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„Mit den eigenen Augen“

Open Air Muritala Awolola ist Gründer des Pan-Afrikanischen Kulturvereins, der jedes Jahr im Juli den Afrika-Kulturtag in Bremen veranstaltet. Samt Fußballturnier

„Kultur kann man nicht aus Büchern lernen“, sagt Muritala Awolola: Der Afrika-Kulturtag will die Vielfalt des Kontinents erlebbar machen Foto: BES

Interview Benno Schirrmeister

taz: Herr Awolola, Sie tragen den Titel eines Chief?

Muritala Awolola: Der wurde mir vom König der Provinz Erin-Ile in Nigeria verliehen, wo ich herkomme. Jeder von unserem Stamm respektiert die Person, die diesen Titel trägt, weil klar ist, dass sie viel für die Gemeinschaft getan hat.

Dazu zählt in Ihrem Fall die Gründung des Pan-Afrikanischen Kulturvereins, der jedes Jahr Ende Juli den Afrika-Kulturtag in der Pauliner Marsch ausrichtet. Wie hat das angefangen?

Als ich hierher kam, habe ich gemerkt: Es gibt viele verschiedene Vereine für Afrika, aber nicht von Afrikanern selbst. Dabei: Unsere Probleme, die kennen doch wir Afrikaner selber am besten. Und erst recht unsere Kulturen: Jeder Stamm gibt ja seine Kultur selbst weiter. Wir haben sehr verschiedene Kulturen. In ihnen sind wir aufgewachsen. Wir haben in ihnen gelebt: Und eine Kultur ist etwas, was sich nicht aus Büchern lernen lässt. Die muss man mit den eigenen Augen sehen, sie erlebt haben.

Was bedeutet Kultur für Sie?

Sie macht uns glücklich: Sie ist wichtig für die Menschen, für die Seele. Deswegen habe ich im Jahr 2003 Menschen aus unterschiedlichen afrikanischen Ländern angesprochen, und ihnen gesagt: Das wäre ganz gut, wenn wir selber einen afrikanischen Verein gründen würden. Nicht um Politik zu machen, sondern um unsere Kultur zu präsentieren.

Warum ist das so wichtig?

Wenn Europäer eine Afrika-Veranstaltung machen, schmeißen sie alle in einen Topf und sagen: Das ist Afrika.

Das tun Sie nicht?

Nein. Bei uns geht es darum, dass jedes Land, jede Region von Afrika den gleichen Wert bekommt, dass möglichst viele vertreten sind und dabei ihre Eigenart behalten. Dafür habe ich Bekannte aus Sierra Leone angesprochen, aus Ghana, Togo, Benin: Kommt, lasst uns einen Verein gründen, in dem jeder seine Kultur präsentieren kann – und wenn jemand etwas über das Land erfahren will, muss er nicht im Internet suchen oder in die Zeitung gucken. Sondern er kann sich auch direkt an uns wenden, weil wir die Länder kennen und ihre Sprachen sprechen. Allein Nigeria hat ja 200 Sprachen.

Und das wäre kein politisches Anliegen?

Das ist es später geworden. Denn wenn du Wünsche hast, wenn du ein Projekt machst, dann musst du mit Politikern reden. Aber wir sehen unsere Aufgabe nicht darin, zu sagen, dass Deutsche Migranten oder Ausländer nicht mögen, oder darin, die Regierung zu kritisieren. Wir versuchen, mit unserer Kultur mit Politikern zusammenzustehen.

Sie haben keine Probleme mit Vorurteilen?

Es stimmt, dass manche Leute denken: Alle afrikanischen Menschen sind kriminell und Drogendealer. Aber dann müssen wir Afrikaner selber dieses Bild ändern. Deswegen lassen sich Kultur und Politik nicht trennen. Aber wir fokussieren uns dabei auf Kultur, Religion und auch Sport, weil Sport eine Möglichkeit ist, Disziplin zu lernen, Regeln einzuüben: Deswegen gibt es auch beim Kulturtag das Jugendturnier um den Mandela-Cup.

Afrika-Kulturtag

Samstag, 29. Juli, in der Pauliner Marsch, am Osterdeich, ab 14 Uhr

Mit: Inganzo-Nimugweragwere (traditioneller Tanz aus Ruanda), Abraham Misgna (Eritrea, traditionelle Tigrigna-Musik), Magic Daddy (Zauberer), Jesty B./Stone Baba/Iyke Cele (Afro-Beat), E Salam, Congo Dixon/Milton (Reggae aus Jamaika), Jean Eone aka Papa Africa & his African Band (Kamerun)

Modenschau mit Korkor’s Fashion und Antonini avö Fashion

Parallel zum Kulturprogramm findet das Fußballturnier um den Mandela-Cup statt

Mehr Infos auf: www.pan-afrika-online.org

Fußball gehört auch zu Ihrer Arbeit mit Geflüchteten?

