piwik no script img

Warten auf die Transformation

Theorie Ausdruckslos Gemüse raspeln: Das Buch „Fermenting feminism“ klopft den Feminismus auf seine Zukunftsfähigkeit hin ab

„Neunzig Prozent deiner Zellen sind nicht menschlich“, dröhnt eine weibliche Stimme durch den Raum. „Pilze, ein Bestiarium organischer Wesen lebt in dir.“ Ein dreistimmiges Orakel führt uns in der Soundinstallation „This is a plot device“ von Lucrecia Dalt und Regina de Miguel durch Fragen nach menschlicher Existenz, Maschinen und Biologie, Körper und Tod. Die Soundinstallation ist Teil der Veranstaltung und der gleichnamigen Publikation „Fermenting feminism“, die am vergangenen Samstag in Neukölln ihre Buchpremiere feierte.

„Ich wollte wissen, was passiert, wenn man Feminismus einem Fermentierungsprozess unterzieht“, sagt die in Toronto beheimatete Kuratorin und Herausgeberin der Publikation, Lauren Fournier. Gemeinsam mit dem in Berlin ansässigen Verlag und der experimentellen Plattform „Laboratory for Ae­sthe­tics and Ecology“ hat sie den Feminismus auf seine Aktualität und Zukunftsfähigkeit hin abgeklopft.

Fermentierung und Feminismus, eine etwas sperrige Kombination, doch um diese Spannung geht es Fournier. Für sie ist Fermentierung sowohl eine mikrobiologische Veränderung als auch Metapher. „Fermentierung“, ergänzt die Mitgründerin des „Laboratory for Aesthetics and Ecology“, Dea Antonsen, „ist für uns auch eine Praxis, Geschichte neu zu schreiben. Die Naturwissenschaften waren für gewöhnlich männlich orientiert. Praxen der Sorgearbeit und Ernährung waren niemals Teil von Wissenschaftsgeschichte. Das wollen wir ändern.“

Fournier und das „Laboratory for Aesthetics and Ecology“ haben Antworten auf die aufgeworfenen Fragen in einem liebevoll gestalteten Buch mit Do-it-yourself-Ansatz zusammengestellt. 24 Schriftsteller_innen, Video- und Soundkünstler_innen setzen sich darin mit dem Zusammenhang zwischen Feminismus und Themen wie Gesundheit, Krankheit, biologischen Körperprozessen, Ernährung und Sorgearbeit auseinander.

Bakterien, Pilze, Natur

Die Vielfalt der Ansätze ist eine große Leistung der Publikation. Sie zeigt, in wie viele Richtungen Feminismus gedacht werden kann und wird. Dabei geht es, dem Begriff der Fermentierung gemäß, viel um Körperflüssigkeiten, um Bakterien, Pilze, überhaupt Natur, ist dafür aber überraschend wenig lustvoll. Ausdruckslos raspelt eine Frau in der Küche in einem Video Gemüse. Eine andere färbt Textilien mit eigenem Blut und Urin ein; wir betrachten eine nackte Frau im Aquarium und warten auf einen Transformationsprozess, der nicht stattfindet. Lustvoller und ironischer zeigt „Adipose“ in zusammengeknüllten Jeans, aus denen Bauschaum quillt, künstlerische Freude in der Abweichung von der Norm.

Die meisten der ausgewählten künstlerischen Auseinandersetzungen richten ihren Blick auf das eigene Selbst. Das ist folgerichtig, schließlich geht es auch darum, bisher unbeschriebene – weibliche und queere – Bereiche in der Geschichtsschreibung sichtbar zu machen. Viele der Videokunstwerke sind zumindest theoretisch anschlussfähig an Debatten um Sorgearbeit und feministische Ökonomiekritik, die in den letzten Jahren verstärkt in den Fokus feministischer Praxis getreten sind.

Und doch, apropos Theorie, man wünschte sich mitunter in den Kunstwerken ein bisschen weniger Freude an poststrukturalistischen Zitaten, dafür etwas mehr gesellschaftspolitischen Kontext, ein bisschen weniger Uni, dafür mehr Lust und Freude am Widerstand. Vielleicht ist aber dies auch schlichtweg eines der Ergebnisse des Kunstprojektes: Zumindest der fermentierte Feminismus spielt sich in erster Linie an den Universitäten ab.

Ein anregendes Buch ist „Fermenting feminism“ allemal, eine künstlerische Ideensammlung für einen Feminismus der Zukunft. Die Publikation sowie weitere Informationen sind zu finden unter: www.labae.org.

Judith Poppe

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen