: „Hauptauftrag ist: nicht stören“
Vater Werden Wolf Lütje, Chefarzt der Geburtshilfe, bietet in Hamburger Krankenhäusern kostenlose Väterkurse für den Kreißsaal an
Interview Birk Grüling
taz: Herr Lütje, was lernen die Väter bei Ihnen im Kurs?
Wolf Lütje: Der Fokus meiner 90-minütigen und kostenlosen Kurse liegt ganz klar auf der Geburt. Die werdenden Väter erfahren alles über ihre Rolle im Kreißsaal und werden auf mögliche Ausnahmesituationen wie einen Notkaiserschnitt vorbereitet. Außerdem dürfen die Männer ganz ungezwungen und ohne Hemmungen ihre Fragen zur Geburt stellen.
Warum sind solche Kurse für werdende Väter sinnvoll?
In den meisten Geburtsvorbereitungskursen für Paare wird die Rolle der Männer während der Geburt nur am Rande thematisiert. Hier stehen – auch völlig zu Recht – eher die Frauen im Fokus. In meinen Kursen können die Väter ganz offen über ihre Sorgen sprechen und ungehemmt Fragen stellen. Der zweite Grund ist eher praktisch für meine Arbeit. Ich habe mich gefragt, wie die natürlichen Abläufe der Geburt möglichst wenig gestört werden und wie die Frauen besser abschalten können. Ein wichtiger Faktor dazu sind die Männer: Wenn sie ihren Platz kennen, können sich die Frauen besser auf sich fokussieren. Das erleichtert die Geburt ungemein.
Was ist aus Ihrer Sicht die Rolle des Mannes im Kreißsaal?
In vielen Vorbereitungskursen wird den Männern erzählt, dass sie sich aktiv an der Geburt beteiligen könnten, zum Beispiel durch Massagen oder Atmen-Übungen. Aus meiner Sicht geht das in eine falsche Richtung. Die Männer brauchen keinen Werkzeugkoffer für die Geburt. Der Hauptauftrag der angehenden Väter ist es, nicht zu stören. Meine Botschaft in den Kursen lautet deshalb: Aktiv werdet ihr nur, wenn die Frau oder Hebamme es sagt. Und sonst kümmert ihr euch um euch selbst, sorgt für Trinken, Essen oder Schlaf. Eine weitere Botschaft: Ihr erlebt während der Geburt eine Frau, die ihr so nicht kennt. Auch das nehmt ihr wortlos hin, egal ob sie schreit, mit euch schimpft oder euch sogar vor die Tür schickt. Die Frau ist die Königin im Kreißsaal und darf alles.
Und wie sollen sich Männer bei einem Notfall verhalten?
Es gibt immer mal wieder Situationen, in denen die Geburt einen unerwarteten Verlauf nimmt. Dann muss der Mann aushalten können, dass er für eine halbe oder Dreiviertelstunde nicht weiß, ob er gleich ein gesundes Kind und eine gesunde Frau wiedersieht. Diese Hilflosigkeit, Angst und Ohnmacht sind für die Männer sehr schwer zu ertragen, aber in den meisten Fällen alternativlos. Auch darüber spreche ich in meinen Kursen und versuche, die werdenden Väter so auf alle Eventualitäten im Kreißsaal vorzubereiten.
59, ist Chefarzt für Geburtshilfe und Präsident der Gesellschaft für Psychosomatische Frauenheilkunde.
Aber Männer sind doch nicht ganz nutzlos im Kreißsaal!?
Nein, natürlich nicht. Die Frauen sind über jede Unterstützung ihrer Männer im Kreißsaal sehr glücklich, egal wie viel die Väter zur eigentlichen Geburt beitragen können. Schon die Anwesenheit und das Handhalten sind enorm wichtig. Einen anderen, sehr interessanten Aspekt höre ich immer wieder in Nachbesprechungen von Geburten. Hierbei wird mir berichtet, dass die Männer zu einer Art Chronist der Geburt werden. Als Außenstehende schreiben sie ein inneres Tagebuch der Vorgänge. Ihre Perspektive und Erzählungen können für die Frauen bei der Verarbeitung des Geburtserlebnisses immens wichtig sein.
Hat sich diese Chronistenrolle in den letzten Jahren gewandelt?
Tatsächlich. In Zeiten von Super 8 hielten viele Männer die ganze Geburt auf Video fest. Sie haben sich geradezu hinter der Technik verschanzt, in einer Mischung aus Unsicherheit und Sinnsuche im Kreißsaal. Heute ist das zum Glück wieder anders. Die neuen Väter verlassen sich stärker auf ihr Gedächtnis und zücken das Smartphone erst eine halbe Stunde nach der Geburt, um die Bilder des Nachwuchses mit allen Verwandten zu teilen. Das ist sehr angenehm.
Wie sind Sie überhapt auf die Idee gekommen, Kurse für Väter anzubieten?
Ich habe selbst sieben Kinder und deshalb einige Geburten nicht nur als Arzt, sondern auch als Vater erlebt. Die Idee für Väterkurse kam mir kurz nach der Geburt meiner ersten Söhne. Damals war ich noch Arzt in München. In den Geburtsvorbereitungskursen kam mir die männliche Perspektive immer etwas zu kurz. Deshalb bot ich einen Väterkurs zur Geburt, der Rolle als Papa und dem Umgang mit Babys an. Dieser erste Anlauf vor 15 Jahren war ein absoluter Flop. Kaum jemand hat sich für das Angebot interessiert.
Nicht nur im Hamburger Ev. Amalie-Sieveking-Krankenhaus und Albertinen-Krankenhaus gibt es Geburtsvorbereitungskurse für werdende Väter. So bietet auch der Väter e. V. im Geburtshaus Hamburg und in der Asklepios-Klinik Nord regelmäßig Väterabende an. Hier geht nicht nur um die Geburt, sondern auch um Themen wie Elternzeit, Babypflege oder die Rolle als Vater. Auch in anderen norddeutschen Städten wie Hannover und Bremen gibt es vergleichbare Angebote.
Warum haben Sie die Idee nun doch in die Tat umgesetzt?
Die Rolle der Väter hat sich in den letzten Jahren stark gewandelt. Die Männer nehmen stärker an der Schwangerschaft teil, wollen bei der Geburt dabei sein und gehen in Elternzeit. Mit dieser gesellschaftlichen Entwicklung stieg auch das Interesse an den Kursen. Deshalb habe ich die Kurse neu aufgelegt, allerdings viel kompakter und mit deutlich klarem Fokus auf die Geburt.
Und jetzt sind die Kurse voll?
Ja, jeden Monat nehmen etwa 20 Männer teil. Ich weise schon bei den Infoabenden für Paare auf die Termine hin. Eine Hälfte der Männer meldet sich danach aus freien Stücken an, die anderen werden von der Frau geschickt. Die Rückmeldungen sind sehr gut, sowohl von den Männern als auch von den Frauen. Beide schätzen die neue Klarheit.
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