Smarte Mobilität

Verkehr Alle reden vom selbstfahrenden Auto. Aber warum werden seine schon jetzt entwickelten Systeme nicht längst im Verkehr eingesetzt?

Held, Kriener, Schindler

Martin Held und Jörg Schindler ­schreiben Bücher und Essays zu Verkehrs- und Energiethemen, Manfred Kriener ist Journalist in Berlin.

Von Martin Held, Manfred Kriener
und Jörg Schindler

Das Ding soll uns retten. Es soll Unfälle, Staus, Stress und Schadstoffe reduzieren, uns Freiheit und Freizeit schenken. Schon wird es als zweite Erfindung des Automobils gefeiert: das selbstfahrende Auto. 2025 oder 2030 werden als Termin für sein Erscheinen genannt, dann sollen sich die Erlöserfantasien materialisieren. Dann rufen wir per Smartphone unser Auto-Auto, das unsere Kinder in die Kita, unsere Frauen zum Yoga und uns selbst ins Büro fährt, während wir schon mal wichtige Geschäfte erledigen. Alle starren auf die Entwicklung des autonomen Gespensterautos und den Wettlauf der Autobauer.

Fortschritte nutzen

Was dabei völlig aus dem Radar gerät: Viele der bisher schon entwickelten Assistenzsysteme könnten ab sofort für eine sicherere und umweltverträglichere Mobilität sorgen, für lebendigere Städte, für mehr Gesundheit und Wohlbefinden. Warum starren wir wie gebannt auf die Ankunft des Erlöserautos, ohne die bisherigen Fortschritte zu nutzen? Haben wir vielleicht doch nicht den Mut, dem Autofahrer in die Parade zu fahren, ihm bei Müdigkeit, Trunkenheit und falschen Fahrmanövern die Herrschaft über das Steuer wegzunehmen?

Wir gehen bewusst nicht auf die technischen, rechtlichen und ethischen Herausforderungen ein, die auf dem Weg zum autonomen Fahren noch zu lösen sind. Unser Ausgangspunkt: Was ist heute bereits möglich und sinnvoll? Wie können Assistenzsysteme und digitale Technologien den Verkehr verbessern, ihn sicherer, klimaverträglicher und gesünder gestalten? Und die aktive Mobilität wie den Fuß- und Radverkehr fördern?

Es gibt erstaunliche Problemlösungen, die sich Kameras, Sensoren, Prozessoren, Aktoren und Rechner zunutze machen. Grundprinzip: Fahrerinnen und Fahrer bleiben in ihrem Verhalten weitgehend frei. Die Assistenzsysteme greifen nur dann ein, wenn die Vorschriften nicht eingehalten werden und wenn Gefahr droht.

Tödliches Rechtsabbiegen:Der tote Winkel beim Rechtsabbiegen ist die Ursache vieler schwerer Unfälle. Deshalb ist es überfällig, Abbiegeassistenten für Lastwagen, Busse und Pkws verpflichtend zu machen. Damit werden auch die Fahrer von Unfallrisiken entlastet. Zugleich können sich Radfahrer und Fußgängerinnen sicherer fühlen.

Abstand zum Vordermann: Abstandsassistenten sind bereits im Einsatz. Wenn sie verpflichtend werden, erhöhen sie die Sicherheit. Drängler werden ausgebremst, der Verkehr wird flüssiger.

Signalanlagen: Rot- und Grünphasen von Ampeln können von allen Kraftfahrzeugen erkannt, die Signale entsprechend umgesetzt werden. Rotsünder wären Vergangenheit.

Zebrastreifen: Fußgängerfurten und Zebrastreifen können schon heute von Kraftfahrzeugen „gesehen“ und die Fahrzeuge gegebenenfalls angehalten werden. Dadurch werden, wie bei den Ampeln, die Sicherheit erhöht und das gute Miteinander gefördert.

