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Ostfriesland im FilmSchwarz-weiß und kalt

Zwischen dem 7. und 14. Juni findet wieder das Filmfest Emden-Norderney statt. Dort laufen auch zwei Filme, die in Emden und auf Norderney gedreht wurden

Ein Farbklecks: „Fenster Blau“ ist schwarz-weiß – bis auf die blaue Hand der Protagonistin Foto: Internationales Filmfest Emden-Norderney

Norderney im Winter, schwarz-weiß und eiskalt. Ob die Norderneyer ihre Insel bei der Premiere „Fenster Blau“ so sehen wollen, wie Sheri Hagen sie zeigt, kann bezweifelt werden. Die als Schauspielerin bekannte Hagen („Tatort“, „Bella Block“, „Das Deutschlandspiel“) stellte im Jahr 2013 auf dem Filmfest auf Norderney ihr Regiedebüt „Auf den zweiten Blick“ vor. Dafür bekam sie den Preis „Schreibtisch am Meer“, der aus einem Kurzstipendium auf Norderney bestand.

Mit im Gepäck hatte sie bei ihrem Inselbesuch den Text des Theaterstücks „Muttermale Fenster Blau“ von Sasha Marianna Salzmann und sie fühlte sich so von der Nordsee inspiriert, dass sie es als ihren zweiten Langfilm „Fenster Blau“ adaptierte und diesen dann zur Hälfte auf Norderney drehte.

Rund 100 Filme werden vom nächsten Mittwoch an wieder beim Filmfest Emden-Norderney gezeigt. In „Fenster Blau“ist Norderney ein karger, stürmischer, alles andere als idyllischer Ort, wo der junge Mann Ljöscha, der nachts in den Dünen zeltet, damit rechnen muss, dass auf ihn geschossen wird. Sein bewaffneter Verfolger ist sein eigener Großvater. Die beiden raufen sich langsam zusammen, reden dabei aber leider in unnatürlichen, für das Theater gedrechselten Sätzen, die es dem Zuschauer schwer machen, sich in die Figuren einzufühlen.

So gut wie unmöglich ist dies bei dem zweiten Paar des Films, einem Bildhauer und seinem Modell, welches in einem Berliner Zimmer haust, das aber, wie sie selber sagen, auch das „Jenseits“ oder das „Paradies“ sein könnte. Ganz von dieser Welt ist dieser Raum mit seinen Bewohnern sicher nicht, denn in ihm gibt es eine einzige, aus dem Schwarzweiß heraus leuchtende Farbe: ein Marineblau, mit dem die Frau mit den Fingern ein Fenster bemalt und dann sich selber beschmiert.

Es wird schnell klar, dass beide Paare durch einen Inzest miteinander verbunden sind – also der Vater mit seiner Tochter geschlafen hat und deshalb der Großvater zugleich auch der Vater ist. Aber dies wirkt weder schockierend, weil die Figuren so offensichtlich Kopfgeburten sind. Sheri Hagen hat dies wohl auch selber gemerkt, und so gönnt sie zumindest Ljöscha einen kleinen Ausbruch, indem sie eine stumme Frau einführt, in die der junge Mann sich schließlich verliebt. So bekommt der Film sogar ein Happy End und das Meer wird blau und die Wiese grün. Dann ist Norderney wieder schön.

Auch die Emder können ihre Stadt auf der Leinwand bewundern. Doch „Die Stille Revolution“ könnte gegensätzlicher als „Fenster Blau“ nicht sein. Es ist ein Werbefilm einer Emder Hotelkette, deren Parkhotel das Festivalhotel ist. Da kann man als Festivalmacher den Film wohl schlecht ablehnen, immerhin ist er am Ende des Festivals versteckt. Er wurde kaum aus künstlerischen Gründen ausgewählt. Dabei ist er so seltsam und unfreiwillig komisch, dass er in seinen 65 Minuten zumindest nicht langweilt. Er ist eine Auftragsarbeit des Regisseurs und Produzenten Kristian Gründling, der schon Filme für Siemens, Volvo, Bosch und Mediamarkt gemacht hat. „Die Stille Revolution“ ist „nach einer Vision von Bodo Janssen“ entstanden und auch bezahlt. Janssen ist Unternehmersohn der Geschäftsführer der Firma Upstahlsboom, die das besagte Hotel betreibt.

In einer Umfrage im Jahr 2010 bewerteten ihn seine eigenen Angestellten als überflüssig. Janssen ging in sich, besuchte ein Kloster und brachte eine neue Unternehmenskultur in seine Firma. Er setzte auf Eigeninitiative der Mitarbeiter und organisierte eine Kletterexpedition auf den Kilimandscharo. Im Jahr 2013 war er dann plötzlich der beliebteste Unternehmer. „Die Revolution von oben“ wäre also ein besserer Titel. Im Film wird er als ein Visionär stilisiert, der barfuß im Watt stehend den Schiffen hinterherschaut. Ansonsten besteht der Film fast nur aus talking heads, Experten und Angestellte bestätigen, dass er mit seiner Firma auf dem richtigen Weg ist.

Bodo Janssen stilisiert sich als Lokalpatriot. Als guter Ostfriese taucht er bei der Teezeremonie die Sahne so ein, dass ein Wölkchen in der Tasse entsteht. Immerhin also ein schöner Heimatfilm.

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