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Gefahr Sie sitzen in einem Flugzeug, plötzlich riecht es unangenehm. Das kann harmlos sein. Vielleicht der Sitznachbar? Es kann aber auch gefährlich werden. Ein Fume Event. Was das ist? Lesen Sie weiterUngefiltert angezapft

von Petra Sorge

Fume Events, nie gehört. Was ist das?

Zwischenfälle mit üblem Geruch oder Rauch in der Kabinenluft von Flugzeugen nennt man Fume Events, auf Deutsch Rauchvorfälle. Das kann ungefährlich sein, etwa wenn Dampf aus der Bordküche strömt. Heikel wird es, wenn sich Schmierstoffe aus den Triebwerken erhitzen und in den Atemluftkreislauf des Flugzeugs geraten, weil zu viel Öl eingefüllt wurde oder Dichtungen defekt sind.

Wie gefährlich ist das?

Bei fast allen Flugzeugen wird die Luft über die Turbinen angezapft – ungefiltert. US-Militärexperten haben schon in den 1950er Jahren auf die Gefahren hingewiesen: Die synthetischen Öle in der Luftfahrt enthalten Organophosphate wie etwa Trikresylphosphate – abgekürzt bekannt als TCP –, die auch in chemischen Kampfstoffen vorkommen. Sie sind krebserregend.

Wie erkennt man ein Fume Event?

Die Flugbegleiterin Daniela F. hat im Herbst 2011 ein folgenschweres Fume Event erlebt, auf einem Transatlantikflug eines Airbus A380. „In der Startphase roch es plötzlich nach chemischen dreckigen Socken“, sagt sie. Die 38-Jährige, die sich in mehreren juristischen Auseinandersetzungen befindet, möchte anonym bleiben. Sie sagt, Kollegen würden den Geruch oft mit „nassem Hund“ vergleichen. F. meldete den Fall ins Cockpit, der Pilot schaltete ein Triebwerk aus. Doch im Landeanflug war der Geruch wieder da, Passagiere beschwerten sich. F. bekam Halsschmerzen und musste sich zum Atmen die Bluse vor die Nase halten. Später kamen Kopf- und Gliederschmerzen hinzu. Zu Hause ging es ihr immer schlechter. „Ich bin quasi zusammengeklappt.“ Vier Tage war sie krank.

Ist das ein Einzelfall?

Nein. Am Institut für Arbeitsmedizin der Universität Göttingen behandelt Astrid Heutelbeck zahlreiche Betroffene von Fume Events. Die Oberärztin hat in rund 400 Blut- und Urinproben von Crewmitgliedern und Passagieren Organophosphate und flüchtige organische Verbindungen gefunden. Bei Daniela F. hatte ein US-Labor im Blutplasma bereits Spuren von hochtoxischen Stoffen nachgewiesen.

Menschen reagieren unterschiedlich auf giftige Gase in der Kabinenluft. Warum?

Das hängt sowohl von der Intensität der Belastung als auch von der Fähigkeit des Organismus ab, die Gifte abzubauen. Wer viel und vor allem lange Strecken fliegt, hat ein höheres Risiko. Auch Babys, Schwangere, Ältere und Menschen mit Vorbelastungen durch Gifte sollten aufpassen.

Gibt es Langzeitfolgen?

Daniela F. fand ein halbes Jahr lang keine Ruhe. Sie flog weiter – und bekam Hustenattacken, litt unter Erschöpfung, wurde immer müder, „auch mein Gehirn hat gelitten“. Im Gymnasium hatte sie die Hauptrolle in einem Musical gespielt, später kamen weitere Stücke an einer Schauspielschule hinzu. Heute fällt es ihr schwer, Texte auswendig zu lernen. Auch singen kann sie nicht mehr –„dazu fehlt mir der Atem“. Inzwischen ist sie fluguntauglich.

Ist das Problem erforscht?

