gemacht, weil das Areal auf der Donauinsel aus allen Nähten platzte. 10.000 Fans drängelten sich auf den Tribünen des Stadions, die locker drei oder vier Mal hätten gefüllt werden können. Beim Public Viewing und vor den Eingangstoren des Stadions harrten Tausende Besucher aus, um möglichst viel vom Spektakel mitzubekommen.

Und das, obwohl die Hitze in der österreichischen Hauptstadt Rekordwerte erreichte. Das handelsübliche Thermometer, mit dem die Temperaturen unten im Sand gemessen werden, versagte seinen Dienst und wurde durch ein Saunathermometer ersetzt. Die Werte kletterten auf 64 Grad, sodass der Terminus heißes Spiel eine ganz neue Bedeutung erfuhr. Im Stadion, das auf den Rängen kaum Schatten bot, waren die Bedingungen extrem. Doch die Fans harrten aus, feierten sich und die Athleten und fieberten dem Augenblick entgegen, an dem es aus Feuerwehrschläuchen Wasser regnet. Beachvolleyball ist in Österreich eine große Nummer, die Sportart, die in Deutschland trotz der beiden Olympiasiege von Julius Brink und Jonas Reckermann 2012 in London sowie Laura Ludwig und Kira Walkenhorst 2016 in Rio weiterhin ein Nischendasein fristet, genießt in der Alpenrepublik eine Reputation, von der die Szene hierzulande nur träumen kann. Von der WM berichten ORF und ORF+ insgesamt 70 Stunden, das Turnier hat einen für Beachvolleyball-Verhältnisse gigantischen Etat von 9 Millionen Euro.

In Wien stellten sie ein Event von landesweiter Bedeutung auf die Beine, am Finalwochenende ließ sich nicht nur der Trainer des 1. FC Köln, Peter Stöger, auf der VIP-Tribüne blicken, sondern auch Teile der österreichischen Bundesregierung. Sie alle konnten miterleben, wie Laura Ludwig und Kira Walkenhorst ihrer ohnehin schon glanzvollen Karriere einen weiteren Höhepunkt hinzufügten: Das Team, das für den Hamburger SV ans Netz geht, sicherte sich vor einer mitreißenden Kulisse den Titel im Finale gegen die US-Amerikanerinnen Lauren Fendrick und April Ross mit 2:1 (19:21, 21:13, 15:9). Für den Sieg wurde das deutsche Vorzeigeduo nicht nur mit Gold, sondern auch noch mit 60.000 Dollar Preisgeld belohnt.

Damit vervollständigten Ludwig/Walkenhorst ihre ohnehin schon eindrucksvolle Sammlung an Goldmedaillen: Deutsche Meister, Europameister, Gewinner des World-Tour-Finals, Olympiasieger und nun auch noch Weltmeister. Die beiden steigen damit in die Riege der größten Athleten ihrer Sportart auf. Was den neuen Triumph so wertvoll macht, sind die ungewöhnlichen Rahmenbedingungen. Das deutsche Ausnahmeduo hat nämlich in diesem Jahr eine Kranken- und Verletzungsgeschichte erlebt, die es nahezu unmöglich erscheinen ließ, den Rest der Welt erneut die Rücklichter zeigen zu können. Im Winter musste sich Laura Ludwig einer komplizierten Schulteroperation unterziehen, als sie zurückgekehrt war, fiel Kira Walkenhorst mit einer Virusinfektion aus, die auf ihre Schlagschulter abstrahlte.

Über 60 Grad im Sandkasten und Fans in Partylaune

Für Trainer Jürgen Wagner und sein Team wurde es zu einer besonderen Herausforderung, das Duo im Schnellverfahren in WM-Form zu bringen. Der Ablauf war eng getaktet. Es war ein Drahtseilakt, der aber perfekt gelang. Als sie nach ihren Gefühlen beim Abspielen der Nationalhymne gefragt wurde, schossen der begnadeten Abwehrspielerin Laura Ludwig die Tränen in die Augen. Sie habe die letzten zehn Tage Revue passieren lassen, „die ich in meinem ganzen Leben nicht vergessen werde. Es war ja so, dass wir in diesem Jahr nicht einmal richtig spielen konnten.“ Die Angst, dass es nicht reichen könnte, hielt sich jedoch trotz der Erkrankung von Walkenhorst in Grenzen.

„Kira würde niemals abbrechen, selbst dann nicht, wenn ihr der Arm abfallen würde.“ Und dann berichtete Ludwig über einen Kniff, der sie davon abhielt zu verzagen: „Ich hole gerne mal meine Goldmedaille von Rio raus und hänge sie mir um. Gerade in schweren Zeiten gibt mir das Kraft.“

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