Sachbuch über Rassismus in den USA: Mehr als nur Schwarz gegen Weiß
Wieso gibt es schwarze Eliten, aber trotzdem Rassismus? US-Forscherin Keeangha-Yamattha Taylor sucht in ihrem neuen Buch nach Antworten.
Als Barack Obama Ende Mai auf dem Kirchentag in Berlin auftrat, da hinterließ er mal wieder einen dieser glänzenden Eindrücke. Trat mit Angela Merkel vor dem Brandenburger Torauf. Sagte dort Dinge wie „In den Augen Gottes verdient das Kind auf der anderen Seite der Grenze nicht weniger Liebe und Mitgefühl als mein eigenes Kind“. War noch besser gelaunt als noch während seiner Präsidentschaft. Und präsentierte sich auch als krasses Gegenteil zum aktuellen US-Präsidenten Donald Trump.
Die Ära, in der Obama noch im Amt war – vielen erscheint sie aus heutiger Perspektive fast paradiesisch. Natürlich, er enttäuschte auch viele Hoffnungen, die in ihn gesetzt wurden. Und doch war Obama der erste Schwarze Präsident. Und als solcher ein deutliches Symbol – das so manchen schon zu der Deutung verführte, seine Präsidentschaft als den Beginn einer neuen, postrassistischen Epoche zu bezeichnen.
Wobei sich schon während seiner zwei Amtszeiten deutlich abzeichnete, wie wenig postrassistisch Amerika unter Obama tatsächlich war: Sowohl der Zugang zu Bildung als auch die Chancen auf dem Arbeitsmarkt sind für Afroamerikaner auch heute noch schlechter. Eine Million Afroamerikaner*innen sitzt in den überfüllten US-Gefängnissen – das sind im Verhältnis zu ihrem Bevölkerungsanteil überdurchschnittlich viele. Zehn Prozent aller Afroamerikaner*innen dürfen nicht wählen, weil sie einmal eine Gefängnisstrafe verbüßt haben – und jeder vierte Schwarze Mann zwischen 20 und 29 Jahren steht unter der Aufsicht einer Strafjustizbehörde.
Auf der einen Seite stehen also acht Jahre unter einem modernen, charismatischen, Schwarzen Präsidenten. Auf der anderen Seite sind die Folgen von Rassismus für Millionen von Afroamerikanern tagtäglich Realität. Wie kann man das zusammendenken? Dieser Frage geht Keeangha-Yamattha Taylor in ihrem Buch „Von #BlackLivesMatter zu Black Liberation“ nach, das nun in deutscher Übersetzung erscheint.
Die Professorin für African American Studies an der Universität Princeton weist darin nach, dass Rassismus mehr ist als der Kampf Schwarz gegen Weiß. Denn allein diese Perspektive vermag nicht zu erklären, warum es in den USA heute zwar eine Schwarze Elite gibt, aber trotzdem Rassismus. Warum Schwarze Bürgermeister und Schwarze Polizisten Schwarze junge Männer nicht davor schützen, erschossen zu werden. Und ein Schwarzer Präsident den afroamerikanischen Familien nicht geholfen hat, die nach der Finanzkrise öfter und schneller als weiße Familien ihre Häuser verloren.
Unverhältnismäßig hohe Zahl an Verhaftungen
Forscherin Taylor wirft Obama und anderen Mitgliedern der Schwarzen Elite vor, den Diskurs der Farbenblindheit vorangetrieben zu haben und damit Rassismus zu verschleiern. Sie zeigt, welche Hoffnungen viele Afroamerikaner in Obama gesetzt hatten – besonders nach den Jahren unter Präsident George W. Bush, die ein Rückschritt gewesen waren. War doch zum Beispiel an den Folgen von Hurrikan Sandy deutlich abzulesen, wie verwurzelt der Rassismus immer noch war.
Doch statt für die afroamerikanische Community zu sprechen sagte Obama: „Ich bin nicht der Präsident des Schwarzen Amerikas. Ich bin der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika.“ Statt von strukturellem Rassismus sprach er von einer Kultur des Rassismus. Symbolischen Ausdruck findet dies in Obamas Reden über die abwesenden Schwarzen Väter, schreibt Taylor: „Wenn Obama über ‚abwesende Schwarze Väter‘ spricht, erwähnt er nie die völlig unverhältnismäßig hohe Zahl an Verhaftungen und Verurteilungen, die verantwortlich für diese Abwesenheit sind.“
Natürlich hat Obama diese Spielart des neoliberalen und rassistischen Diskurses nicht erfunden, vielmehr war sie eine direkte Antwort auf die Errungenschaften der Bürgerrechtsbewegung der 1950er und 1960er Jahre. Taylor beschreibt ihrem Buch, wie Ronald Reagan in seinem Wahlkampf um die republikanische Präsidentschaftskandidatur 1976 offen rechte Wähler umwarb, indem er neue wohlfahrtsstaatliche Errungenschaften diskreditierte, die durch Rassismus produzierte Ungleichheiten ausgleichen sollten. Der dahinter stehende rassistische Diskurs verfestigte sich allerdings erst, als auch der demokratische Kandidat und spätere Präsident Jimmy Carter einstimmte. Und er wirkt bis heute, bis zu den Obamas und darüber hinaus.
