Konversion und Leere: Die Soldaten sind weg
Wenn die Streitkräfte abziehen, bleibt Leere zurück – wie gehen Städte und Gemeinden damit um? Ein Besuch im niedersächsischen Bergen.
Rund um die Danziger Straße ist das Wohngebiet wie mit dem Skalpell zerteilt. Auf der einen Seite die Hochhäuser, die so gar nicht in das Viertel zu passen scheinen, weil sie alle anderen Häuser überragen. Zu dem Komplex gehört auch eine Batterie von dreigeschossigen Backsteinhäusern, deren Fenster einen Blick in leere Wohnungen preisgeben. Auf einer Fensterbank steht eine vergessene Flasche Putzmittel. Die Namen sind von den Klingelschildern gekratzt. In einem Vorgarten mahnt noch ein verwittertes Schild englischsprachige Kinder, nicht auf dem Rasen zu spielen: „Unauthorised Play Area“, steht darauf. Das Viertel wirkt hier wie eine Geisterstadt.
Auf der anderen Seite der Hochhäuser, die die Lokalmedien die „Twin Towers von Bergen“ getauft haben, röhrt ein Rasenmäher. In einigen Gärten weht die schwarz-rot-goldene Fahne an einem Mast, ein Hund kläfft: deutsche Reihenhausidylle.
Nie viel Kontakt gehabt
Der Abzug der Briten habe auf sie keinen großen Einfluss gehabt, sagt eine Frau, die gerade ihr Auto in die Garage fahren will. Viel Kontakt zu denen da drüben, sie zeigt mit der Hand in Richtung der Häuser, die heute leer stehen, habe sie nie gehabt. Trotzdem freue sie sich darauf, wenn die „Schandflecken“ aus dem Viertel verschwinden.
Für die Stadt Bergen ist die Konversion, wie es genannt wird, wenn vormals militärische Flächen umgenutzt werden, eine gigantische Aufgabe. Eigentlich wollten die Briten erst 2025 aus der Region abziehen. „Dass es schon zehn Jahre früher so weit war, hat uns alle überrascht“, sagt der Bürgermeister der Stadt Bergen, Rainer Prokop.
Ein Notfallplan musste her, besser noch eine Strategie für die Zukunft. Bergen tat sich mit anderen betroffenen Städten in Niedersachsen zusammen. Auch in Bad Fallingbostel standen nach dem Abzug rund 900 Wohnungen leer, in Celle 320. Plötzlich waren Übungsplätze ungenutzt, Kasernengebäude überflüssig. Mit den Wohnflächen zusammen müssen die Städte in der Region rund 400 Hektar Militärgelände umnutzen.
Als sich die 7. britische Panzerbrigade im November 2014 in Bergen mit einer Militärparade samt wehmütiger Dudelsack-Melodien verabschiedete, gingen nicht nur die Soldaten in den braunen Paradeuniformen. Sie nahmen auch ihre Familien mit. Insgesamt verließen die Region rund 10.100 Menschen. Die 2012 gegründete Arbeitsgruppe „Konrek“ befürchtete in einer Prognose einen Kaufkraftverlust von rund 65 Millionen Euro im Jahr in der Region. Konrek steht für Konversion und Regionalentwicklung. Die Landkreise Celle und Heidekreis wollten in dem Projekt gemeinsam mit den betroffenen Städten Bergen, Bad Fallingbostel, Celle, Munster und der Gemeinde Faßberg planen, was mit den Flächen passieren soll – und vor allem, wo das Geld dafür herkommen soll.
„Hier passiert etwas“
Die meisten Gebäude gehörten den Briten. Die Stadt Bergen hat damit begonnen, Häuser zu kaufen, etwa die beiden Hochhäuser. Sie sollen abgerissen werden. „Ein Zeichen dafür, dass hier etwas passiert“, sagt Bürgermeister Prokop. Im Oktober sollen die Bagger anrollen. Die überflüssigen Wohnungen sollen dann einer „städtischen Grünfläche“ weichen.
Die Stadt will zeigen, dass sie sich engagiert. Für den Aufkauf und die Umgestaltung der Flächen hat das Land Niedersachsen den betroffenen Gemeinden rund 15 Millionen Euro gezahlt. Bergen hat davon rund vier Millionen abbekommen. Vier weitere Millionen kommen vom Landkreis und vier Millionen Euro muss die Stadt selbst aufbringen.
