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Zehn Jahre Die LinkeHarmonie statt Sozialismus

Bei der Linkspartei herrscht Harmoniesucht. Damit die beiden Parteiflügel nicht wieder auseinanderdriften, werden Grundsatzthemen vermieden.

Das Duo Riexinger und Kipping söhnte die zerstrittenen Parteiströmungen miteinander aus Foto: dpa

Berlin taz | Bernd Riexinger frohlockt. Am Freitag findet der Parteitag der Linken in Hannover statt. Und „es ist das erste Mal seit fünf Jahren, dass wir vor einem Parteitag keine öffentliche Auseinandersetzung haben“, stellte der Parteichef in einem Pressegespräch diese Woche zufrieden fest.

Es hätte auch anders kommen können. Denn am vergangenen Freitag stimmten die Länder im Bundesrat über die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen ab. Darin hatte der Finanzminister auch die zukünftig privatrechtlich organisierte Autobahngesellschaft geschmuggelt. Sahra Wagenknecht, Fraktionschefin der Linkspartei, lehnte das Paket im Bundestag daher ab. Ihre Vertraute, die Abgeordnete Sevim Dağdelen, warnte in einem offenen Brief insbesondere an die Adresse der drei Länder, in denen die Linke mitregiert: „Es ist eine entscheidende Frage für die Glaubwürdigkeit von Die Linke, dass sie standhaft und konsequent in der Grundsatzfrage der Privatisierung bleibt.“

Doch die Linkspartei in Thüringen, Brandenburg und Berlin stimmten zu. Sollten sie etwa 2 Milliarden Euro für ihre Staatssäckel auf der Straße liegen lassen?

Am Tag danach tagt der Parteivorstand in der Berliner Zentrale. Die Berliner, Brandenburger und Thüringer Landesverbände werden zu Abtrünnigen erklärt, Bodo Ramelow wird aus der Partei ausgeschlossen? Ach was! Der Vorstand beschließt eine Erklärung, dass man ab sofort gegen Autobahnprivatisierungen kämpfen wolle. Unterschrieben auch von Bodo Ramelow und Sahra Wagenknecht. „Eine Meisterleistung“, gratuliert sich Parteichef Riexinger selbst.

Die Langweile

Zehn Jahre nach ihrem Gründungsparteitag in Berlin kommt die Linkspartei an diesem Freitag zum Parteitag in Hannover zusammen. 579 Delegierte werden über das Wahlprogramm und rund 300 Änderungsanträge diskutieren. Die Linkspartei fordert das, was sie immer fordert: Hartz IV abschaffen, bessere Renten und Löhne, höhere Steuern für Reiche und Frieden auf Erden.

Wie diszipliniert und geordnet es inzwischen in der Linkspartei zugeht, zeigt nicht nur der im Keim erstickte Zwist über die Bund-Länder-Finanzbeziehungen. Strittiges, wie die Frage, wie es die Linkspartei mit der auch bei Rechtspopulisten verhassten EU hält, hat der Parteivorstand bereits zuvor abgeräumt. Oder es steht gar nicht auf der Tagesordnung, wie der Vorschlag für ein Einwanderungsgesetz, den sieben Landesvorsitzende kürzlich publizierten. Der Hannoveraner Parteitag verspricht einer der langweiligsten in der Parteigeschichte zu werden.

Die Linkspartei fordert das, was sie immer fordert: Hartz IV abschaffen, bessere Renten und Löhne, höhere Steuern für Reiche und Frieden auf Erden

Das liegt nicht nur an der derzeit fehlenden Machtoption, die verhindert, dass etwa die detaillierten Steuerpläne im Wahlprogramm der Linken oder der Mindestlohn von 12 Euro ab der nächsten Legislaturperiode tatsächlich umgesetzt werden. Sondern auch an der Harmoniebedürftigkeit der Partei. Bloß keine ideologischen Grundsatzdebatten – wie keine andere Partei sehnt sich die Linkspartei nach Frieden. Auf der Welt sowieso und in den eigenen Reihen.

Einige in der Linkspartei sagen: Es herrsche Friedhofsruhe. Wer den Kopf rausstrecke, kriege eins auf den Deckel. Die Zitatgeber wollen bezeichnenderweise nicht genannt werden.

Das war mal anders.

