Wir lassen lesen: Auf teure Hose gemacht. Grandios gescheitert
Mit der wörtlichen Übersetzung des Titels von Thomas Dekkers Autobiografie hat es der deutsche Covadonga Verlag zum Glück nicht versucht. „Mijn Gevecht“ heißt nämlich „Mein Kampf“, und damit hätte der niederländische Exradprofi vielleicht für Schlagzeilen gesorgt, nicht aber für eine seriöse Beschäftigung mit seinen Erinnerungen.
„Unter Profis“ heißt nun die deutsche Übersetzung, und Dekker beschreibt dort so schonungslos ehrlich, wie es mittlerweile zum guten Ton von Exradprofis zu gehören scheint, seine Karriere, die an Doping beziehungsweise Dekkers diesbezüglicher Überführung zerbrach.
Mitte der nuller Jahre wurde Dekker als Riesentalent gehandelt. Eines der zentralen Probleme Dekkers scheint zu sein, dass er wusste, dass er ein Riesentalent war. Und das zu einem Zeitpunkt, zu dem der Radsport gerade die Dominanz einer bestimmten Führungsfigur (gemeint ist Lance Armstrong) loszuwerden versuchte. Dekker wusste also nicht nur, dass ihm gefälligst der Himmel gehören sollte, sondern er benahm sich auch so, wie er glaubte, dass man sich so einer benehmen sollte.
Im Nachwort des Journalisten Thijs Zonneveld, der die Geschichte für Dekker aufschrieb, liest sich die Geschichte vom ersten Treffen so: „Er holte mich mit seinem Porsche vom Flughafen in Pisa ab.“ Dabei trug er eine Jogginghose aus Kaschmir für 600 Euro.
So einer eben. Hat auf teure Hose gemacht, jetzt macht er auf ehrlich. Es geht um eine langweilige Kindheit in der Provinz Nordholland, es geht darum, wie Dekker, der im Eisschnelllauf nicht groß rauskam, den Radsport für sich entdeckte, wie die Familie ihn in jeder Hinsicht unterstützte, und wie er an seine ersten Verträge kam.
Autor Zonneveld ist zu verdanken, dass die einzelnen Geschichten, die Dekker erzählte, gecheckt wurden, dass auch die ihm unangenehmen Aspekte ihren Platz erhalten. Also erfährt der Leser, was aus ähnlichen Radsportbiografien auch schon bekannt ist: wie Fahrer langsam mit den jeweils üblichen Dopingsubstanzen in Kontakt kommen, wie wahlweise passiv oder fördernd die Rennställe sich dazu verhalten, wie mal offen, mal heimlich und mal gar nicht unter den Profis darüber gesprochen wird. Und, das schreiben Dekker/Zonneveld deutlicher als andere Autoren ähnlicher Bücher, man erfährt viel über die Arbeitsweise des Unterstützerumfelds. Dekker gehörte etwa zu den wenigen namentlich bekannten Kunden des spanischen Arztes Fuentes.
Dass das Buch letztlich doch nicht ganz so schonungslos ist, wie es präsentiert wird, zeigt sich, schaut man sich die privaten Berichte an: Viel liest man über die Eltern, die sich Sorgen machten, ihren Sohn förderten und doch kaum etwas von ihm wussten. Kaum etwas liest man hingegen über Dekkers langjährige Freundin. Außer dass er sie ständig betrogen hat, ihm dies in seinem späteren, dem ehrlichen Teil, Leben sehr leidtut, erfährt man nichts.
Was dennoch herauskommt, ist die Geschichte eines grandiosen Scheiterns. Vermutlich wäre vieles von dem, was Dekker sich in jungen Jahren erträumt hatte, möglich gewesen: Erfolge bei Tour und Giro, Klassikersiege, Kapitän eines guten Teams, Weltmeister- und Olympiasiegertitel. Doch in der Bilanz stehen eine Tour-Teilnahme (Platz 35), einmal Vuelta (Platz 149), und drei Giros (Platz 75, Platz 136 und einmal aufgegeben). Und zur Bilanz gehört das Wissen, von dem er sich nichts kaufen kann: Dass er in der Fachwelt einmal als großes Talent galt. Martin Krauss
Thomas Dekker, Thijs Zonneveld: „Unter Profis“. Covadonga Verlag, Bielefeld 2017, 220 Seiten, 14,90 Euro
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