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Interview mit Malaria!-Sängerin„Älter werden kann schön sein“

Bettina Köster hat den Westberliner Underground der 1980er Jahre geprägt, sich vom Musikgeschäft verabschiedet – und ist nun mit neuem Album zurück.

„Als in den 1980ern plötzlich alle begannen, Speed zu nehmen, waren wir viel zu arm, um uns die Drogen leisten zu können. Vielleicht bin ich deshalb noch am Leben?“: Bettina Köster, fotografiert für die taz Foto: André Wunstorf
Interview von Thomas Winkler

taz: Frau Köster, haben Sie denn heute schon etwas zu essen bekommen?

Bettina Köster: Ja, ein süßes Croissant. Das war sehr lecker.

Die Zeiten, in denen Sie für Ihre Kunst gehungert haben, sind also vorbei?

Na ja, mal so, mal so. Aber es geht ja nicht ums Geld.

Vor rund zwei Jahren haben Sie gesagt: „Wer Kunst machen will, der soll dafür auch hungern wollen.“

Das finde ich auch richtig. Ich habe ja auch alles mir zur Verfügung stehende Geld ausgegeben für diese Platte. Aber erstens hat es mir Freude gemacht, und zweitens habe ich jetzt eine Platte.

Sie haben Ihr Häuschen in Süditalien verkauft?

Nein, nein, das miete ich ja nur. Ich bin da ein gern gesehener Gast.

Waren Sie schon mal pleite?

Ja, ich hatte schon mal ein Loch im Schuh.

Offenbarungseid?

Als ich 1983 nach New York ging, wollte ich drei Wochen bleiben. Daraus sind 20 Jahre geworden

Nein, aber wer weiß, was noch kommt. Ich glaube aber nicht, dass ich verhungern werde. Aber wenn man das macht, was man machen will, dann muss man auch gewillt sein, ein Kleid weniger zu kaufen. Man muss … – wie nennt man das?: Prioritäten … Man muss Prioritäten setzen. Und tatsächlich hatte ich sehr, sehr wenig Geld, als ich mich 2004, 2005 entschlossen hatte, wieder Musiker zu werden. Da war mir klar, dass ich erst einmal kein Geld damit verdienen würde. Aber wenn ich etwas ausholen darf …

Im Interview: Bettina Köster

Die Frau: geboren am 15. 6. 1959 in Herford, wächst in Westberlin auf. Studiert Ende der 1970er an der Hochschule der Künste, hängt aber vor allem in Clubs wie dem Dschungel ab und wird zu einer der zentralen Figuren der musikalischen Avantgarde der Mauerstadt. 1979 eröffnet Köster zusammen mit Gudrun Gut in einer Ladenwohnung in der Goltzstraße das Eisengrau, eine Mischung aus Boutique, Club, Super-8-Kino, Galerie, Plattenladen und Kassetten-Label. Das Eisengrau wird zum Kristallisationspunkt einer Szene, aus der Projekte wie Die Tödliche Doris oder Einstürzende Neubauten entstehen.

Die Bands: Ab 1978 spielt Köster Saxofon bei Din A Testbild. 1979 gründet sie mit Gudrun Gut und Beate Bartel die Frauenband Mania D., die kurz darauf in New York auftritt, sich 1981 aber entzweit. Aus den Ruinen entsteht (wieder mit Köster und Gut) Malaria!, die in den coolsten Clubs von London und New York auftreten, mit Siouxsie and the Banshees und Nick Caves Birthday Party auf Tour gehen, und mit „Kaltes Klares Wasser“ einen Underground-Hit haben – sich aber 1984 auflösen. Da lebt Köster schon in New York. Mittlerweile pendelt sie zwischen Italien, New York und Berlin.

Das neue Album:„Kolonel Silvertop“ ist Kösters erstes Album seit acht Jahren, entstand in Italien und Berlin unter Mithilfe alter Kollegen wie Christine Hahn (Malaria!) oder Jochen Arbeit (Einstürzende Neubauten) und neuer Kollaborateure wie Justus Koehnke; erscheint am 14. 7. (to)

Nur zu!

Ich war ungefähr zu dieser Zeit damals in Triest bei einer Astrologin. Die meinte, ich hätte ein typisches Horoskop für eine Musikerin. Aber dann guckte sie ganz erschrocken und sagte: „Oh, wie schrecklich.“ Bei mir wäre es so: Immer wenn ich Geld hätte, würde ich alles ausgeben, und dann müsste ich wieder ganz von vorn anfangen. Das würde ich immer so machen, und da sei auch kein Ende abzusehen. Da musste ich laut lachen, weil das ja genau stimmte.

Hat Sie das nicht erschreckt?