Ja, jeder mag Fußball, es ist ein tolles Gefühl, gerade für Jugendliche, Jungen und Mädchen, Fußball mit einem echten Trikot zu spielen. Fußball ist Teil unseres Konzepts. Vor allem aber geben wir unsere Erfahrungen weiter.

Welche Erfahrungen genau?

Als ich 1988 nach Deutschland kam, gab es für uns gar nichts. Man sagte: Du fliegst eh wieder zurück nach Nigeria, was brauchst du Sprachunterricht. Für den Kontakt mit den Behörden wurde geschaut: Wo kommst du her? Ah, du bist aus Nigeria, das war eine englische Kolonie – also besorgt die Behörde einen englischen Dolmetscher. Aber Nigeria hat über 200 Muttersprachen. Und viele von uns hatten keine Chance, zur Schule zu gehen. Die haben kein Englisch gelernt.

Da hilft ein Englisch-Dolmetscher nicht viel.

Der hilft überhaupt nichts. Und wenn ich beten wollte, ich bin Muslim, hieß es: Hier kannst du nicht beten. Aber ohne Sprache kommst du auch nicht an weitere Informationen. Und all diese Kleinigkeiten, von denen die Behörde nichts weiß und nichts wissen will, die machen den Anfang schwer. Das erste, was wir also mit den Neuangekommenen hier machen, ist: Orientierung. Wir gehen mit ihnen in die Stadt. Den Verkehr erklären. Fahrradweg: Gibt’s in Afrika nicht. Oder Fußgängerampeln: Wenn kein Auto kommt, gehen wir. Aber wenn hier die Ampel rot ist, musst du stehen bleiben. Das sind Dinge, die muss man erst mal erklären. Sonst heißt es wieder: Guck mal, rote Ampel, einfach durchmarschiert, immer diese Afrikaner!

Jesty B., immerhin Gewinner des deutschen Afrobeat-Music-Award 2016, lebt auch erst seit 2015 in Deutschland: Steht er sozusagen für die vielen neu nach Deutschland gekommenen Menschen im Programm?

Ja. Unser Verein möchte, dass neu in Deutschland angekommene Menschen die Chance haben, auf der Bühne zu stehen. Damit sie lernen, damit sie das gute Gefühl haben: Ich bin auch ein Mensch. Ich bin nicht nur ein Flüchtling, ein Neuankömmling …

… sondern eben ein Mensch.

Ja, ein Mensch. Letztes Jahr hatten wir das auch gemacht: Da waren Geflüchtete auf der Bühne, und es war fantastisch, für alle. Das Gefühl, auf so einer riesigen Bühne zu stehen, und davor die Menschen, die tanzen …

Muritala Awolola

59, in Erin-Ile, Nigeria, aufgewachsen, kam 1988 nach Bremen. Er ist Vorsitzender des Pan-Afrikanischen Kulturvereins.

Dabei bezieht Musik ihre integrative Kraft auch gerade daraus, dass sie ermöglicht, das Eigene zu artikulieren: Gerade die Tigrigna-Musik, mit der Samstag das Programm beginnt, lässt sich vom Kampf für Unabhängigkeit doch gar nicht trennen?

Uns ist wichtig, dass die Menschen glücklich sind, wenn jemand aus ihrem Land auf der Bühne steht und eine Musik macht, die ihnen vertraut ist und der die Sprache ihrer Heimat singt. Wir haben Künstler aus dem Westen, aus dem Norden, aus dem Osten – die großartige ruandische Tänzerinnen-Gruppe Inganzo-Nimugweragwere aus Hannover, die mussten wir sofort engagieren, als wir das Demovideo gesehen haben. Aber es ist schrecklich schwierig, Kultur zu finanzieren. Fürs Fußballturnier bekommen wir ja vom Integrationsamt Geld, und der Ortsbeirat fördert uns auch, aber Kultur können wir uns nur dank unserer Sponsoren leisten.

Und dank des Kultursenators?

Vom Kultursenator kriegen wir nichts. Dabei ist unser Anliegen Kultur. Wir haben den Eindruck: Kulturförderung geht immer nur an die großen Träger.

Wieso?

Für die Kleinen sind die bürokratischen Hürden einfach zu hoch: Mal nimmt man Anstoß daran, dass wir gleichzeitig auch ein Fußballturnier ausrichten, mal muss klargestellt werden, dass mit dem Geld kein Catering für die KünstlerInnen finanziert wird. Und wer Fördergelder für eine Bühne beantragt, muss der Behörde erst genau sagen, wer auftritt – dabei können wir das nur entscheiden, wenn wir wissen, wie viel Geld wir haben.

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