Antifaschistische Jugendarbeit in Grimma: „Wenn alle gehen, ändert sich nichts“
Ein Gespräch mit einem, der lieber in Grimma geblieben ist. taz-Panter-Preis-Gewinner Tobias Burdukat erklärt: Wie geht nazifrei?
taz: Tobias Burdukat, wir sitzen hier im Dorf der Jugend. Wie lange gibt es das schon? Wie ist deine Initiative entstanden?
Tobias Burdukat: In der offenen Jugendarbeit in Grimma bin ich seit 2012. In dem Jahr ist auch die Idee zu dem Projekt entstanden, die davon ausgeht, dass es verschiedene Plätze gibt, wo Jugendliche aktiv sind. Das Areal der Alten Spitzenfabrik ist Anfang 2014 dazugekommen.
Wie kam das mit der Fabrik zustande?
Das ist eine skurrile Geschichte.
Jahrgang 1983, Gewinner der Goldenen Henne und taz-Panterpreisträger, leistet gemeinsam mit Jugendlichen aus der Umgebung auf dem Gelände der Alten Spitzenfabrik mit dem „Dorf der Jugend“ außergewöhnliche Jugendarbeit.
Klingt gut. Erzähl.
Also. Wir haben hier früher an Weihnachten Parties gefeiert. Mit meinem Freundeskreis – ich bin ja auch nicht im luftleeren Raum aufgewachsen. Wir brauchten einen Raum, wo wir Parties machen konnten. Irgendwann haben wir uns hier eingemietet.
Das gehörte damals einer Familie von Zauberkünstlern, die hatten hier sogar Waschbären und Pumas. Die sind aber irgendwann abgehauen. Und wir wollten wieder eine Party machen und so sind wir an den neuen Besitzer geraten. Der war ganz dankbar und dann haben wir uns hier eingepachtet.
Der Besitzer ist euch aber freundlich gewogen?
Ja. Das wurde hier auch vom letzten Hochwasser 2013 ganz gut erwischt, ein Meter fünfzig, zumindest im Wohnhaus. Die Hallen gehen, die sind ein bisschen höher gebaut.
Was waren das dann für Parties, die ihr hier gefeiert habt? Mit Tannenbaum?
Nee, ohne.
Das passt auch nicht zum Alternativsein, oder?
Ich weiß nicht, ob wir mal aus Spaß einen hatten. Es ging halt darum, dass nach dem klassischen Weihnachtsessen mit Mutti und Vati, Oma, Opa noch was los war. Zum Schluss waren wir so 300 Leute, die keinen Bock auf Dorfdisko hatten.
Sondern?
Quer gemischt. HipHop, Funk, auch mal Punk. Tanzbare Musik halt.
Du wurdest hier sogar mal in den Rat gewählt. Hier in Grimma bist du eine richtig populäre Figur, oder?
(leises, etwas verlegenes Lachen)
Ist dir das peinlich?
Ich weiß nicht.
Du bist ein etablierter, anerkannter Bürger, der auch von politischen Kontrahenten respektiert wird.
Bald ist es so weit: Am 24. Juni möchten wir mit Ihnen in der Alten Spitzenfabrik von Grimma die offene Gesellschaft feiern. Grundlage für ein jedes Festival ist eine ausgelassene Stimmung. Neben Spielen, Fußballturnier und leckerem Essen können Sie ab 13 Uhr an drei runden Tischen anregende Diskussionen zu den Themen „Wie geht Nazifrei?“, „Journalismus heute“ und „Was bedeutet meinland für Sie?“ führen. Zu den geladenen Gästen zählen unter anderen Grimmas Oberbürgermeister Matthias Berger, Andreas Raabe (Chefredakteur des Leipziger Stadtmagazins Kreuzer) und Tobias Burdukat. Entsprechende Festivalmusik darf natürlich nicht fehlen. Am Abend heizen uns Bands wie „Der Geräusch“, „WickedWaste“ ein. Neben veganen Köstlichkeiten aus dem Container Café gibt es eine Grillstelle für selbst mitgebrachtes Tofu- und Fleischgrillgut. Wer über Nacht bleiben möchte, kann auf der angrenzenden Wiese ein Zelt aufschlagen und mit uns bis tief in die Nacht feiern und diskutieren.
Wann: 24. Juni, Einlass ab 12 Uhr
Wo: Alte Spitzenfabrik in Grimma. Eintritt frei
Wie: Bitte unbedingt anmelden unter: www.taz.de/grimma
Das kann man schon so … ja. Gegebenenfalls kann man das so sagen.
Stellen wir uns mal vor, du wärst sächsischer Ministerpräsident.
Das würde ich nicht sein wollen.
Nöl' jetzt nicht rum.
(Alle lachen)
Was wäre, gerade in kultureller Hinsicht, dein 100-Tage-Plan?
Das kann man so nicht runterbrechen. Da müsste man erst mal strukturelle, grundsätzliche Probleme aufbrechen. Das ist ja über Jahrzehnte so gewachsen. Und das ist das Problematische.
Manchmal hilft ja die Vision, Dinge von unten aufzukehren.
Schwierig. Aber was wichtig wäre, dass man vielleicht mit der Hochschullandschaft anfängt. Sachsen gilt ja als Wirtschaftsstandort, als Hochburg für Ingenieurwesen. Aber die Industrialisierung ist jetzt auch langsam vorbei und dann muss man das aufbrechen, sich anderen Dingen öffnen.
Ich sehe den Schlüssel für einen Wandel in einer gut ausfinanzierten Jugendarbeit. Dann entsteht auch Kultur, von den jungen Menschen selbst heraus! Aber das sind Strukturen, die man als Ministerpräsident nicht einfach aufbrechen kann.
