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Die Quadratur der Kreise

KREISREFORM In Brandenburg wagt sich die Regierung mit der Kreisgebietsreform an ein Thema, das auf viel Widerstand stößt. Das kann die Dominanz der SPD gefährden

Die Volksinitiative „Bürgernähe erhalten“ protestiert am 14. Februar vor dem Potsdamer Landtag gegen die Kreisreform Foto: Ralf Hirschberger/dpa

von Marco Zschieck

Brandenburg galt ja lange als „kleine DDR“. So hatte es Manfred Stolpe, der erste Landesvater nach der Wiedervereinigung, mal genannt. Etwas spießig, konsensorientiert. Nur kein Streit. Doch in dem Land, in dem die Kiefern in Reih und Glied stehen, macht sich politische Unruhe breit.

Auslöser ist eine von der Landesregierung beabsichtigte Kreisgebietsreform: Die rot-rote Regierungskoalition will die öffentliche Verwaltung verschlanken. Dagegen mobil macht ausgerechnet die CDU – und zwar mit den Mitteln der direkten Demokratie. Fast 130.000 Brandenburger unterschrieben eine Volksinitiative, die die Kreisgebietsreform stoppen sollte.

Gewirkt hat das vorerst nicht. Am 12. Juni soll das Kabinett über den Gesetzentwurf zur Reform abstimmen. Noch vor der Sommerpause soll er in den Landtag eingebracht werden. Zum Jahresende könnte das Parlament abstimmen. „Das ist der Zeitplan“, so Ingo Decker, Sprecher des für die Reform zuständigen Innenministeriums. Dann könnte es ab 2019 im größten Flächenland Ostdeutschlands nur noch elf Landkreise und die Landeshauptstadt Potsdam als einzige kreisfreie Stadt geben. Bisher sind es 14 Kreise und vier kreisfreie Städte – neben Potsdam noch Cottbus, Frankfurt (Oder) und Brandenburg/Havel. In einer ersten Fassung der Pläne waren sogar nur neun Kreise plus Potsdam vorgesehen.

Doch ausgestanden ist die Sache noch nicht. Mitte Mai hatte der Landtag mit den Stimmen der rot-roten Koalition und der Grünen die Forderungen der Volksinitiative abgelehnt. Der Trägerverein „Bürgernahes Brandenburg“ kündigte umgehend an, ein Volksbegehren zu starten. Mitte Juni soll es damit losgehen. Damit sich der Landtag nochmals mit den Forderungen beschäftigt, müssen innerhalb von sechs Monaten 80.000 Unterschriften zusammenkommen. Zwar wird das Sammeln etwas mühsamer als in der ersten Runde: Die Unterschriften müssen nämlich in Amtsstuben geleistet werden und nicht an der Tankstelle oder im Fußballverein. Doch angesichts der fast 130.000 Unterzeichner der Volksinitiative hat auch das Volksbegehren gute Erfolgsaussichten. Bleibt Rot-Rot weiter stur, könnte ein Volksentscheid folgen.

Bislang sieht alles nach Konfrontation aus. Die Landesregierung führt als Argument für die Kreisreform den demografischen Wandel und die Abwanderung an. Seitdem die Kreise 1994 zugeschnitten worden, sei die Bevölkerungszahl um mehr als 20 Prozent geschrumpft, so Decker. Die Landesregierung erwartet, dass im Jahr 2030 jeder dritte Brandenburger über 65 Jahre alt sein wird. Man müsse die Strukturen zukunftsfest machen. Die schrumpfenden Gemeinden, die die Kreisverwaltungen über eine Umlage bezahlen, könnten sonst künftig überfordert sein. Dass das vor Ort anders empfunden werde, sei auch der Landesregierung klar, so Decker. „Im Moment funktioniert ja noch alles.“

Wirklich begeistert war Rot-Rot auch von den vorangegangenen Volksinitiativen für ein Nachtflugverbot am BER oder gegen die Massentierhaltung nicht. Schließlich stört so etwas ja immer die Exekutive. Allerdings hat die Landesregierung in diesen Fällen aber einen Weg gefunden, sich irgendwie herauszuwinden, ohne die große Konfrontation zu riskieren. Im ersten Fall schloss man sich den Forderungen an – in der Gewissheit, dass Berlin die Umsetzung verhindern wird. Bei der Massentierhaltung einigte man sich auf einen Kompromiss.

Das Glück der CDU

Direkte Demokratie in Brandenburg

Die Volksgesetzgebung sieht ein dreistufiges Verfahren vor. Für eine erfolgreiche Volksinitiative sind 20.000 gültige Unterschriften nötig. Dann landet die Forderung als Antrag im Landtagsplenum.

Lehnt das Parlament ab, kann dagegen ein Volksbegehren eingebracht werden. Dafür müssen innerhalb von sechs Monaten 80.000 Brandenburger unterschreiben – und zwar auf Ämtern. Klappt das, ist wieder der Landtag am Zug.

Sagt er wieder Nein, folgt automatisch ein Volksentscheid. Der hat Erfolg, wenn ein Viertel der Wahlberechtigten für die Forderungen stimmt und sie gleichzeitig in der Mehrheit sind. Der Volksentscheid hat dann den Rang eines Entschließungsantrags im Landtag. Bis zum Ende der Legislaturperiode wäre die Kreisreform gestoppt.

Doch die Kreisreform ist in dieser Legislaturperiode das zentrale politische Projekt von Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD). Deshalb lockt die Landesregierung mit millionenschweren Anschubfinanzierungen aus dem derzeit prall gefüllten Steuersäckel. Dabei gibt es sogar in der SPD einige, die mit der Linie der Regierung fremdeln – besonders in der Lausitz. Die Basis spürt, wie unpopulär die Pläne sind. Und die Linken machen ohnehin nur aus Koalitionsräson mit.

Wenig hilfreich beim Werben für das sperrige Projekt waren allerdings auch ein paar handwerkliche Fehler, die sich die Landesregierung leistete. So basierten die ersten Pläne für die Kreisreform auf einer veralteten Bevölkerungsprognose: Der Zuzug in den Speckgürtel und die wieder etwas gestiegene Geburtenrate waren nicht ausreichend berücksichtigt. Geradezu autoritär wirkte zuletzt auch, dass die SPD öffentlich diskutierte, das Volksbegehren juristisch prüfen zu lassen.

Angesichts der Gemengelage kann die oppositionelle CDU ihr Glück kaum fassen. Wäre sie in der Regierung, würde sie sicher auch eine Kreisreform machen. Schon 2008 forderte Exgeneral Jörg Schönbohm (CDU), damals Innenminister einer rot-schwarzen Koalition, dass die Städte Brandenburg, Cottbus und Frankfurt (Oder) ihre Kreisfreiheit verlieren sollten. Doch nun gibt Partei- und Fraktionschef Ingo Senftleben den Kämpfer für die Bürgernähe. Woidke unterliege einem „Zentralismuswahn“, sein Programm sei „Zusammenlegen, Zentralisieren und Abwickeln“, so Senftleben in der Landtagsdebatte.

Der Streit über die Reform ist bestes Wahlkampfmaterial. Die nächsten Kommunal- und Landtagswahlen finden zwar erst im Jahr 2019 statt. Aber bei der Bundestagswahl im September könnte die früher notorisch zerstrittene märkische CDU eine Hochburg der SPD angreifen. „Eine Prognose von election.de spricht den Sozialdemokraten keines der zehn Direktmandate im Land Brandenburg mehr zu.“

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