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Rafting in Brøndby

FUSSBALl Nach dem Remis gegen Dänemark sieht sich die DFB-ELf gewappnet für Herausforderungen beim Confed Cup in Russland

„Ein gewisser Teamgeist ist vorhanden“: Kevin Trapp mit 1-a-Haltungsnoten im deutschen Kasten Foto: dpa

aus Kopenhagen Johannes Kopp

Der zweite Tag des Experiments neigte sich in Brøndby, einem Vorort von Kopenhagen, dem Ende zu, da nahm Keeper Kevin Trapp bereits ein großes Wort in den Mund: „ Wir sind erst zwei Tage zusammen, aber man merkt, dass die Atmosphäre gut ist, dass ein gewisser Teamgeist vorhanden ist.“

Das hört sich anmaßender an, als es ist, denn der Torhüter hatte gerade bei seinem ersten Auftritt im Nationaltrikot mit den Mannschaftskollegen eine zünftige Grenzerfahrung überstanden. Teambuilding-Experten lassen sich ja allerhand Nervenkitzel einfallen, um Gruppen zusammenzuschweißen: Extremklettern, Wildwasser-Rafting und vieles mehr. Das von Bundestrainer angeleitete und aus der Not geborene Experiment, mit einer Verlegenheitsauswahl die Pflichttermine der nächsten Wochen zu bestreiten, hat ebenfalls einen besonderen Thrill zu bieten.

An dem stürmischen Dienstagabend in Brøndby standen vor dem Debütanten Trapp zehn überwiegend unerfahrene Nationalspieler, die in dieser Formation noch nie zusammengewirkt hatten. Ein wagemutiges Unterfangen. Im Falles des Scheiterns ist die Fallhöhe im Dress mit dem Adler besonders hoch. Und weil das Vabanquespiel nach dem spektakulären Ausgleichstor durch Joshua Kimmich per Fallrückzieher (88.) einen guten Ausgang nahm, war nicht nur bei Trapp die Erleichterung so groß wie das neue Gemeinschaftsgefühl. „Es ist ja nicht ganz einfach als zusammengewürfelter Haufen“, befand Debütant Sandro Wagner. Neben dem Stürmer aus Hoffenheim kamen auch noch Lars Stindl, Amin Younes, Kerem Demirbay und Marvin Plattenhardt zu ihrem ersten Einsatz in der DFB-Elf.

Für den zusammengewürfelten Haufen, der ab 17. Juni beim Confed Cup, dem WM-Vorbereitungsturnier in Russland, die erschöpften Stars ersetzen soll, kam beim Test in Dänemark erschwerend hinzu, dass zum Einspielen nach dem Urlaub nur ein Training am Vortag reichen musste. Wagner stellte danach fest: „Wir haben einen Trainingsplan bekommen, aber es ist etwas anderes, wenn du am Strand läufst oder hier ein Spiel machst. Das schaffst du nicht, eins zu eins solche Übungen hinzubekommen.“

Derlei Überlegungen passten vortrefflich zum Jubiläumsspiel in Brøndby, das anlässlich des Europameisterschaftsgewinns der Dänen vor 25 Jahren im Finale gegen Deutschland ausgetragen wurde. Der Legende nach hat ja Dänemark den Coup damals mit einer Auswahl an Strandurlaubern geschafft. Als kurzfristiger Nachrücker für das ausgeschlossene Jugoslawien improvisierte man 1992 bestens.

Auch die neu zusammengestellte DFB-Elf verstand sich am Dienstagabend über weite Strecken in der Kunst des uneingeübten Zusammenspiels. Von der anfänglichen Impro-Panne, als Matthias Ginter und Antonio Rüdiger gemeinsam das dänische Führungstor durch Christian Eriksen vorbereiteten, und anderen kleinen Unzulänglichkeiten abgesehen, sah vieles gewollt aus. Leon Goretzka und Julian Draxler ordneten die Angriffe zuweilen recht gut. Die etwas wacklige Abwehr durfte jedoch froh sein, dass die Dänen trotz ihres Erfolgserlebnisses nicht weiter intensiv pressten.

„Nervös bin ich nie beim Fußballspielen“

Sandro Wagner, Nationalspieler

So konnte Teammanager Bierhoff nach der Partie von dem „Schwung“ schwärmen, den die Neulinge in den beiden Tagen ins Team gebracht hätten, und noch einmal den Nutzwert hervorheben, der mit dem Ersatzkader in Russland verbunden wäre. „Nächstes Jahr“, sagte er, „ haben wir vielleicht zwei, drei Spieler bei der Weltmeisterschaft, die den Confed Cup als Startlinie genutzt haben.“

Auch im Sinne der Neuberufenen reden sich die DFB-Verantwortlichen in den letzten Tagen fleißig das Event in Russland schön. Die Risiken werden allerdings geflissentlich verschwiegen: Sollte das Ensemble der unerfahrenen Talente von hoch motivierten und bestbesetzten Teams wie Chile oder Kamerun, die viel Prestige gewinnen können, durcheinandergewirbelt werden, ist deren Zukunft erst einmal verbaut. Mit Draxler, Jonas Hector oder Skodran Mustafi gibt es nur wenige, etwas erfahrenere Kräfte, auf welche die Neulinge zählen können. Die drei Genannten hatten das Glück, in gewachsenen Strukturen groß zu werden.

Auch wenn Bundestrainer Joachim Löw sich bewusst mit Zielvorgaben für den Confed Cup zurückhält, der Druck für die Neuen ist immens. Kaum einer wird so gelassen damit umgehen können wie der schon etwas ältere Neuling Sandro Wagner. „Ich habe 29 Jahre darauf gewartet“, sagte er. „Nervös bin ich eigentlich nie beim Fußballspielen, weil es für mich immer noch ein Spiel ist. Es gibt wichtigere Sachen.“ Beim WM-Qualifikationsspiel gegen die Amateurkicker von San Marino am Samstag können alle mit dieser Wagner’schen Lockerheit auftreten.

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