Jedenfalls nicht ohne Konflikte.
Die Frage ist, kriegt man die Konflikte gelöst? Weil der Verwaltungsapparat hier, der ist so krass …
… staubig?
So staubig und starr.
Erstaunlich ist, dass du nicht als erstes sagst, als Ministerpräsident würdest du die blinden Augen Neonazi-Elementen gegenüber abschaffen.
Ich denke nicht, dass man das so einfach abschaffen kann. Da braucht man eine nachhaltige Bildungsarbeit. Es ist nun mal ein veraltetes Denken. Aber Erkennen muss das jeder selbst.
Euer Projekt, Das Dorf der Jugend – ihr seid hier anerkannt und bestens in die Stadt integriert. Gibt es in Sachsen überhaupt ein Polizeiproblem mit Linken? Du hattest erzählt, bei Rechten hören sie eher weg …
Ja. Das ist mein Eindruck. 2016 sind 200 Nazis durch Connewitz (Leipzig) gezogen und haben einen kompletten Stadtteil zerlegt. Die wurden alle gefasst, da ist noch keiner verurteilt worden! Und bei mir zum Beispiel – man versucht sein Hausrecht gegenüber der Polizei zu wahren, und im Affekt passiert dann halt eine Beleidigung – da wird man sofort verurteilt und zahlt seine 2.000 € wegen Beamtenbeleidigung.
Wann hattet ihr hier den letzten Konflikt mit Rechten?
Also hier selber noch nicht. Am Jugendhaus, wo ich vorher gearbeitet habe, da schon. Aber das hat sich dann auch … (zögert) irgendwie gebessert.
Ist das nicht auch dir zu verdanken? Du bist mal ziemlich verdroschen worden von denen, oder?
(mit leiser Stimme) Ja, als ich noch jung war. Aber wir haben nicht nachgegeben. Wir haben uns nicht ergeben.
Wie hat das dann aufgehört?
(seufzt) Na ja, man hat sich gewehrt. Wenn die zu zwanzigst waren, dann waren wir halt auch zu zwanzigst. Irgendwann gab es eben auch Anzeigen. Und einige von denen sind in den Knast gewandert. Manche richtig lang, fünf Jahre, da ist das Leben dann auch vorbei.
Also ist Grimma jetzt nazifrei?
Jein. Es leben schon noch einige hier. Aber die sind hier nicht mehr aktiv, die engagieren sich eher in Leipzig, in den umliegenden Orten. Da haben die dann bis hoch zum Bürgermeister ein Standing.
Was ist, wenn dir einer dieser Straftäter, die schon im Knast waren, auf der Straße begegnet? Wechseln die dann die Seite?
Ich fahre da die Taktik, zu den Leuten auch „Guten Tag“ zu sagen, ich kenne die ja. Die senken dann den Kopf und gehen weiter.
Haben die jetzt Angst vor euch?
Glaube ich nicht. Die haben sich halt ihr ganzes Leben versaut. Da kommt jetzt meine soziale Komponente durch und die tun mir leid. Die hängen jetzt am Alkohol und können sich ja nur an solche Bürgerbewegungen dranhängen, um überhaupt noch irgendein Gemeinschaftsgefühl zu haben.
Gibt es auch welche, die zugeben, dass sie sich durch die Nazigeschichten ihr ganzes Leben versaut haben?
Also jetzt keinen, der das so offen kommuniziert.
Aber eine spürbare Einsicht?
Eine spürbare Einsicht schon. Man merkt bei manchen, dass sie Kontakt suchen und sich vielleicht sogar einbringen wollen.
Dann bist du versöhnungsbereit?
Ja … Die könnten auch mitmachen, wenn sie wollten. Die meisten sind aber weggegangen. Die anderen haben oft ein krasses Alkohol- oder Drogenproblem. Und dann kommen die auch nicht her.
Haben die sächsischen Ordnungsbehörden aus ihren Verstrickungen in Sachen NSU für den Umgang mit euch gelernt?
Null.
Du kannst nicht friedlich über Sachsen reden, oder?
Nee. Also wenn man sich anschaut, wie die Polizei hier mit Straftaten gegen Flüchtlinge umgegangen ist, dann haben die doch nichts gelernt. Jetzt gibt es gerade diesen Skandal in der Bundeswehr, da braucht keiner zu glauben, dass wäre bei der Polizei hier anders. Da sind Hardcore-Nazis drin! Natürlich gibt es auch andere, aber viele haben einfach solche Freundeskreise, gehen mit denen ins Fußballstadion oder grillen am Wochenende.
Du hattest vorhin erwähnt, viele wären wegen dieser Halb-Nazi-Atmosphäre einfach weggegangen. Du bleibst?
Ich bin der Überzeugung, wenn alle weggehen, ändert sich im ländlichen Raum auch nichts. Ich war früher viel auf Demos, aber irgendwann hat man sich gesagt: Ich habe meinen Protest kundgetan, von der Polizei auf die Fresse gekriegt, an den Verhältnissen hat sich aber nichts geändert. Und dann war der Entschluss für mich logisch, wenigstens im kleinen Rahmen meinen Beitrag zu leisten.
Bist du ein Weltverbesserer?
Ich wäre es gerne. Aber ich kann die Welt in ihrer Gesamtheit nicht verbessern. Ich kann versuchen, meine Welt etwas besser zu machen und so vielleicht auch andere Menschen dazu anregen, in ihrem Umfeld etwas zu ändern. Und, dass sich so auf lange Sicht vielleicht was Größeres ergibt. Aber ein Weltverbesserer zu sein, das kann ich mir nicht anmaßen.
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