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Zensur auf InstagramWer bestimmt, was Nacktheit ist

Instagram löscht Fotos ohne Begründung. Viele UserInnen fühlen sich zensiert, die Kriterien erscheinen oft beliebig – Nippel und Haare sind tabu.

Nicht nackt, aber zu haarig: Instagram zensiert seine Nutzer beliebig Foto: Molly Soda, S. 197 aus dem Buch „Pics or it Didn't Happen“

Kürzlich erschien auf bento.de, der Nachrichtenseite Spiegels für die 18- bis 30-Jährigen, das Foto eines Mädchens, das ihr Gesicht mit einer Lilie verbirgt, dessen Oberkörper aber unverhüllt ist, sodass die Brust zu sehen ist, davor ein auf sie selbst gerichtetes Smartphone.

Dieser Art sind Zigtausende Bilder, die täglich auf Instagram hochgeladen werden, einem kostenlosen Onlinedienst zum Teilen von Fotos und Videos aus dem Alltagsleben. Das auf visuelle Inhalte konzentrierte soziale Medium, das weltweit über 500 Millionen User erreichen soll, erschien der Firma Facebook 2012 so werbetauglich, dass sie seinen Garagen-Betreibern für den Erwerb fast eine Milliarde Dollar zahlte.

Scrollt man das Bild weiter, erweitert sich die den Oberkörper zeigende Halbtotale des Mädchens auf ihren Unterleib, wo ein Ansatz von Schamhaar zu sehen ist. Dieses Bild wurde von Instagram offenbar aussortiert oder, wie es eine Publikation des Prestel Verlages bewertet, zensiert. „Pics or It didn’t happen“ ist der Band betitelt. Er versammelt Fotos, die Instagram seinen meist ungelesenen Geschäftsbedingungen gemäß nicht zeigen mag, weil sie „gewalttätige, nackte, teilweise nackte, diskriminierende, ungesetzliche, verletzende, abscheuliche, pornografische, sexuell stimulierende“ Szenen zeigen.

Spontan möchte man zustimmen, wie gut es ist, solche Restriktionen einzubauen, anders als im Darknet mit seinen ekligen Gewalt-, Missbrauchs- und Kinderpornografie-Ecken. Die Herausgeberinnen des Bandes, Arvida Byström und Molly Soda, interessieren indessen die Kriterien, nach denen ein in den Vereinigten Staaten beheimateter, überwiegend aber außerhalb der USA genutzter Onlinedienst bestimmt, was Nacktheit ist, was eine Diskriminierung darstellt, warum etwas gegen welches Gesetz verstößt, wo Gewalt einsetzt, was wen sexuell anmacht und so weiter.

Die Löschregeln sind intransparent, Bilder verschwinden einfach ohne Angabe von Gründen Foto: Rebecca Diaz Larrain, S. 175 aus dem Buch „Pics or it Didn't Happen“

Diese Auswahlkriterien bleiben implizit, sie liegen im Auge der Zensoren. Byström und Soda halten den Eingriff, der praktisch von Tausenden meist in Manila oder Bombay tätiger Hilfsarbeiter ausgeführt wird, für Zensur und können mit dieser Auswahl ausgeschiedener Fotos belegen, wie willkürlich die Grenzen oftmals sind und wie die fällige Aushandlung über das gerade noch Erlaubte hier mit einem Löschbefehl unterbrochen und erledigt wird. Und wie dehnbar und unverhandelbar ästhetische Kriterien letztlich sind.

Heute Menschenrecht

Die Grenzen der Darstellbarkeit, sei es durch die Hemmschwellen der Produzenten, Aktmodelle und Betrachter, sei es qua Zensur und Sittenpolizei, sind seit der Antike ein Dauerthema der europäischen Kunst. Interessant ist, wie sich seit der Erfindung des World Wide Web die Arena dieser Aushandlung gedreht und die Definitionsmacht gewandelt hat. Die Nutzer sozialer Medien sehen es heute als ihr gutes, fast absolutes Recht an, eigene Nacktheit und Intimität auszustellen, eventuell auch die von Partnern oder gänzlich Fremden, die mit im Bild sein mögen.

Was einmal als schamlose Selbstdarstellung galt, die man nicht nur vor Kinderaugen zu verbergen hatte, gilt ihnen als eine Art Menschenrecht, dessen Beschränkung durch die AGB einer Privatfirma sie voller Empörung skandalisieren. War das Nacktfoto von Prominenten, die besonders begehrenswert, schön und sexy wirkten, einmal die Trophäe der Paparazzi, hält sich heute jedermensch für vorzeigbar und stellt sich aus. Als Tabubruch gilt nicht mehr das Zeigen von Geschlechtsmerkmalen und mit körperlicher Sexualität verbundenen Bildern, sondern dessen Verhinderung oder Beschneidung durch Dritte. Vor allem wird die Praxis von Instagram kritisiert, dass Nutzer nach der Entfernung ihres Bildes nur eine Standard-Benachrichtigung mit der Information bekommen, dass es gegen die Richtlinien verstößt, ohne mitzuteilen, welches Bild genau betroffen war.

