Kleine Leitkultur: Demonstrative Garstigkeit
Zum dritten Mal zeigen das hannoversche Sprengel-Museum, der Kunstverein und die Kestnergesellschaft „künstlerische Arbeit in Deutschland“
„Made in Germany“ – dieser Titel für eine Leistungsschau zur Kunst, die in Deutschland produziert wird, mag heutzutage Missverständnisse provozieren. Aber er hat nichts zu tun mit einer Diskussion teutonischer Leitkultur, wie sie Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) kürzlich neuerlich entfachte. Der Titel, nun um ein deutsches „Drei“ ergänzt, hat vielmehr schon selbst eine kleine Tradition im deutschen Kulturbetrieb: Zum inzwischen dritten Mal, jeweils parallel zum globalen Großevent der Documenta, geht es der Kooperation dreier hannoverscher Häuser „dezidiert nicht um die deutsche Kunst oder das Deutsche in der Kunst, sondern um Bedingungen und Möglichkeiten künstlerischer Arbeit in Deutschland“. Dies stellten das Sprengel-Museum, die Kestnergesellschaft und der Kunstverein schon im ersten Katalog 2007 klar – und Minister de Maizière fände wohl nur wenig Gefallen am Gezeigten.
Dieser Ausstellung, diesen Ausstellungen zufolge entsteht Kunst in Deutschland im Wesentlichen in Berlin: Rund zwei Drittel der beteiligten 33, meist jüngeren künstlerischen Akteure oder Teams leben und arbeiten zumindest zeitweilig dort. Und selbst wenn sie nicht in der Hauptstadt ansässig sind, haben sie irgendwie doch eine schnoddrige Berliner Intellektualität verinnerlicht und wollen nicht, dass sich ihre Arbeiten unmittelbar ästhetisch aufschließen lassen.
Demonstrative Garstigkeit oder auch mal schlicht krudes Handwerk scheinen weitere Facetten des Markenzeichens „Made in Germany“ zu sein. Dazu kommt die Vorliebe für performative und technikgestützte Formen: Videos, Installationen und kinetische Arrangements, gerne wieder mit bewegtem Bild, beanspruchen gefühlt die meiste Aufmerksamkeit unter den insgesamt über 100 gezeigten Artefakten.
Der Schweizer Kunstwissenschaftler Beat Wyss, Professor an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe, haderte kürzlich in der Neuen Zürcher Zeitung mit dem Begriff der Avantgarde: Den reklamierten jüngere Künstler, denen die „träge Drift der Kunst nach vorn“ nicht reiche, traditionell gern – zumindest als Attitüde. Wyss sieht aber allenfalls noch eine „hybride Form“ von Avantgarde in der Kunst am Werk, vertreten durch Künstler, die große Agenturen für Gestaltung betreiben – Paradebeispiel: der Isländer Olafur Eliasson. Nach seinem Entwurf entstehen monumentale Objekte, „wunderbar organisch, aus einer Mischung von physikalischem Schulexperiment und dänischem Möbeldesign“, so Wyss.
Für die großen Auftragsarbeiten, etwa die riesigen Wasserfälle unter der New Yorker Brooklyn Bridge oder im Barockpark von Versailles, beschäftigt Eliasson schon mal bis zu 90 Menschen. Sie rekrutieren sich aus dem konstanten Ausstoß der Kunsthochschulen und werden in der Kantine seines – klar – Berliner Studios vegetarisch verpflegt.
Drei Charakteristika für das derzeitige Schaffen
Wenn schon nicht das Phänomen einer – dann womöglich auch noch abwesenden – Avantgarde, so doch zumindest die Produktion, also die Konditionen künstlerischen Machens, nahm sich in Hannover das sechsköpfige Kuratorenteam nun vor. Für das derzeitige Schaffen fanden sie drei Charakteristika: die Arbeit in Team, Netzwerk oder Kollektiv, die Vorliebe für prozessuale, theatralische oder flüchtig-ephemere Formate und schließlich die installative Intervention am Ort der Rezeption.
Dazu wird Beispielhaftes geboten. Etwa durch die vierköpfige Gruppe „Das Numen“, unverkennbar der Fährte ihres Lehrers Eliasson folgend: Datenströme vernetzter Wetterstationen überführt sie in akustische Signale fünf waagerecht aufgehängter Orgelpfeifen. Bei Sturmböen kann es also mal heftiger pfeifen in der Sprengel-Wechselausstellungshalle. Eine handwerkliche Sisyphusarbeit im Team liefert die gebürtige Britin Kasia Fudakowski. Während eines Florenz-Stipendiums erstellte sie zusammen mit wechselnden Kolleg*innen eine 14 Meter lange Flechtarbeit. In den selbst gefertigten Teilen hell, denen der Gäste schwarz, hängt sie nun locker von der Wand der großen Einblickshalle. Ein kleines, farblich abweichendes Segment in Rosé entstand an ihrem Geburtstag: Das Flechtwerk ist also gleichzeitig Tagebuch.
Bis an die Bausubstanz des Kunstvereins
Dem Kunstverein ging es an seine Bausubstanz, für Raphaela Vogels großes installatives Video-Setting wurde eine Raumfolge geschlossen. Ihre Themen kreisen um Geburt, Werden und Vergehen, autobiografisch grundiert, mir ihr selbst als performativer Akteurin. In der zentralen Oberlichthalle entfernte Schirin Kretschmann einige der lichtstreuenden Milchglasscheiben der Unterdecke. Die Stahlkonstruktion liegt nun bloß, bei Sonnenschein wandern harte Schatten über Wand und Boden. Diese elementare Raummodulation ergänzt eine fast immaterielle Bodenfläche aus blauem Pigment, Grundkonstanten der Kunst wie Licht, Proportion, Oberfläche oder Farbe werden streng durchdekliniert.
In Sichtweite der Kestnergesellschaft grüßt der „Bonhomme“ von Daniel Knorr, ein steinerner Schneemann als Fanal des Klimawandels. Der Künstler ist gerade auf der Documenta in Athen mit einer imposanten Müllskulptur aufgefallen, hat dafür vor Ort pittoreske Fundstücke zusammengeklaubt. Drei farbig schillernde Pfützenabgüsse aus New York, Athen und der Expo Plaza verweisen in Hannover auf die weltweiten politischen Verflechtungen und ihre aktuellen Lädierungen.
Wer will, kann seinen Rundgang durch die deutsche Kunstproduktion dann ganz dystopisch bei Veit Laurent Kurz im Obergeschoss der Kestnergesellschaft enden lassen: Seine mit idyllischen Kleinbiotopen ausgestatteten, kubistischen Sitzinseln wollen eigentlich einladen, Platz zu nehmen, vielleicht in den bereitgestellten Büchern Protagonisten der architektonischen Moderne von Alvar Aalto bis Frank Lloyd Wright nachzuspüren. Aber man ist misstrauisch, allein schon wegen der kalkweiß-leblosen Gestalten, die da bereits sitzen: Ist das Projekt der Moderne, einst angetreten als universale Avantgarde, so am Ende – und damit die Idee moderner Kunst?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!