Nein. Die Astrologin schon, mich nicht. Aber ich hab ja auch langsam Routine damit.

Hatten Sie nie Angst, dass das mit dem Wiederanfangen mal nicht mehr klappen könnte?

Doch, klar, als ich jünger war. Aber ich hab mir darüber nie wirklich Gedanken gemacht. Denn erst einmal muss man das Bedürfnis haben, sich künstlerisch ausdrücken zu wollen. Dann sollte man sich Gedanken machen, was man sagen will. Und dann, wie man es sagen will. Und irgendwann kann man auch mal darüber nachdenken, wie man damit seinen Lebensunterhalt verdienen kann. Aber nicht in umgekehrter Reihenfolge. Man muss bereit sein, vielleicht sogar mal Kohldampf zu schieben. Aber auch so etwas ist im Nachhinein ganz gut. Als in den 1980ern in Westberlin plötzlich alle begannen, Speed zu nehmen, waren wir von Malaria! viel zu arm, um uns die Drogen leisten zu können. Vielleicht bin ich deshalb noch am Leben? Aber es stimmt schon, man muss auf Dinge verzichten, auf eine Familie zum Beispiel. Denn Kinder zu haben, das wäre verantwortungslos, so wie ich lebe. Aber der Verzicht ermöglicht einem im Gegenzug eine künstlerische Freiheit, die anders nicht zu haben ist. Man muss sich entscheiden: Will ich leben, um zu schaffen? Oder schaffen, um zu leben?

Im Umkehrschluss bedeutet der Satz, dass man hungern muss für die Kunst, ja auch, dass aus einer komfortablen Situation heraus keine große Kunst entstehen kann.

Nein, das will ich damit gar nicht sagen. Überhaupt nicht. Ich will vor allem sagen: Man soll Kunst machen, weil man Kunst machen will. Nicht, weil man Geld verdienen will. Wie die alten Griechen sagen: art for art’s sake. (lacht laut)

Trotzdem hatten Sie eine ganze Zeit lang nicht mehr das Gefühl, noch Kunst machen zu müssen.

Ja, ich war mehrere Jahrzehnte lang eingeschnappt (lacht). Als 1986, 1987 die großen Plattenfirmen auftauchten und alles übernahmen, fand ich das nur noch schrecklich. Da habe ich mir gesagt, ich möchte mir die Liebe zur Musik bewahren und nehme mich lieber aus dem Geschäft raus. Wohlgemerkt aus dem Geschäft: Ich habe immer weiter Musik gemacht, aber halt nur noch selten etwas veröffentlicht. Ich hatte dann in New York eine ganze Weile auch noch eine Band mit Sara Lee von Gang of Four, die hat Bass gespielt, und Barbara Gogan von den Pas­sions. Die Band hieß In The Service Of, und wir sind viel aufgetreten, aber wir haben fast nur in New York gespielt, vielleicht sind wir mal nach Washington gefahren. New York reichte uns, da gab es so viele Clubs damals.

Und das reichte zum Leben?

Natürlich nicht. Als ich 1983 nach New York ging, wollte ich drei Wochen bleiben. Daraus sind dann ungefähr zwanzig Jahre geworden. Und irgendwann musste ich natürlich Geld verdienen. Meinen ersten Job habe ich bei einer schottischen Putzagentur gefunden. Ich war zuständig für die Jalousien: Zwischen den Lamellen sauber machen, das konnte ich besonders gut. Dann habe ich bei der Danceteria angefangen …

… dem legendären New Yorker Club, der von dem Deutschen Rudolf Pieper geführt wurde.

Genau. Ich kannte Rudolf, weil wir mit Malaria! dort gespielt hatten. Angefangen habe ich als Rezeptionistin. Dann haben die mir Buchhaltung beigebracht, und ich wurde Tagesmanager, habe den Schnaps bestellt, Gehälter ausgezahlt. Als die Danceteria zugemacht hat, weil sich der Laden nicht mehr rentiert hat, wurde es finanziell eng. Da brauchte ich Geld, und wo gibt es Geld? Bei der Bank. Also habe ich mir an der Wall Street einen Job gesucht, und ich hatte Glück, dass ich zweisprachig war, und habe etwas bei einer deutschen Bank gefunden.

Bei der Deutschen Bank?

Nein, bei einer deutschen Bank. Da hat mir jemand Marktanalyse beigebracht, und ich wurde Chartist. Ich habe im World Trade Center gearbeitet, aber irgendwann wurde mir klar: Die produzieren ja alle nichts. Vor allem die Broker, denen war alles egal. Da liefen Kungeleien, Insidergeschäfte, vieles, was wirklich nicht erlaubt war. Ich hab dann auch eine Menge Geld verloren mit Investitionen in Ölquellen, die es wahrscheinlich nie gegeben hat …

Und die Musik?