Nippel als Tabu: Fast jedes Bild mit weiblichen Nippeln wird gelöscht Foto: Rin Johnson, S. 89 aus dem Buch „Pics or it Didn't Happen“

Instagram-Nutzer beschweren sich bereits länger unter dem Hashtag #freethenipple, es würden Bilder wahllos herausgefiltert, ohne dass darauf immer verbotene Inhalte zu sehen seien. Instagram erlaube alle Arten von Nacktheit, solange die Brustwarzen verdeckt sind, wofür es seit dem Auftritt von Janet Jackson beim Super Bowl 2004 den Ausdruck „Nipplegate“ gibt. Die USA gelten als besonders prüde, obwohl dort eine ausufernde Pornoindustrie beheimatet ist.

Doppelmoral des Paradoxons

Die Schauspielerin Scout Willis wollte 2014 mit einem Oben-ohne-Auftritt auf New Yorker Straßen die Doppelmoral des Paradoxons enthüllen, dass sich Pornodarstellerinnen in anzüglichen Posen auf Instagram präsentieren dürfen, während Bilder von Brustkrebspatientinnen gelöscht werden. Auch erregen behaarte Körper bei Instagram mehr Anstoß als glattrasierte.

Der im renommierten Prestel Verlag erschienene Kunstband, der herausgefilterte Bilder nun ebenso wahllos publiziert, erwuchs aus dem Protest. Die beiden Herausgeberinnen sind in den USA lebende Künstlerinnen, die ihre Aufgabe nicht darin sehen, neue Kunstwerke zu produzieren, sondern die Autoproduktion ästhetischer Artefakte zu reflektieren, wie sie sich derzeit in sozialen Medien millionenfach ereignet, und diesem Wunsch angemessene Ausdrucksmöglichkeit zu verschaffen. Die Sammlung bezeichnen sie als eine Zeremonie der verlorenen Bilder und einen Friedhof der Zensur

Ihrem Aufruf folgten über 200.000 Menschen und sandten von Instagram entfernte Fotos ein. Die meisten waren Selfies weißer, junger Frauen in privater Atmosphäre, deren Zensurwürdigkeit sich in vielen Fällen in der Tat kaum erschließt, in anderen aber je nach Gusto selbstevident zu sein scheint – wobei das Ziel dieses Bandes sein müsste, für die Grenzen des Sichtbaren ebenso Kriterien vorzuschlagen wie für die Grenzen des Sagbaren, womit sich der Mutterkonzern Facebook angesichts von Millionen Hasskommentaren, volksverhetzenden und rassistischen Äußerungen und politischer Fake News gerade zu beschäftigen hat und Juristen halbwegs anwendbare Maßstäbe zu entwickeln suchen.

Was kann als „gefährlich“ gelten, und was ist ein relativ „sicherer“ Inhalt, dessen Verbreitung keinen Schaden anrichtet? Wo endet die Kunst- und Meinungsfreiheit? Gibt es keine Grenzen des Narzissmus?

taz.am wochenende

Im südbadischen Oberrimsingen feiern sie ein großes Fest. Was ist es, das ein Dorf zusammenhält? Das steht in der taz.am wochenende vom 5./6. August. Außerdem: Das Bienensterben könnte uns alle ins Verderben führen. Manche wollen deshalb Bienen im Baum halten. Letzte Rettung oder Schnapsidee? Und: Der Schweizer Martin Suter ist einer der erfolgreichsten Schriftsteller im deutschsprachigen Raum. Ein Gespräch. Am Kiosk, eKiosk oder im praktischen Wochenendabo.

Dieses Aktionsbuch hat zwei schwerwiegende Defizite. Zum einen beschränkt es Kritik auf die in der Tat problematischen, weil intransparenten und mit einem kulturellen US-Bias versehenen Selektionsprozesse durch Instagram, lässt aber die Interaktion mit einem zeigefreudigen, exhibitionsgeneigten Publikum außen vor, ohne die Instagram ein Nichts wäre.

Das heißt: es verkennt die in der Bildenden Kunst, im Film und in der einmal „Aktfotografie“ genannten Grauzone zwischen Kunst und Pornografie eingeschriebene Beziehung zwischen Voyeurismus und Exhibitionismus. Zum anderen bleibt die Dokumentation unhistorisch an der aktuellen Aushandlung in den sozialen Medien hängen, statt die lange Debatte über ideale, stilisierte oder eben schockierende und erregende Nacktheit in der Kunst und in visuellen Alltagsmedien zu reflektieren. Es fehlen ihr schlicht die Maßstäbe.

Die Menschen, die heute intime Selfies anfertigen und einem unüberschaubaren Publikum ausstellen, betrachten ja auch die unbekleideten antiken Götter, Michelangelos makellosen David, die üppigen Nackten des Barock oder Egon Schieles drastische Akte. Oder stellen sie nur sich selbst davor in Pose?