Scherben, Krähen – und der Innenminister
Es ist ein warmer Tag im Juli, der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD) macht auf seiner Sommerreise Halt in Bergen. Er will selbst sehen, was sich in der Stadt tut. Es ist eine widersprüchliche Szene am Hochhaus in der Danziger Straße Nummer 5: Scherben glitzern vor dem Gebäude in der Sonne, ein Krähenschwarm lässt sich auf dem Dach nieder. Vor dem Eingang haben „die Jungs vom Bauhof“ zwei strahlend weiße Partyzelte aufgebaut. Die Einfahrt zu den Garagen ist mit bundeswehrgrünen Planen verhängt. Davor stehen Bierzeltgarnituren und Stehtische mit weißen Hussen. Es gibt Suppe.
„Wir haben extra nicht gemäht“, betont Bürgermeister Prokop. Die Gäste, mehrheitlich aus dem Innenministerium und der Stadtverwaltung, meist in Anzug und Kostüm, sollen einen authentischen Eindruck vom Verfall bekommen. Doch um die Ecken der Hochhäuser späht niemand herum.
Leichter Bevölkerungszuwachs
Die dreistöckigen Backsteinbauten gegenüber hat ein Berliner Investor gekauft. Sie sollen saniert werden. Wann das passieren soll, weiß der Bürgermeister allerdings noch nicht. Die moderneren Doppelhaushälften auf der anderen Seite, in denen ebenfalls Briten gewohnt haben, sind hingegen schon verkauft. „Da sind Menschen aus ganz Deutschland gekommen“, sagt Prokop. Die Stadt habe entgegen aller Prognosen seit 2014 sogar wieder einen leichten Zuzug zu verzeichnen – sogar wenn man die Zahl der Geflüchteten herausrechne.
Doren Ellwardt kniet in ihrem Garten und schneidet die Rasenkante. Sie und ihr Freund sind im Februar hierher gezogen. „Am Anfang dachte ich, ich sei im Getto gelandet“, sagt sie. Nach und nach zögen auch andere Familien und ältere Paare her. „Aber erst war es so still“, sagt sie – „so tot.“
Die Türme ragen direkt hinter dem Dach ihres Reihenhauses auf, nur ein Spielplatz liegt dazwischen. Langsam habe sie sich an die leeren Häuser gewöhnt. Dem Abriss sieht sie mit gemischten Gefühlen entgegen. „Ich habe gehört, die sollen asbestverseucht sein“, sagt die Erzieherin.
Trotzdem wünscht Ellwardt sich, dass möglichst schnell alle Leerstände verschwinden. „Die Stadt sollte etwas Schönes mit der Fläche machen“, sagt sie und schaut in den Garten ihrer Nachbarn, in dem ein Hund tobt. „Wir würden uns alle über einen Park freuen.“
„Die Richtigen müssen herziehen“
Zwei Straßen weiter, bei den bewohnten, gelb verklinkerten Mehrfamilienhäusern, steht eine Frau in Hausschuhen am Zaun. Die 70-Jährige spielt mit der Kette um ihren Hals. „Ich würde mich sicherer fühlen, wenn da wieder welche wohnen“, sagt sie. Im Viertel sei es noch immer ruhiger „und irgendwie anders“. Es müssten aber „die Richtigen herziehen und nicht nur so Syrer und Iraker“, sagt sie, die seit neun Jahren im Viertel lebt und selbst gern eine frisch renovierte Wohnung hätte.
Für die Stadt ist es nicht einfach, die Interessen der Anwohner unter einen Hut zu bekommen. „Bürgerbeteiligung wird groß geschrieben“, sagt Prokop. Am Ende seien es aber oft dieselben politisch interessierten Leute und Anwohner, die man bei Infoabenden treffe.
Innenminister Pistorius will den Kommunen keine Vorgaben machen. „Jede Fläche ist anders“, sagt er. „Nicht alles lässt sich am Ende einer erfolgreichen Nutzung zuführen.“ Was mit den Flächen, egal ob Flugplatz, Tanklager oder Übungsplatz geschehe, sollten die Kommunen selbst entscheiden. Das aber sei ein „langjähriger Planungsprozess“.
Jetzt kommen die Holländer
In Bergen wurde mittlerweile in der leer stehenden Kaserne ein kleines deutsch-niederländisches Panzerbataillon stationiert. Rund 400 Soldaten sollen bis 2019 kommen.
Innenminister Pistorius will den Militärstandort angesichts „der veränderten Sicherheitssituation“ noch nicht abschreiben: „Auch Zu- und Neustationierungen sind wieder denkbar.“
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