2004 wollte ich dann doch wieder mit der Musik anfangen, aber da musste ich mich erst einmal finden. Nicht wiederfinden, denn was ich gewesen war, das wusste ich ja. Ich musste nach der langen Zeit erst einmal herausfinden, wer ich nun war, welche Musik dieser Mensch machen würde. Wie will ich singen? Was will ich singen? Das hat gedauert. Ich arbeite sehr langsam.

Was dauert so lang?

Ich brüte erst einmal sehr lange vor mich hin. Ich putze Fenster. Ich fahre lange Auto. Und hoffe, mir fällt etwas ein. Aber wenn ich eine Idee habe, dann ziehe ich die auch durch. Und denke oft erst hinterher darüber nach, ob die Idee jetzt wirklich so besonders gut war. Das gilt für die Kunst, aber auch fürs Leben. Da läuft man natürlich auch mal gegen die Wand, aber am Schluss hat es immer funktioniert. Und wenn man immer wieder von vorne anfängt, dann bekommt man Routine. Wiederholung macht gelassen.

Ich habe immer weiter Musik gemacht, aber halt nur noch selten etwas veröffentlicht.

Kann man sagen, dass diese radikale Einstellung, das Leben der Kunst unterzuordnen, eine für die achtziger Jahre typische ist, die Sie aus dieser Zeit her­übergerettet haben?

Ja, das kann schon sein.

Wenn Sie sich heute so umschauen: Fehlt diese Entschlossenheit bei den Jüngeren?

Das kann ich nicht so richtig beurteilen, gerade auch auf Berlin bezogen, weil ich erst seit September wieder zurück bin. Aber ich habe schon viel mit jungen Leuten zu tun, und was ich merke, dass die ganz Jungen, zwischen 18 und 24 Jahren, die sind nicht so blauäugig, wie wir es waren. Die sind auch unheimlich gut informiert und wissen, was vor ihnen passiert ist.

Und weiß der Nachwuchs zu schätzen, was Sie vor drei Jahrzehnten gemacht haben?

Ja, aber das liegt auch daran, dass die Ästhetik, die wir vor allem mit Malaria! musikalisch und visuell geprägt haben, nicht altmodisch geworden ist – im Gegensatz zu vielem, was dann als Neue Deutsche Welle verkauft wurde. In unserer Musik ging es ja nicht um schöne Melodien, sondern durchaus darum, zu nerven und gewisse Sachen anzustoßen. Das hat bei einigen funktioniert, zum Beispiel ja auch bei Thurston Moore, der uns gesehen hat und sich gesagt hat: Wenn die sich das trauen, dann kann ich auch eine Band gründen. Und so sind Sonic Youth entstanden. Ich habe das Gefühl, dass die Musik von Malaria! immer noch diese Qualität hat. Und „Kaltes Klares Wasser“ lief ja tatsächlich hoch und runter und läuft immer noch. Das ist offensichtlich zeitlos.

Wie ist Ihr Verhältnis zu diesem Lied, Ihrem einzigen Hit?

Ich mag das Lied bis heute sehr gerne. Auch weil es so einfach kam. Es war, als ging mir der Kopf auf, und das Lied war plötzlich drin. Wie zugeflogen. Das war einer dieser schönen Momente, die gar nicht so oft vorkommen. Aber ein richtiger Hit war es ja nicht.

„Kaltes Klares Wasser“ zahlt nicht Ihre Miete?

Pffft. Dafür reicht es lange nicht, das Geld haben wir immer eher mit Konzerten verdient. Gut, wenn man das über die 35 Jahre zusammenzählt, kommt zwar ein bisschen was zusammen, aber solch ein großer Hit war es dann auch wieder nicht. Eigentlich hatte ich noch nie einen richtigen Hit. Aber was nicht ist, kann ja noch werden. Ich bin ja noch jung. (lacht)

Finden Sie, Ihr Lebenswerk wird angemessen gewürdigt?

Ich denke ja, dass mein Lebenswerk noch nicht ganz fertig ist, deshalb habe ich da noch nicht richtig drüber nachgedacht. Ich hoffe, dass mein neues Album wahrgenommen wird. Und angehört wird, gern ein paar Mal.

Wenn Sie so zurückblicken, auf was sind Sie noch stolz?

Hm, da habe ich auch noch nicht drüber nachgedacht.

Die ganz Jungen, zwischen 18 und 24 Jahren, sind nicht so blauäugig, wie wir es waren. Die sind unheimlich gut informiert und wissen, was vor ihnen passiert ist.