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12 Kommentare

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  • 8G
    85198 (Profil gelöscht)

    Wer denkt, mensch könne auf einem privaten Kommunkationsserver einfach so posten, was mensch will, der ist unsäglich naiv.

    Die Diskussion ist völlig lächerlich. Jeder Nutzer hat die AGBs unterschrieben und niemand wird dazu gezwungen diesen Dienst (oder irgendein sonstiges asoziales Firmennetzwerk) zu benutzen.

    Auf Diaspora.org oder Mastodon wäre das so nicht passiert.

    Leider jammert der taz-Autor auch bloß rum und erwartet eine Lösung genau von den Menschen, die daran nicht interessiert sind. Entscheidungshilfen für den Leser stellt er aber nicht bereit.

     

    Hier wäre die meine:

    Instagramm muss nicht sein, es gibt offene Netzwerke wie Diaspora oder Mastodon. Leute, informiert euch und seid nicht so naiv, ihr Opfer!

  • Wir haben mächtige Plattformen, die ihre eigenen Regeln haben. Eine Plattform kann nicht gleichzeitig:

    a) International sein

    b) alle lokale Gesetze einhalten

    c) alle lokalen Freiheiten gewähren

    Entweder sie ist nicht international. Ein deutsches Instagram kann deutsches Recht und deutsche Freiheiten 100% umsetzen.

    Oder sie ist über restriktiv - alles was irgendwo verboten ist, wird gesperrt.

    Oder sie lässt zu viel zu - alles was irgendwo erlaubt ist, wird zugelassen.

    Auf die bösen Plattformen zu schimpfen ist billig. Wir brauchen einen internationalen Standard und nicht rückwärtsgerichtete NetzDGs.

  • 8G
    81331 (Profil gelöscht)

    ...Instagram, wer oder was ist das?

    Keiner wird dazu gezwungen, seine Fotos auf 'Instagram' zu präsentieren.

  • Deutsche Leidkultur. Ein ganz wichtiger Punkt ist das Moralisieren. Na klar, das Volk muss in Reih' und Glied marschieren. Volksgemeinschaft auf Vordermann bringen, keiner tanzt aus der Reihe.

     

    Das neoliberale Denken hat eben den menschlichen Körper auch zur Ware gemacht. Kein Bürger regt sich darüber auf, wenn es im Bewerbertraining heißt, man müsse sich nur richtig verkaufen, dann bekäme man auch den Traumjob. Wenn Kinder von Anfang an gelernt haben sich nur gut zu verkaufen - warum bezichtigt man sie später als Exhibitionisten? Mit der Selbstdarstellung wird doch heute mehr Geld verdient als in der industriellen Produktion.

     

    Wer eben Fotos von breitbeinig sitzenden Frauen gern hat, wo man fast schon die Eierstöcke inspizieren kann, der soll sie sich anschauen. Mich bestätigt es nur in der Richtigkeit meiner Entscheidung, Medizin nicht studiert zu haben.

    • @achterhoeker:

      Ausgiebige Selbstdarstellung gab es schon vor dem Neoliberalismus...

      Z.B. die res gestae des Augustus. Ist also nix Neues...

  • Ist ja nicht so dass es alternativen gibt. Abgesehen davon gibt es ein dutzend soziale Netzwerke, wo ich so ziemlich alles posten kann.

  • Woher kommt dieses Gefühl, dass man als "Journalist" "Grenzen" überschreiten muss? Dämliches Foto, abstossend. Oder einfach nur mal so, wegen CSD in Hamburg? Grüne Wählerstimmen abgreifen? Wen triggert man mit sowas? LAAAANGWEILIG!

  • Warum sprecht ihr am Anfang auch Männer an, ignoriert diese aber im Rest des Artikels. Macht daraus kein Frauen only Problem.

  • Wir kommen wieder ins Zeitalter der Prüderie. Das passt. Zurück in die 50er-Jahre! Was schlecht ist, kommt wieder...

  • Ein Leben ohne Instagram, Facebook und Co. ist möglich und sinnvoll. Nicht sinnvoll ist es, bei einer Sache zu bleiben, die einen nervt. Wenn ein Restaurant mich enttäuscht, gehe ich doch auch nicht täglich dorthin und beschwere mich hinterher über das Essen. Diese Plattformen sind nach wie vor NUR EINE OPTION und nicht ein lebensnotwendig. Es ist schon lange überfällig, zu begreifen, dass lediglich die Nutzer für die Wichtigkeit sorgen.

    Ergo: keine Nutzer mehr --> nicht mehr wichtig!

    • @Holzkopf:

      ... aber viele meine Freunde gehen doch auch in das Restaurant ...

      • @Rudolf Fissner:

        ....stimmt eigentlich. Vielleicht ist dann ja etwas mit meinem Geschmack nicht in Ordnung. Und im Fernsehen lobt man das Restaurant auch ständig..... ;)