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Wissenschaftskritik im InternetElefanten im Labor

Wissenschaftler beleuchten ihre Zunft: Ein Webblog aus Berlin beschäftigt sich mit fragwürdigen Entwicklungen in der Forschung.

Ein „dickes Fell“ hilft, wenn man sich kritisch mit der Wissenschafts-Community auseinandersetzt Foto: dpa

Berlin taz | Der Elefant im Porzellanladen ist bekannt – ein rücksichtsloser Zeitgenosse. Vom „Elefanten im Raum“ ist dann die Rede, wenn ein dominanter Störenfried adressiert werden soll, von dem alle wissen, dessen Namen aber keiner auszusprechen wagt. Diesen virtuellen Problem-Elefanten hat jetzt eine Gruppe junger Berliner Sozialwissenschaftler ins Internetlabor geholt, um genau das zu tun: Ihr Webblog „Elefant im Labor“ (www.elephantinthelab.org) spricht die großen systemischen Probleme an, die der wissenschaftlichen Forschung zu schaffen machen, die aber bislang lieber unter den Teppich gekehrt werden.

„Wir sind von Wissenschaft begeistert und machen deshalb darüber einen Blog“, heißt es auf der Webseite. „Aber wir wollen nicht die neuesten Ergebnisse der Teilchenphysik oder Essays über Luhmanns Systemtheorie veröffentlichen, sondern uns geht es um die Probleme in der Wissenschaft, die jeder sieht, aber über die niemand spricht“.

Als Beispiele werden genannt: das Journalsystem der wissenschaftlichen Publikationen, die „Idiotie“ der Autorenschaft, die Zitationskartelle, die Karrierechancen von jungen Wissenschaftlern und die Aufstiegsmöglichkeiten von Frauen.

Das Ziel der Autoren von elephantinthelab.org ist es, die unausgesprochenen Probleme der Wissenschaft in wechselnden Dossiers zu diskutieren. „Es gibt Bedarf, die Elefanten im Raum deutlicher anzusprechen“, sagt Benedikt Fecher, Programmleiter am Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft (HIIG) und Mitgründer des Blogs.

Der Gesellschaft dienen

„Nur so kann Wissenschaft mit den digitalen Entwicklungen mithalten und als informierter Partner für die Gesellschaft dienen.“ Neben Fecher sind Christian Kobsda und Martin Schmidt weitere Gründer des Blogs. Alle drei sind am HIIG tätig, verfügen über langjährige Erfahrung in der Wissenschaftsforschung und im Wissenschaftsmanagement.

Das erste Monatsthema behandelt die Auswüchse der wissenschaftlichen Autorenschaft: Immer mehr Aufsätze geben nicht einen oder zwei, sondern eine Vielzahl von Autoren an. In der Physik sind schon Artikel mit 5.154 Autoren erschienen – in diesem Fall ging es um eine Entdeckung am internationalen Kernforschungszentrum Cern in Genf. „Die Hälfte des Papers bestand nur aus Namen und Adressen“, fanden die HIIG-Forscher heraus. „Jeder Autor hat im Schnitt 1,1 Worte für diesen Aufsatz geschrieben“. Die 20 am häufigsten zitierten Wissenschaftsaufsätze der Physik und Astronomie in den letzten 15 Jahren wiesen jeweils mehr als 1.200 Koautoren auf.

Das ist auch die tiefere Ursache der Autoren-Inflation: Veröffentlichungen in bestimmten Forschungsjournalen sind die zentrale „Währung“ der Wissenschaftsreputation. Je mehr Publikationen, desto besser gelingt die wissenschaftliche Karriere. Das hat zu einer „Salamitaktik“ der Scheibchenweise-Veröffentlichung von Ergebnissen geführt. Was früher ein zusammenfassender Forschungsreport war, erscheint nun als eine Artikelserie von Einzelaspekten. In diesem wuchernden Publikationswesen geht zudem der Überblick verloren, wo die wirklichen Wissenschaftsdurchbrüche stattfinden.

Jeder Autor hat im Schnitt 1,1 Worte für diesen Aufsatzgeschrieben

Nächste Themen der Wissenschaftskritiker werden Zitationskartelle, die Chancengleichheit in der Wissenschaft und die abnehmende Reproduzierbarkeit von Forschungs­ergebnissen sein. Wie sehr man sich auch den „Elefanten“ Plagiate und Fälschung von Forschungsergebnissen zuwendet, ist noch nicht entschieden. Wissenschaftliche Integrität und die Rolle von Whistleblow­ern zur Aufdeckung von Fehlverhalten sind weitere mögliche Themen.

Unterstützt wird der „Labor­elefant“ vom Berliner Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft (HIIG), wo das Projekt kürzlich auch präsentiert wurde. Das HIIG, ein Verbund von vier Wissenschaftseinrichtungen, darunter die Humboldt-Universität und das Wisssenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), betreibt gesellschaftsbezogene Internetforschung und wurde 2012 mit einer Millionenförderung von Google gestartet. Mit Sicherheit auch ein Elefant.

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1 Kommentar

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  • Es fehlen noch wichtige Aspekte:

    - Die sich immer wiederholdende und kurze Befristung von Stellen inklusiver weniger attraktiver dauerhaften Beschäftigungsmöglichkeiten in vielen Fachgebieten. Dazu gehören auch die niedriegen Professorengehälter und fehlende Stellen im Mittelbau. So können viele WissenschaftlerInnen keine Zukunftsplanung für Berug und Familie gestalten.

    - Zu starke Stützung auf Drittmittelgelder, die hohen Verwaltungsaufwand nach sich ziehen und das freie Forschen in vielen Fällen eher verhindern als fördern.

    - Zu viel Verwaltung.