Als sich die frisch gegründete Wahlalternative Soziale Gerechtigkeit und die PDS 2005 erstmals für die Bundestagswahl zusammentaten und am 16. Juni 2007 in Berlin zur Partei „Die Linke“ vereinigten, ging es für beide zunächst nur bergauf. Der bislang ausschließlich als Ostpartei wahrgenommenen PDS gelang im Verbund mit den abtrünnigen Sozialdemokraten der Einzug in sieben von zehn westdeutschen Länderparlamenten. Bei der Bundestagswahl 2009 holte die Linke fast 12 Prozent.

Die Transformation

Doch die rasche Vereinigung der unterschiedlichen Milieus und die schnellen Erfolge forderten ihren Tribut.

Bis 2009 sei die Linke eine Protestpartei gegen die Agenda-Reformen gewesen, die enttäuschte SPD-Wähler einsammelte, sagt Horst Kahrs, der für die linksparteinahe Rosa-Luxemburg-Stiftung Wahlen und Parteien analysiert. Danach habe die Aufgabe angestanden, aus der Bewegung eine Parlamentspartei zu machen. „Stattdessen steckte man zu wenig Energie in die Transformation und zu viel in innerparteiliche Konflikte. Infolgedessen flog die Partei wieder aus den Landtagen.“

Den Höhepunkt erreichten die inneren Differenzen auf dem Göttinger Parteitag vor fünf Jahren.

Gregor Gysi, der damalige Fraktionsvorsitzende, sprach von Hass in der Fraktion, die westlichen Landesverbände sangen die Ostverbände nach der gescheiterten Wahl von deren Kandidaten Dietmar Bartsch zum Parteivorsitzenden nieder: „Ihr habt den Krieg verloren.“

„Dieser Parteitag war das politisch Krasseste, was ich je erlebt habe“, erzählt Jan Korte, der einst von den Grünen zur PDS stieß und heute Fraktionsvize der Linkspartei im Bundestag ist. „Nach der Rede von Gysi hatten gerade viele Ältere Tränen in den Augen.“

Der Stillstand

Auf jenem Parteitag wurden Katja Kipping und Bernd Riexinger zu Vorsitzenden gewählt. Sie führen die Partei bis heute. Das Duo, sie gebürtige DDR-Bürgerin, Repräsentantin des grünen-affinen, urbanen Milieus, er Baden-Württemberger und Gewerkschaftler durch und durch, söhnte die zerstrittenen Parteiströmungen miteinander aus.

Doch das reicht nicht, meint Kahrs. „Die Partei wird seit der letzten Bundestagswahl zu wenig weiterentwickelt und zu viel verwaltet.“ Nicht nur Kahrs beklagt politisch-strategischen Stillstand in der Partei. Auch Korte sieht gerade nach den letzten Landtagswahlen, bei denen die Linke im Saarland, in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen ihre Wahlziele verfehlte, Bedarf, stärker darüber zu reden, „wohin wir mit dem Laden in den nächsten zehn Jahren eigentlich wollen“.

Wie bindet man einerseits die jungen, akademisch gebildeten Menschen, die seit dem vergangenen Jahr verstärkt in die Partei eintreten, und andererseits die verbliebenen Proletarierer, die nun verstärkt die AfD für sich entdeckt haben, ein?

Das, was fehlt

Petra Pau, PDS-Mitglied der ersten Stunde und seit 2006 Vizepräsidentin im Bundestag, sieht zusätzlich zur sozialen Frage vor allem Nachholbedarf bei Themen wie Digitalisierung, Demokratie und Bürgerrechte. Diese würden zu oft den Spezialisten überlassen. Bereits vor drei Jahren verlangte sie daher in einem Aufsatz zur Linken im 21. Jahrhundert: „Rote müssen zugleich Grüne und Piraten sein.“

Bisher ist das nur vereinzelt der Fall. Von den Wählern, die Grüne, SPD und Piraten in NRW verloren zog es nur 2,5 zur Linkspartei. Warum das so ist, wird sich die Linke fragen müssen. Vielleicht schon in der Aussprache auf dem Parteitag.

