: Mit Licht gegen Unerwünschte
Unerwünscht Der Jungfernstieg gehört zu Hamburgs Postkartenmotiven Nummer eins. Vergangenen Sommer geriet der Ort in Verruf, weil angeblich kriminelle Jugendliche für Stress sorgten. Die Polizei stellte Laternen auf, um dem Problem Herr zu werden. Heute ist es dort ein bisschen hell und ziemlich öde
von Katharina Schipkowski
Schön ist es schon. Zumindest der Ausblick ist okay, wenn man in der Hamburger Innenstadt am Jungfernstieg sitzt und auf die Alster guckt, wie es in warmen Sommernächten oft mehrere Hundert Leute machen. Vom Rande leuchten die Lichter der Luxushotels um den Innenstadtsee, die Schiffe liegen schlafend am Ufer, in der Mitte sprüht die Fontäne.
Im vergangenen Jahr hatte es Schlagzeilen wie „Von Hamburgs Vorzeige-Wohnzimmer zur gefährlichen Kampf-Arena“ über diesen Ort gegeben. Von Messerstechereien, Kopfnüssen und abgebrochenen Bierflaschen war die Rede. Gegen Abend verwandele sich der Alsteranleger in eine No-go-Area. Das Publikum aus Shopping- und Musical-Besucher*innen verschwinde mit Sonnenuntergang und dann fielen Horden von Jugendlichen aus Problembezirken und Flüchtlingsunterkünften ein, war zu lesen. „Eine Sprachmischung aus Arabisch und Farsi legt sich über den Platz“, beschrieb ein Journalist einer Hamburger Lokalzeitung die Geräuschkulisse. Ein anderer schrieb von einem unverständlichen Sprachgewirr, „Deutsch redet niemand.“ Teile der Öffentlichkeit fühlten sich offenbar bedroht.
Die Polizei setzte Streifenbeamt*innen, die Reiterstaffel, Drogenfahnder*innen und Zivilpolizist*innen ein, kontrollierte Personalien und verteilte Platzverweise. Und schließlich stellte sie Scheinwerfer auf.
Vier Halogenstrahler in Betonsockeln, an jeweils acht Meter hohen Masten sollten dafür sorgen, dass sich die Unerwünschten am Jungfernstieg nicht mehr wohl fühlen. Licht als Instrument der Verdrängung für vermeintlich zwielichtige Gestalten – ein gängiges Vorgehen.
Auch in der Hafenstraße, wo die Polizei auf dem Rücken von Geflüchteten und Anwohner*innen einen aussichtslosen Kampf gegen die Drogenkriminalität führt, hat man das versucht: Büsche wurden kahlgeschoren und Straßenlaternen auf den schmalen Gehweg gestellt, um die Gegend unattraktiver für alle jene zu machen, die nicht beobachtet werden wollen. Die aber kamen mit Werkzeug und sägten die Laternen ab. Mittlerweile stehen die Laternen wieder, aber die Händler sind immer noch da.
Nils Zurawski hält nicht viel von Verdrängung durch Beleuchtung. Er forscht am Institut für kriminologische Sozialforschung in Hamburg und hat sich viel mit Überwachung und Sicherheit in Stadt und Raum befasst. „Licht bevölkert die Stadt“, sagt er. Das „urbane Leben“, wie wir es kennen, habe sich Ende des 18. Jahrhunderts mit der Installation von Gas- und später Elektrolampen entwickelt. Ein Nachtleben, wie es heute in Städten stattfindet, sei ohne die Beleuchtung des öffentlichen Raumes nicht denkbar. „Mit Licht haben wir uns die Welt angeeignet“, sagt er.
Wohl aber könne man versuchen, Orte mittels Helligkeit einer anderen Funktionalität zuzuführen – sie für einige Gruppen unattraktiver und für andere attraktiver zu machen, sagt er. Konkret: Kleinkriminelle, Taschendieb*innen und Straßendealer loswerden, um ein wohlhabenderes Publikum anzuziehen. Ob das klappt, könne man allerdings nie vorhersehen. „Licht wird langfristig keine Probleme lösen“, sagt Zurawski.
Am Jungfernstieg ist von dem „Problem“ heute nichts mehr zu sehen. Abends sitzen hier gern Jugendliche in kleinen Gruppen, chillen an den Treppen beim Alsteranleger. Machen Selfies, albern herum. Manche trinken Bier, manche Softdrinks, manche gar nichts. Von der aggressiven Stimmung, die hier vergangenen Sommer geherrscht haben soll, ist hier in diesem Jahr nichts mehr zu spüren. Weder Scherben noch Müll verunreinigen den hellen Steinboden, der erst im April zehn Nächte lang mit einem aufwendigen Reinigungsverfahren für die Draußensitz-Saison hergerichtet wurde. Es ist geradezu steril. Ab und zu fährt ein Streifenwagen vorbei, bleibt aber nicht stehen – warum auch. Es kifft nicht mal jemand.
Mit den Halogenstrahler, die die Stadt aufgestellt hat, hat diese Entwicklung wahrscheinlich nicht so viel zu tun. Eher mit der schlechten Kiosk-Situation: Um 0.30 Uhr macht der letzte Kiosk in der Umgebung zu. Spätestens dann ist hier richtig tote Hose.
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