Die Gesellschaftskritik: Endlich mal zurückgekotzt
WAS SAGT UNS DAS? Berlins Partypolizisten bleiben unbehelligt – richtig so!
Wer an einem Wochenende durch eines der von Touristen besonders frequentierten Viertel Berlins geht, braucht gute Nerven. Oder viel Alkohol.
Aus dem ganzen Land kommen sie zusammen: Hamburger Abiturienten, schwäbische Hausfrauen, bayerische Jungbauern, die in der Hauptstadt mal richtig die Sau rauslassen wollen, auf offener Straße Bier trinken, herumlärmen und in die Hauseingänge kotzen. Jetzt könnte man sauertöpfisch wie ein Grüner reagieren, Kieztreffen einberufen und „Kreuzberg den Kreuzbergern“-Parolen rufen. Oder man kann zur Revanche einfach die Berliner Polizei in den Westen schicken. Damit die denen mal zeigt, wie das ist.
So zogen denn 220 abgeordnete Partypolizisten nach Hamburg, um dort anlässlich des G20-Gipfels ein bisschen zurückzufeiern. Und wie reagieren die hanseatischen Snobs, wenn man sich in ihrer Stadt mal so benimmt, wie ihr Nachwuchs das in Friedrichshain an jedem Wochenende macht? Sie schicken einen empört nach Hause.
Natürlich taten in Berlin alle zunächst ganz betreten. Aber hauptstadtintern klatschte man sich erfreut ab: Mission accomplished. Folgen für die Polizei? Ach was! Winfrid Wenzel, der Sprecher der Berliner Polizei, verkündete nun: Alles halb so wild, „disziplinarwürdig ist an diesem Verhalten nichts“. Eben! Es gebe zudem keine Belege, keine Videoaufnahmen oder Fotos, die „in irgendeiner Weise disziplinare Folgen“ haben müssten. Die vorliegenden Videoaufnahmen oder Fotos, die sich jeder im Netz anschauen kann, zeigen eben ganz normal Berliner Freizeitverhalten. Völlig folgenlos bleibt die kleine Klassenfahrt aber dann doch nicht. Man habe, sagt Polizeipräsident Kandt, „sensibilisierende Gespräche zum Thema Rolle und Selbstverständnis der Polizei“ geführt. Sensibilität! Kein Wunder, dass die Polizeiführung in Hamburg damit nichts anfangen konnte. Wer einen Bürgermeister wie Olaf Scholz hat, der zuckt bei dem Begriff „Sensibilität! gleich nervös mit dem Schlagstock.
Und so sehen Rolle und Selbstverständnis der Polizisten dann konkret aus: Während sie in Berlin Dienstagnacht laut Polizeibericht einen Einbrecher festnahmen, der ihnen aufgefallen war, weil er „verdächtig lässig an einem Fenstersims vor einem geschlossenen Lokal lehnte“, richten die Hamburger Kollegen zeitgleich lieber den Wasserwerfer auf jeden, der eine Flasche Bier in seiner Hand hält, und prügeln verdächtig lässig in ihren Zelten liegende Camper aus der Stadt. Kein Wunder also, dass das ganze Land lieber nach Berlin zum Feiern kommt. Vielleicht denken die Besucher ja beim nächsten Mal daran, deswegen nicht gleich überall hinzupinkeln. Sonst muss man eben doch mal ein paar sensibilisierende Gespräche führen. Heiko Werning
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