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Die WahrheitDas Stockholm-Küchen-Syndrom

Kolumne
von Susanne Fischer

Wohnen ist neuerdings eine Art Lebensaufgabe, für die diese Sache namens Geschmack verlangt wird – zumindest beim Möbelkauf …

W er unvorsichtig einen Möbelladen betritt, muss damit rechnen, mit einem fremden Geschmack wieder herauszukommen. Außer bei Ikea, denn da ist das friendly fire namens Beratung Mangelware. Ein echter Vorteil. Andererseits bin ich zu alt, um mich von Stehlampen mit komischen Namen duzen zu lassen, deswegen kommt Ikea inzwischen nicht mehr in Frage.

Ich habe vergessen, seit wann Wohnen zur Aufgabe wurde, aber seit ein paar Jahren ist das so. Ist das ein gesellschaftlicher Trend oder eine Frage des Lebensalters, dass man meint, nicht nur der Lebenspartner müsse zu einem passen, sondern auch die Möbel? Und wann entwickelt sich eigentlich der Geschmack?

Meine beste Freundin in der Schule lebte in einem Jugendzimmer ganz in weißem Schleiflack. Als Clou (so sagte man damals) stand darin ein schneeweißer Sitzsack. Das wollte ich auch, das bekam ich aber nicht. Eine Schrankwand aus Karstadts Holzimitat musste reichen. Um meine Eltern zu bestrafen, schlief ich später in meinen Studentenbuden eine Weile auf Matratzen auf dem Fußboden, was sie allerdings nicht merklich beeindruckte. Meine sechs WG-Zimmer-Wechsel in dieser Zeit funktionierten da schon besser, da die liebenden Eltern jeden Umzug mit Kistenpacken und Kartoffelsalat begleiten mussten. Ich hatte viele Bücher und war eine teuflische Tochter.

Emotional hänge ich offenbar immer noch an dieser Zeit der zusammengelaufenen Möbel und offenen Küchenregale. Ich mag das. Wahrscheinlich will ich mich bloß wieder jung fühlen. Aber mein Umfeld gibt mir zu verstehen, dass man so einen bescheuerten Tick nicht mit Geschmack verwechseln darf und es sei auch wirklich gar nicht praktisch, das ganze Geschirr vom Bratendunst einsauen zu lassen. Was die Wahrheit ist.

So landete ich irgendwann doch dort, wo ich nie hinwollte: Im Küchenstudio. Mit „Nur mal gucken!“ startete ich und endete in Wennschondennschon-Stimmung: Ein Küchenblock sollte her (hat meine beste Freundin nämlich) und viel Granit (hat sie nicht, ha!). Nun, ich hätte beides haben können, allerdings erst nach umfangreichen Umbauarbeiten im Haus und auf meinem Bankkonto.

Erwachsen werden heißt Verzicht lernen. Offenbar heißt es auch noch, selbstschließende Schubladen und Drei-Stufen-Dimmer in der Arbeitsplattenbeleuchtung als tollste Erfindung der Menschheit abzufeiern. Ich lerne es nie. Aber aus dem Küchenstudio darf man erst wieder heraus, wenn man unterschrieben hat. Erwachsen sein heißt, unterschreiben zu lernen, ohne zu schreien.

Man tut befreundet mit dem Feind. Man glaubt sogar selbst daran, dass das Leben in einer neuen Küche noch einmal ganz anders … nee, doch nicht. Man will nur ganz schnell aus der Hölle der selbstauffaltenden Abzugshauben und der Topfkarusselle mit Musik wieder heraus. Die Umgestaltung der Wohnung wird zum weiteren unausweichlichen Naturereignis im Erwachsenenleben.

Aber morgen kaufe ich mir bestimmt einen Sitzsack.

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