Die Wahrheit: Gaumenschmaus?
Schmeckt nicht gibt’s nicht in der weiten Welt der Gourmetküche – Eidechse und Waran etwa liegen voll im Trend.
Wie man vor Kurzem hörte und las, müssen bei Wendlingen rund 250 Zauneidechsen und in Stuttgart-Untertürkheim mehr als 6.000 Mauereidechsen eingefangen und umgesiedelt werden, damit die ICE-Trasse Stuttgart–Ulm gebaut werden kann. Die Rettung der streng geschützten Reptilien vor den Baggern kommt die Bahn teuer zu stehen: Zwischen 2.000 und 4.000 Euro und nach anderen Quellen sogar bis zu 8.599 Euro kostet die Bergung jeder einzelnen Eidechse. Nach eigener Auskunft rechnet die Bahn mit Ausgaben in Höhe von 15 Millionen Euro für ihren tätigen Akt der Tierliebe.
Zum Missmut von Naturschützern haben diese Nachrichten inzwischen leider auch Feinschmecker aufhorchen lassen. Bislang hatten Eidechsen noch nicht auf dem Speisezettel der Liebhaber verfeinerter Tafelfreuden gestanden, doch gerade die Seltenheit der Zaun- und der Mauereidechsen und der Aufwand, der zu ihrem Schutz betrieben wird, könnten ihnen nun zum Verhängnis werden: Wie die Polizei berichtet, sind einem Gourmand im Hinterzimmer eines badischen Edelrestaurants in der vergangenen Woche sechs Zauneidechsenschenkel à la niçoise serviert worden, und zwar zu einem Pauschalpreis in Höhe von 38.500 Euro.
Ein Kellner hatte den Ordnungshütern einen Tipp gegeben, doch der Kunde konnte durch das Damentoilettenfenster entkommen. Der Inhaber des Restaurants und drei der Köche wurden festgenommen und warten zur Stunde auf ihren Haftprüfungstermin. Sie sehen einer Anklage und einer hohen Geldstrafe entgegen.
Das scheint Nachahmungstäter jedoch nicht abzuschrecken. Vor wenigen Tagen kam es in Cochem an der Mosel zu einem ähnlichen Fall: Dort gingen der Polizei bei der Razzia in einem sonst sehr gut beleumundeten Weinrestaurant drei saudische Gauner ins Netz, die sich an sechsundzwanzig panierten und gebackenen Mauereidechsenschenkeln in Sahnesoße gütlich getan und dafür alles in allem 126.700 Euro auf den Tisch gelegt hatten. Dem Wirt, dem Koch und dem Chef de Cuisine sowie den drei genäschigen Gästen soll im Oktober in Trier der Prozess gemacht werden.
Aber schmecken Eidechsen denn überhaupt? Was sagen die Experten?
Gaumen nicht basisdemokratisch
Für den Promigastronomen Albrecht Ürzen, der im Regional-TV Westfalen-Lippe eine eigene Kochshow betreibt („Würzen mit Ürzen“), ist das schlicht eine Frage der Einstellung: „Der Gaumen ist kein Basisdemokrat. Die einen mögen dies und die anderen das, und wer besonders viel Geld in der Tasche hat, der will auch Leistung sehen, also in diesem Fall eine gebratene Trophäe. Bei den Eidechsen kommt jetzt natürlich noch der Das-darf-man-nicht-Faktor hinzu. Die Amis nennen das ‚thrill and chill‘. Erst was Verbotenes essen und sich dann total entspannen. Das ist auch in der indonesischen Küche der neue Trend, und die ist ja momentan führend, sag ich mal, jedenfalls hier im Kreis Höxter . . .“
Tatsächlich hat schon Plinius den Verzehr gebratener Eidechsen empfohlen, allerdings nur als Arznei bei einem Wasserhodenbruch. Dem Geschmack ihrer Schenkel wird indessen nichts Gutes nachgesagt. Selbst die Chinesen, die bekanntermaßen alles außer ihren Tischgästen verzehren, lehnen ihn ab: Er sei gallig, krötig, ätzend, übelkeitserregend und benebelnd, heißt es in Kochbüchern aus der Zeit des Philosophen Konfuzius.
Woher dann aber, noch einmal gefragt, das plötzliche Interesse verwöhnter Esser an diesen ungustiösen Abkömmlingen garstiger Schuppenkriechtiere aus dem Ober- oder Untertrias? Steckt dahinter wirklich nur die Gier nach einem Tabubruch? Oder kündigt sich hier eine kulinarische Wende an, der womöglich bald auch Leguane, Geckos und Chamäleons zum Opfer fallen werden?
Vielerorts gelten selbst die Innereien von Waranen und chinesischen Alligatoren als Delikatesse, beispielsweise in den Kreisen investigativer Journalisten und westlicher Spitzendiplomaten, die sich auf ihren Auslandsreisen zu Asian Food Lovers entwickelt haben. Man spricht darüber nur hinter vorgehaltener Hand, doch alle wissen Bescheid, und bei entsprechender Bezahlung drückt so mancher Zöllner ein Auge zu, wenn sich im Handgepäck etwas Drüsenschuppiges regt.
Sumpfkrokodilschmuggel
Dem Irlandkorrespondenten der taz, Ralf Sotscheck, ist es letztes Jahr gelungen, ein ausgewachsenes Sumpfkrokodil aus Sri Lanka in 13 Portionen nach Dublin zu schmuggeln und es sich häppchenweise einzuverleiben, in geschmorter Form, nach einem altgälischen Rezept, mit dem er sich demnächst an dem prestigeträchtigen Kochwettbewerb Bocuse d’Or beteiligen möchte. „Die Bitterstoffe verflüchtigen sich, wenn man das Krokodilfleisch eine Woche lang in Guinness mit einem Schuss Bushmills einlegt“, erklärt das Leckermaul Sotscheck auf Befragen. „Aber Eidechsenschenkel sind noch etwas zarter. Und was verboten ist, das macht uns gerade scharf!“
Spricht’s – und rammt seine nikotingelben Hauer zur Abwechslung in ein teichmolch- und froschlurchbelegtes Sandwich aus eigener Herstellung. Wem dabei nicht der Appetit vergeht, der hat es weit gebracht.
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