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Ausstellung über Trisomie 21Glotzt nicht so freundlich

Die Galerie im Park setzt sich in der Ausstellung „Touchdown“ mit der Geschichte und der Ausgrenzung durch das Down-Syndroms auseinander

Ausgrenzung beginnt beim Blick: Ob ängstlich, abweisend oder freundlich, meistens wird gestarrt Foto: Martin Langhorst/Haus im Park

Bremen taz | Sie haben in ihren Körperzellen ein Chromosom mehr als fast alle anderen Menschen – und wurden daher lange als weniger gesellschaftsfähig angesehen, die Menschen mit Trisomie 21. Über ihre Ausgrenzung einst und jetzt sprachen Angehörige und Zeitzeugen in der Galerie im Park, die sich bis zum 27. August in der Ausstellung „Touchdown“ mit der Geschichte des Down-Syndroms auseinandersetzt.

Vor 78 Jahren, so berichtet Hans-Walter Küchelmann, wurde seine behinderte Schwester für eine Woche in ein Heim gegeben, um die Familie zu entlasten. Das Kind kam bereits Tage später tot zurück. Angeblich plötzlich erkrankt und verstorben. „Schwachsinnig“ stand in der Krankenakte. Ein Beispiel für die laut Ausstellung mehr als 800 Kinder, Jugendlichen, Frauen und Männer aus Bremen, die zu den Opfern der nationalsozialistischen Medizinverbrechen wurden.

Heute sei Inklusion in aller Munde, aber Begeisterung für etwas andere Menschen immer noch eingeschränkt, berichtet Judith Hennemann, Mutter einer 20-Jährigen mit Down-Syndrom. Trotz künstlerischer, sozialer, politischer Initiativen sind gerade geistig Behinderte weniger in den Alltag integriert als in Einrichtungen wie den Martinshof separiert. Ausgrenzung beginne beim Augenkontakt, so Hennemann.

Abweisend, irritiert, ängstlich, mitleidig, neugierig, freundlich wirke es, „aber es ist immer ein Glotzen, Stieren, Starren, dem meine Tochter in der Öffentlichkeit ausgesetzt ist“. Und weil Down-Syndrom-Menschen häufig viel jünger aussehen als sie sind, werden sie im Supermarkt schon mal für ein Kind gehalten und geduzt, was als Respektlosigkeit empfunden wird. Trisomie 21 ist keine Krankheit, sondern eine Behinderung – und sie werde gerade abgeschafft, sagt Galerie-Chef Achim Tischer.

Bei der von Wissenschaftlern errechneten Wahrscheinlichkeit von 0,2 Prozent, ein Kind mit Trisomie 21 zu bekommen, würden jährlich etwa 1.500 in Deutschland geboren. Da die Genmutation heute bereits vor der Geburt festgestellt werden kann, wird aus dem, was einst als Schicksal akzeptiert werden musste, eine moralische Entscheidung: Die geschätzte Abtreibungsquote dieser Föten liegt bei weit über 90 Prozent.

„Laut Paragraf 218 ist dies bis einen Tag vor der Geburt möglich“, so Tischer. Bald gebe es nur noch Down-Syndrom-Kinder mit Migrationshintergrund, da in Familien vieler Geflüchteter die Pränataldiagnostik noch nicht zum Lebensalltag gehöre.

„Touchdown“ ist eine prima Einführung in den Themenkomplex. Sehr textlastig wirkt sie zwar dank großer Erklärtafeln, drumherum arrangiert ist aber ein buntes Patchwork mit Exponaten aus Archäologie, bildender Kunst, Zeitgeschichte, Medizin, Genetik und Film, ergänzt um Kunstwerke, die nicht als Outsider-Art das Trennende, sondern inhaltlich das Gemeinsame betonen, da sich Menschen mit Down-Syndrom darin mit Nähe, Liebe und Partnerschaft beschäftigten. Das beginnt mit Zitaten in einfacher Sprache. Hennemann liebt es, dass Menschen mit Down-Syndrom „einfach schneller auf den Punkt kommen“.

Die geschätzteAbtreibungsquote dieser Föten liegt bei weit über 90 Prozent

„Liebe ist leichte Sache zu schreiben, aber sagen oft peinlich“, ist da zu lesen. Und: „Liebhaben ist schön, aber auch anstrengend.“ Dazu sind homoerotische Zeichnungen zu sehen von muskulösen, spargeldürren Männern, zwei haben in der Badwanne Sex und äußern per Sprechblase: „Ja ja ja ja ja“ und „Oh oh oh oh“. Und wie möchten sie angesprochen werden? „Downie“ und „Mongo“ sei „doof“ und eine Beleidigung: „Besser ist: mein Name einfach.“

Touchdown, Galerie im Park, Bremen, bis 27. August

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1 Kommentar

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  • Ich lese: „Die geschätzte Abtreibungsquote dieser Föten liegt bei weit über 90 Prozent. ‚Laut Paragraf 218 ist dies bis einen Tag vor der Geburt möglich‘, so Tischer.“

    Das ist mir völlig. neu. Ich kann mir das auch nicht vorstellen. Ich wage auch gar nicht, mir das vorzustellen. Eine solche Auslegung des § 218 verstößt m. E. gegen das fünfte Gebot und gegen Recht und Gesetz.

    Die sog. Fristenlösung war vor einer Generation der – heftigst umstrittene – politische Kompromiss in der causa Abtreibung. Inzwischen gelten offenbar die Fristen 12 Wochen bzw. in dramatischen Fällen 22 Wochen nicht mehr. Nun ja, ich gebe zu: Ich bin ein Mann und kann da nur sehr begrenzt mitreden. Aber mittlerweile wiegt das Wohl der Frau, so stellt es sich für mich dar, schier fristlos schwerer als das Lebensrecht des ungeborenen Kindes. Oder geht es gar vielfach schlicht um die Befindlichkeit der Frau? Ihr sei möglicherweise ein behindertes Kind nicht zuzumuten. Das verstehe sogar ich. Allein, ich berufe mich auf Clemens August Kardinal Graf von Galen (1878-1946). Er hätte das als unchristlich angeprangert. Mutig auf der Kanzel. Wie er kann auch ich mitunter nicht schweigen. So auch hier. Ich stelle mir vor: Hätte vor 2017 Jahren Maria in Betlehem so gehandelt, wie es der Frau von heute anscheinend vielfach zugestanden wird, hätte sie in ihrer Not, keine Herberge zu finden, ihr Kind abgetrieben. Dann hätte es kein Christentum gegeben.

    Sei’s drum. Jedoch mit „Nähe, Liebe und Partnerschaft“, allesamt übrigens ursprünglich christliche Werte, gegenüber „Downie“ oder „Mongo“ oder wie das Kind auch immer heißen könnte, hat diese Auslegung des § 218, so sieht das für mich aus, allemal nichts mehr zu tun. Eher mit Eigenliebe.

    Martin Korol, Bremen