: Fluchtgründe lautstark gerappt und ausgekotzt
Performance Die Festivals „Theater der Welt“ in Hamburg und „Theaterformen“ in Hannover haben Geflüchtete auf die Bühne gebracht. Die Themen reichen vom afrikanischen Machismus bis zur mexikanischen Binnenmigration
von Jens Fischer
Das Angebot überstieg die Nachfrage, was für eine konjunkturelle Delle sorgte, aber sie sind immer noch ein fester Posten im Theateralltag: Theaterangebote zum Thema Flüchtlinge. Innovative Formate verheißen die beiden großen Festivals des Vorsommers, das gerade beendete 14. „Theater der Welt“ in Hamburg und die bis Sonntag laufenden 27. „Theaterformen“ in Hannover. Es sind zwei ungleiche Bewerber um Aufmerksamkeit. An der Elbe gab es an 18 Tagen über 330 Veranstaltungen, an der Leine sind es an elf Tagen 55.
Als das Mittelmeer zum Massengrab wurde, war das Schauspiel Hannover, Gastgeber der „Theaterformen“, eines der ersten Häuser, die gegen Europas Bunkermentalität ankünstlerte. Nachdem die Grenzen kurzfristig geschleift waren, surften viele Theater auf der Welle der Willkommenskultur. Spenden sammeln, Appelle versenden, Flüchtlinge beschenken, ihnen Notunterkunft anbieten.
Zur Sozial- kam die Kunstarbeit. Musizierend boten Geflüchtete ihre Kultur dar, durften singend ihren Platz in der Welt einfordern. Es folgte die Einbindung Geflüchteter in Inszenierungen zur Steigerung des Authentizitätsgehalts. Ganz vorn mit dabei Hamburgs Thalia Theater, zusammen mit Kampnagel Kurator von „Theater der Welt“.
Als eigenständige Akteure waren Geflüchtete bisher aber kaum auf der Bühne. Das wäre die nächste dramaturgische Entwicklungsstufe, jenseits von Betroffenheits- und Anklagepathos. Geladen dazu war Slia Sanou aus Burkina Faso in den leeren Kakaospeicher auf der Landzunge am Hamburger Baakenhöft, dem einstigen Afrika-Terminal.
Zu choreografieren galt es Flucht und Lageraufenthalte. Den Ängsten, dem verzweifelten Warten widersprechen die tanzenden Sehnsuchtskörper, lösen Erstarrungen, finden Fluchtlinien im Raum, befreien sich aus in sich gekehrten Soli zu fröhlich gefeierter Solidarität im Ensemble. Behaupten den Überlebenswillen in der Übergangssituation: „Du désir d’horizons“ („Vom Wunsch nach Horizonten“) heißt die Produktion.
Weggucken unmöglich macht der Südafrikaner Bratt Bailey mit seinem performativen Installationsparcours „Sanctuary“ im Oberhafenquartier. Dioramen sind mit Requisiten und Texten zu Fluchtgeschichten verwoben. Aber der Besucher kann nicht wie einst in Völkerkundemuseen in stiller Betrachtung das Fremde genießen, denn hier sitzen reale Menschen in den 3-D-Bildern und schauen zurück. Fünf Minuten lang. Unbeirrbar. Unausweichlich. Geben dem Thema Gesichter.
Desinteresse unterhalb des Smalltalk-Niveaus
Und auch wenn es sich hier um fiktionale Geschichten und professionelle Performer handelt. Noch näher ran an die „Moving people“ will die brasilianische Regisseurin Christiane Jatahy – und sie zum Sprechen bringen.
Da sitzen also ein Syrer, ein Afghane und eine Deutsche in einem verschlossenen, mit Wohnzimmer-Gemütlichkeits-Accessoires bestückten Container. Beginnen zu reden. Wer bist du, wie alt? Ein Kameramann irrt durch die Szenerie, entwickelt aus wackeligen Impressionen immer schärfere Aufnahmen des Trios – die auf die Containerwände projiziert werden.