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5 Kommentare

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  • Ach, Frau Lehmann, wie hätten Sie's denn gern - so zerstritten und handlungsunfähig, wie die Linke gern bevorzugt dargestellt wird? Als alter Mann hab auch ich häufiger Tränen in den Augen, aber wegen der Linken jetzt mal ganz sicher nicht.

  • Zur Wirklichkeit des Imperialismus der NATO-Staaten und in Folge zur "Flüchtlingskrise"! Und „es ist das erste Mal seit fünf Jahren, dass wir vor einem Parteitag keine öffentliche Auseinandersetzung haben“. Diese öffentliche Auseinandersetzung sollte auch geführt werden, ohne Rücksichtnahme auf die anderen Parteien, die Stammtischnationalisten, Rassisten und treudeutschen Populisten! Die Wahrheit zur "Flüchtlingskrise" und zu den Folgekosten! Da sich die Reichen kaum beteiligen, vor allem für die ärmere Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland!

     

    In der gestrigen Gesprächssendung im Rundfunk-Berlin-Brandenburg, wurden die Aufnahme- und Integrationskosten pro Flüchtling mit 250.000 Euro beziffert. Im Jahr 2015 haben 890.000 Menschen in Deutschland Zuflucht gefunden. Im Jahr 2016 waren es ca. 280.000 Menschen. Die Aufnahme für 2017 könnte bei 350.000 Menschen liegen. Die auf dieser Grundlage berechneten Gesamtkosten für 1.520.000 Menschen, die im Zeitraum vom September 2015, bis Ende 2017 aufgenommen wurden, liegen nach heutiger Kostenrechnung bei etwa 380. Milliarden Euro. In Folge der weltweiten Entwicklung und zunehmenden Fluchtbewegung, müssen wir in Europa mit der notwendigen Aufnahme -aus humanitären Gründen- von weiteren Millionen Menschen rechnen. Langfristig dürften die sich hieraus ergebenden realen Aufnahmekosten, die Kosten der gesamtdeutschen Einheit -von 1990 bis 2015- deutlich übersteigen.

     

    Alle bürgerlichen Parteien, das Parlament und die Regierung, sie hätten bereits heute schon die gesellschaftpolitische Pflicht und Aufgabe, die Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland umfassend über diese unabänderliche materielle und soziale Entwicklung zu informieren!

     

    Die aktuellen Kosten für die nächsten Jahre dürften bei 380. Milliarden Euro (nur) für die Bundesrepublik liegen. Entsprechend der weiteren Krisen-, Kriegs- und Fluchtentwicklung in Nahost, Asien und Nord-Ost-Zentral-Afrika, voraussichtlich bis zu 2.500 Milliarden Euro und mehr!

    • 7G
      74450 (Profil gelöscht)
      @Reinhold Schramm:

      "Da sich die Reichen kaum beteiligen, vor allem für die ärmere Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland!"

       

      Wer zahlt in Deutschland nochmal die Steuern?

       

      "In der gestrigen Gesprächssendung im Rundfunk-Berlin-Brandenburg, wurden die Aufnahme- und Integrationskosten pro Flüchtling mit 250.000 Euro beziffert."

       

      Wer hat die Kosten so kalkuliert? Sind das reine Kosten, oder handelt es sich dabei eher um Geld, das pro Person umgesetzt wird. Bei wem landen die "Kosten"?

       

      "Die aktuellen Kosten für die nächsten Jahre dürften bei 380. Milliarden Euro (nur) für die Bundesrepublik liegen. Entsprechend der weiteren Krisen-, Kriegs- und Fluchtentwicklung in Nahost, Asien und Nord-Ost-Zentral-Afrika, voraussichtlich bis zu 2.500 Milliarden Euro und mehr!"

       

      Was ist die Alternative? Die Menschen verhungern lassen, weil uns ein paar Penunsen zu viel sind?

      • @74450 (Profil gelöscht):

        Der Anteil an der materiellen Wert- und Mehrwertschöpfung ist entscheidend.

         

        Lesen Sie nochmals meinen Text. An den Kosten müssen alle wohlhabenden und vermögenden Personen in der Klassengesellschaft beteiligt werden und nicht nur die mittleren und unteren sozialen Schichten!

  • Würden die Grünen die mit dem linken Lager zusammenarbeiten wollen und die Grünen, die mit der CSU koalieren wollen, ihre Konflikte austragen, dann wären die Grünen gespalten.