Der Tod von Trayvon Martin im Winter 2012
Trotzdem gibt es Hoffnung. Heute existiert wieder eine große Soziale Bewegung in den Vereinigten Staaten, die den Rassismus und seine vielfältigen Formen offen benennt. Black Lives Matter ist eine Antwort auf die Verschleierung des Rassismus und kann laut Taylor auch als Reaktion auf die Enttäuschung über Präsident Obama gelesen werden.
Keeanga-Yamahtta Taylor: „Von #BlackLivesMatter zu Black Liberation“, Unrast Verlag, 296 Seiten, 19,80 Euro.
Schon die Ursprünge von #BlackLivesMatter hängen eng mit einem Schlüsselmoment dieser Enttäuschung zusammen: dem Tod von Trayvon Martin im Winter 2012. Martin, ein junger Schwarzer Mann, wurde, unbewaffnet und bekleidet mit einem Schwarzen Kapuzenpullover, auf dem Heimweg von einem Nachbarschaftswächter namens George Zimmerman erschossen. Zimmerman berief sich auf Notwehr, die Polizei ließ ihn zunächst laufen – doch in Sozialen Medien kochte die Diskussion des Falles hoch. Im ganzen Land kam es zu Demonstrationen und Protesten gegen Rassismus und Polizeigewalt, die immer größer wurden. Wochen später wurde Zimmermann verhaftet, aber vor allem waren der Hashtag #BlackLivesMatter und eine Bewegung geboren.
Diese Bewegung existiert mittlerweile seit fast fünf Jahren. Es gibt Gruppen in fast allen amerikanischen Städten und mittlerweile auch in anderen Ländern. Die Black-Lives-Matter-Bewegung funktioniert dezentral, hat vielfältige Protestformen – von Social-Media-Kampagnen und Demonstrationen bis hin zu Brückenblockaden – im Repertoire, die bekannten Führungspersönlichkeiten von Black Lives Matter sind überwiegend weiblich und queer. Es ist der Bewegung gelungen, Rassismus als Thema wieder auf die Agenda zu setzen.
Autorin erhält Morddrohungen
Aber nach fünf Jahren stellt sich auch die Frage, wie es mit Black Lives Matter weitergehen soll – gerade unter einem Präsidenten Trump. Diese Frage stellt sich auch Taylor und schreibt, dass der weitere Erfolg der Bewegung auch davon abhängen werde, ob die Bewegung es schafft, weiterhin „die Verbindungen zwischen der Polizeigewalt und anderen Formen Schwarzer Unterdrückung“ aufzuzeigen.
Taylor liefert in ihrem Buch viele Beispiele für positive Bündnis-Ansätze, die Kritik an strukturellem Rassismus mit dem Kampf gegen Ungleichheit verbinden. Etwa dem für einen Mindestlohn von 15 Dollar pro Stunde – sind es doch vor allem Afroamerikaner und Hispanics, die Jobs übernehmen müssen, die schlechter bezahlt sind.
Nicht nur in dieser Hinsicht ist Taylors Buch mehr als eine Analyse einer aktuellen Sozialen Bewegung. Ihre Erkenntnisse über die Potenziale radikaler Bewegungen lassen sich auch auf andere linke Projekte übertragen. Sie warnt sowohl von entradikalisierender staatlicher Vereinnahmung als auch vor identitäter Abschottung, die letztlich nicht nur die Bildung von Bündnissen unmöglich macht, sondern auch die ökonomischen Dimensionen von Unterdrückungen ausblendet. Darüberhinaus zeigt Taylor sowohl im historischen Rückblick als auch in ihrer scharfsinnigen Gegenwartsanalyse, wie struktureller Rassismus auf vielfältige Weise im amerikanischen Klassensystem verankert ist, und liefert damit nicht nur für Amerika-interessierte Leser eine der stärksten und aktuellsten Rassismus-Analysen.
Doch „Von #BlackLivesMatter zu Black Liberation“ ist auch eine Kampfschrift gegen den Neoliberalismus, der die Schuld dem Einzelnen zuweist und so ohnmächtig macht. Es beinhaltet eine kämpferische Zukunftsperspektive. So kämpferisch, dass mittlerweile auch die amerikanische Rechte offenbar mitbekommen hat, wie gefährlich Taylors Thesen ihnen werden könnten: Vor einigen Wochen sendete der US-Fernsehsender Fox News einen 20-minütigen Clip von einer ihrer Reden aus. Daraufhin erhielt Taylor so viele Morddrohungen, dass sie mehrere Vorträge an US-Universitäten absagte.
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