Was aber nicht einer persönlichen Konturierung entspricht. Denn die drei stellen einander keine Fragen, haben sich einfach nichts zu sagen. Nicht einmal Small-Talk-Niveau erreicht ihr verkrampftes Geplauder über das Wetter und die miesepetrige Stimmung im morgendlichen U-Bahn-Gedrängel.
Ebenso wenig überzeugt die einstmals feurig spektakelnde Haudegentruppe La Fura dels Baus in der Elbphilharmonie mit einer Inszenierung des Haydn-Oratoriums „Die Schöpfung“. Der Chor ist auf schäbig geschminkt und elend kostümiert, flüchtet zittrig leidend mit riesigen Unschuldshoffnungs-Heliumballons durch den Saal, bis alle Sänger am siebten Tag in die klangjubelnde „Schöpfung“ integriert werden. Aber an diesem Abend sind sie bloß Füllmaterial zur Bebilderung. Soweit die Höhepunkte in Hamburg.
Afrikanischer Selbstdarstellungskönig im Boxring
In Hannover empfängt uns die Neue Presse mit der Schlagzeile: „Sind wir wirklich über den Berg?“ Um in der Unterzeile eine aktuelle Stimmung aufzugreifen: „Niedrigste Flüchtlingszahlen seit drei Jahren – aber neue Welle möglich“.
Deren ersten Ausläufer sind bereits in die Staatstheater-Etablissements gespült, servieren einen neuen Aspekt: „Portrait of myself as my father“. Nora Chipaumire hat Simbabwe nicht nur aufgrund demütigender sozialer und absurder politischer Verhältnisse verlassen, sondern auch wegen der Männer.
In dumpf dröhnender Beat-Monotonie steht sie nun mit dem Wunschprojektionsdarsteller ihres Vaters und einem Selbstdarstellungskönig in einem Boxring. Bis ins Animalische kämpferisch durchbuchstabiert werden Körperfetischismus und Machorituale, alle powern sich mächtig aus, tragen einen mit Nieten besetzten Lederslip oder martialisches Football-Outfit.
Dazu wird unverständlich Manifestöses geschrieen, Eitles gerappt. Hier kotzt uns jemand seine Fluchtgründe ins Gesicht. Auch wenn das peinvoll sexualisierte Mackertum und die rassistischen Stereotype des schwarzen Mannes mal kurz tuntig aufgebrochen werden und als Forderung artikuliert wird, „to free the african from the african“, wirkt das nie wie Kritik an, eher als Feier der Reduktion des Menschen auf die Energie seines physischen Designs.
Dagegen kommt dann das Flüchtlingstheater „Tigern“ auf angenehm leisen Pfoten daher. Dem Fake-Theater hat sich die Stockholmer Jupither Josephsson Company verschrieben. Satirisch gespielt werden vorgeblich bei Mensch und Tier gesammelte O-Töne über deren Begegnung mit einem ausgebrochenen Zoo-Tiger – und dabei amüsant die Angst vor dem Fremden und das Behaupten des angeblich Eigenen aufgespießt.
Performance, angefüllt mit wütendem Idealismus
Es folgt eine Rückkehr zum Furor des Empörungstheaters, allerdings höchst reflektiert: „Mare nostrum“. Die mexikanische Regisseurin Laura Uribe verbindet mit kolumbianischen Performern die Binnenmigration in ihrem Land – Menschen flüchten vor rechtem, linkem, kapitalistischem und Drogenkriegsterror – mit den Kontinente verbindenden Bewegungen am Mittelmeer. Zeigt Bilder, Filme, lässt referieren und die Darsteller ihre Biografie erzählen. Mischt arg textlastig Lecture Performance mit Dokumentartheater, garniert mit Mitklatschmusik, Tanzeinlagen und Live-Verkauf fair gehandelten kolumbianischen Kaffees.
Immer wieder hält die Show im Nachdenken darüber inne, wie die Problematik bühnenwirksam darzustellen sei. Sie verhehlt nicht den wütenden Idealismus der Künstler. In seiner Vielstimmigkeit und ästhetischen Vielfalt eine geradezu vorbildlich offene Dramaturgie – so könnte es gehen: diskursives Theater, heute.
„Theaterformen“: bis 18. 6., Hannover
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