Nur wenige Mediziner wissen von solchen Kontaminationen. Im Fall der Flugbegleiterin vermutete ein Lungenarzt eine „Hyperventilation“ und diagnostizierte eine „gravierende chronische Angststörung“. Seine Empfehlung: „Rück­atmung durch die Plastiktüte“ – und eine Psychotherapie. Die Arbeitsmedizinerin Heutelbeck in Göttingen dagegen diagnostizierte eine Lungendiffusionsstörung. Die Nervenfasern in ihrem Lungengewebe sind fast komplett zerstört. Ein zweiter Spezialist bestätigte das.

Wie reagieren die Fluggesellschaften?

Flugzeugbauer und Airlines bestreiten, dass es einen Zusammenhang zwischen Fume Events und solchen Krankheitssymptomen gibt. Die Berufsgenossenschaft Verkehr erklärte, dass „bislang keine Gefahrstoffe, die zu einer längeren Erkrankung führen können, in relevanter Dosis in der Kabinenluft nachgewiesen werden“ konnten. Die Unfallversicherung lehnte alle Forderungen von Daniela F. ab – entgegen der Einschätzung der Oberärztin Heutelbeck. Auch andere Versicherungen weigern sich, F.s Behandlungen zu bezahlen. Die Flugbegleiterin führt nun Prozesse gegen die Berufsgenossenschaft, zwei Unfallversicherer und gegen ihre Krankenkasse.

Hat mal jemand die Luft im Flugzeug untersucht?

Die Lufthansa beauftragte 2013 die Medizinische Hochschule Hannover (MHH) mit einer Studie zum Thema „Luftqualität in Flugzeugen“. Für die Europäische Flugsicherheitsagentur Easa führte die MHH mit dem Fraunhofer-Institut für Toxikologie und Experimentelle Medizin eine weitere Kabinenluftstudie durch, zusammen mit der Lufthansa, Condor und British Airways. Das Ergebnis: Die Luft an Bord von Flugzeugen sei „genauso oder besser“ als in Büros, Schulen oder Kindergärten. Die „Patienteninitiative Contaminated Cabin Air“ kritisiert die Studien. Es wurde nur auf 69 Flügen getestet, nur 61 davon waren Flugzeuge mit Zapfluftsystemen, bei denen die Luft durch die Triebwerke geleitet wird. „Das hat null statistische Relevanz“, sagt Exkapitän und Sprecher der Patienteninitiative Michael Kramer. „Keine einzige Messung hat bei einem Fume Event stattgefunden.“ Die Berufsgenossenschaft Verkehr hat das Institut für Prävention und Arbeitsmedizin in Bochum beauftragt, Untersuchungen an betroffenem Flugpersonal durchzuführen. Das Problem: Das Institut ist eine Einrichtung der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung. „Das ist ungefähr so, als wenn das Kraftfahrtbundesamt Volkswagen beauftragen würde, Emissionswerte zu ermitteln“, sagt Kramer.

Wie oft kommen Fume Events vor?

Die Piloten-Vereinigung Cockpit schätzt, dass es bei einem von 2.000 Flügen zu einem Fume Event kommt. „Das wäre in Deutschland mehr als einmal am Tag“, sagt Vorstandsmitglied Jörg Handwerg. Im Jahr 2016 wurden der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung 61 Fume Events gemeldet, 2 davon wurden als „Störung“ eingestuft. Das heißt, der sichere Betrieb des Luftfahrzeugs wurde beeinträchtigt.

Kann man als Passagier etwas gegen Fume Events tun?

Wenig. Zur Sicherheit kann man eine giftstoffsichere Atemmaske tragen. Die Masken, die im Notfall im Passagierraum bereitgestellt werden, sind ungeeignet, weil sie meist ein Kabinenluftgemisch enthalten und die toxischen Stoffe nicht herausfiltern. Vorbelastete Passagiere sollten lieber ganz auf Flugreisen verzichten oder auf zapfluftfreie Maschinen umsteigen. Die Flugzeuge der Typen Boeing-787-„Dreamliner“ sowie Airbus A320neo nutzen das Stoßluftsystem mit Kompressoren; die Kabinenluft wird nicht durch die Triebwerke geleitet. Danie­la F. ist nie wieder geflogen. „Ein Neurologe sagte: Wenn Sie nochmal in ein Fume Event geraten, könnte das das Letzte sein, was Sie tun.“

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