Wirklich nicht?

Nein, ich denke anscheinend eh nicht so viel nach, merke ich gerade. (lacht) Worauf ich stolz bin: Dass ich immer für Frauenrechte eingestanden bin und Frauen dazu beflügelt habe, auch für Frauenrechte einzustehen, und für ein solidarisches Miteinander. Mein großes Idol war Pippi Langstrumpf. So wollte ich leben.

Wie bewusst war diese feministische Haltung damals?

Nicht sehr bewusst. Das entstand daraus, dass wir alle vorher mit Jungs gespielt hatten – und uns auf der Bühne nie hören konnten, weil die Jungs ihre Verstärker immer dermaßen laut aufgedreht haben. Die wollten auch unsere Ideen nie hören. Deswegen haben wir Frauenbands gegründet, da mussten wir uns wenigstens nicht mehr um die Lautstärke streiten. Mehr steckte da erst einmal nicht dahinter. Aber wir hatten ein Selbstverständnis, weil es ja Frauen gab, auf die wir uns beziehen konnten, ob es Alice Schwarzer war oder Mo Tucker von Velvet Underground, die fanden wir alle großartig. Wenn wir uns die Haare abgeschnitten haben, dann nicht, weil wir bewusste Feministinnen waren, sondern weil wir ein feministisches Selbstverständnis hatten: Mädchen können das. Und das reichte schon, um massive Irritationen auszulösen.

Wie sahen die aus?

Wir wurden mit unseren Frisuren und Outfits, die inspiriert waren von der Mode der 20er und 30er, von Stummfilmen und Majakowski, selbst innerhalb der feministischen Szene als Provokation empfunden. Aber natürlich haben wir vor allem das andere Geschlecht irritiert: Es gab eine Sorte Männer, die sind bei Konzerten unglaublich sauer und aggressiv geworden, die haben uns beschimpft. Auch bei den Plattenfirmen, wo damals fast ausschließlich Männer arbeiteten, konnten die nichts mit uns anfangen. Wir waren kein Massenprodukt, aber wir haben in New York und London gespielt, wir waren für eine Kellerband aus Westberlin sehr erfolgreich und angesagt – und hätten eigentlich eine große Plattenfirma hinter uns haben sollen. Aber mit dem nächsten Schritt hat es nie geklappt, weil die Männer in den Plattenfirmen Angst vor uns hatten. Da hieß es: Kann man sich auf die Mädels verlassen? Die haben doch einen Journalisten in Wien gefesselt und ausgepeitscht.

Und, hatten Sie?

Ich hatte noch als Jugendliche eine ganz glockenhelle Stimme.

Natürlich nicht. Das hatten wir nur angedroht, und das war auch in Referenz an Hermann Nitsch [Wiener Aktionskünstler – Anm. d. Red.] Aber nicht jeder hat unseren feinsinnigen Humor verstanden. (lacht)

Es war ja nicht nur Ihr Outfit. Die irritierende Androgynität fand ja eine Fortsetzung in Ihrer wahnsinnig tiefen Stimme.

Ich hatte noch als Jugendliche eine ganz glockenhelle Stimme. Ich habe gern zur akustischen Gitarre Joan Baez gesungen, und eines Tages, ich war 16 oder 17 Jahre alt, da hatten wir Besuch, und meine Mutter hat gesagt: Bettina, komm doch mal runter und sing uns was vor. Da hat sich der Besuch so kaputtgelacht über meine hohe Stimme, dass sich in meinem Kopf etwas verschaltet hat. Von diesem Tag an hatte ich so etwas wie einen psychologischen Hänger, ab da war meine Stimme so tief, wie sie jetzt ist.

Kaum zu glauben.

Aber wahr. Jetzt fällt mir noch etwas ein, auf das ich wirklich stolz bin: Ich habe einen Preis von der Universität Graz und der Stadt Graz bekommen als „Most Promising Elderly Artist“.

So einen Preis gibt es? Für die vielversprechendste ältere Künstlerin?

Ja, den hab ich gewonnen, weil ich die einzige Nominierte war. Denn die anderen wollten alle nicht zugeben, dass sie schon über 50 sind. Darauf bin ich stolz, denn da geht es darum, dass sich Frauen mit dem Alter oft selbst aus dem Geschehen rausnehmen. Und dagegen will ich ein Zeichen setzen.

Gegen Altersdiskriminierung?

Ja, ich bin auf einer Mission: Ich will den Leuten klar machen, dass es vollkommen okay ist, älter zu werden. Dass es sogar sehr schön sein kann.

Die roten Haare von Pippi Langstrumpf werden grau?

Ja, selbst Pippi muss irgendwann einmal älter werden.

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