Tempolimit: Der Tempomat ist bei Neufahrzeugen nahezu Standard. Wird er obligatorisch, kann er helfen, vorgeschriebene Geschwindigkeiten einzuhalten. Überhöhte Geschwindigkeit ist die wichtigste Unfallursache. Besonders hilfreich wäre diese Funktion in Tempo-30-Zonen.

Einhaltung der Regeln

Überholen: Überholverbote können vom Fahrzeug erkannt und eingehalten werden. Dies gilt auch für Gefahrenstellen wie schwer einsehbare Rechtskurven oder erkennbaren Gegenverkehr. Besonders vorteilhaft ist die Kontrolle bei Bushaltestellen, wo es immer wieder zu Unfällen mit ausgestiegenen Businsassen kommt. Ergo: An unterschiedlichen Gefahrenpunkten können riskante und lebensgefährliche Überholvorgänge ausgebremst werden.

Parken: Parkhilfen sind weitgehend auf das Piepsen beim Manövrieren beschränkt. Im innerstädtischen Verkehr sind neben dem Todeskampf um die Parklücke vor allem die im Parkverbot abgestellten Autos und das wilde Parken auf Geh- und Radwegen häufig Anlass für Konflikte. Deshalb wäre eine intelligente Nutzung moderner Assistenzsysteme zur Einhaltung der Regeln hilfreich und notwendig. Technisch kein Problem.

Die Straße wird immer noch als ein teilweise rechtsfreier Raum angesehen

Gefährliche Witterung: Schneefall, Glatteis, Starkregen und Nebel sorgen immer wieder für verheerende Unfallserien. Die Witterungsrisiken können von Sensoren erkannt werden, die Assistenzsysteme sorgen dann für sicherere Fahrt mit angepasster Geschwindigkeit.

Auch Müdigkeit und Trunkenheit von Fahrern werden heute von der Technik erkannt. Ebenso sind riskante Spurwechsel, Geisterfahrten in die falsche Richtung und andere Falschmanöver korrigierbar. Warum werden diese Chancen nicht genutzt? Unsere Antwort: Weil die Straße immer noch ein teilweise rechtsfreier Raum ist, in dem Regelverletzungen toleriert werden. Geschwindigkeitsübertretungen, Rotsünden, Trunkenheitsfahrten und andere Verstöße können ständig beobachtet werden. Wir alle sind Verkehrssünder und nehmen Tag für Tag erhebliche Risiken in Kauf. Die Gefahr, erwischt zu werden, ist überschaubar. Im Gegenzug werden mehrere tausend Verkehrstote als unvermeidbarer Kollateralschaden hingenommen.

Kein Polizeistaat

Schon hört man den Einwand, dass die Assistenzsysteme in den von uns vorgeschlagenen Einsatzfeldern zum verlängerten Arm eines Polizeistaats werden. Dass Freiheit und Autonomie der Fahrer unerträglich beeinträchtigt werden. Stopp! Wir haben Visionen vom komplett autonomen Auto, das angeblich alles besser macht. Wir trauen uns aber nicht, nützliche Assistenzsysteme auch nur in Ansätzen vorzuschreiben?

Der oben beschriebene Einsatz der Technik wäre sofort machbar und würde eine heilsame Wirkung entfalten. Ebenso wäre in der Übergangszeit ein „Mischbetrieb“ von Fahrzeugen mit und ohne Assistenzsysteme problemlos möglich. Und noch einmal: In allen Fällen blieben die Freiheitsgrade beim Fahren so lange vollständig erhalten, wie die Rechtsvorschriften eingehalten und keine gefährlichen Fahrmanöver gestartet werden.

Auch der Datenschutz wäre kein Thema. Eine Überwachung der Fahrzeuge von einer zentralen Stelle mit Bewegungsprofilen ist nicht erforderlich. Dafür würde sich mit fortschreitender Implementierung auch das psychologische Setting auf den befriedeten Straßen verbessern. Ebenso sänke der Aufwand zur Überwachung, Polizisten könnten ihren originären Aufgaben nachgehen. Warum tun wir’s nicht?