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Gabriele Lesser über die Massenproteste in PolenBauern fallen vom Glauben ab

Noch sticht Kaczyńskis Terrorkarte: Mehr als 70 Prozent der Polen wollen keine Flüchtlinge

Jarosław Kaczyński, der starke Mann Polens, der hinter den Kulissen agiert, hatte zu früh frohlockt. Die Straßenproteste gegen seine nationalpopulistische Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) würden mit der Zeit schwächer werden und schließlich völlig aufhören, hatte er noch im Winter prophezeit. Doch am Samstag, bei den ersten Frühlingssonnenstrahlen, waren sie wieder da: Zehntausende Bürger aus ganz Polen, die sich gegen den Rückbau der Demokratie, die Politisierung der Rechtsprechung, den Abbau der Medienfreiheit und eine chaotische Schulreform wehren.

Aus dem fernen Szczecin (Stettin) kommentierte der PiS-Parteivorsitzende die Massenkundgebung, zu der Polens größte Oppositionspartei, die liberalkonservative Bürgerplattform (PO), aufgerufen hatte. Die Demonstranten seien irregeführt. „Freiheit existiert in Polen“, sagte er und führt zum Beweis die Demonstration selbst an. Jeder könne sagen, was er wolle. Wenn aber erst die PO wieder an die Macht käme, werde sie das Kindergeldprogramm so reduzieren, dass die Armut in die Häuser der Polen zurückkehre.

Dann zog Kaczyński die Terrorkarte, die noch immer sticht. Weit über 70 Prozent der Polen sind gegen die Aufnahme von Flüchtlingen. „Wollt ihr in Polen Zustände wie in Westeuropa haben?“, schürte Kaczyński die Angst. „Terror, Straßenterror, Angst vor jedem Spaziergang am helllichten Tag und im Stadtzentrum?“ Nur die Freiheitspartei PiS, behauptete er, schütze die Polen vor Flüchtlingen und Terror.

Damit ist es Kaczyński zunächst wohl gelungen, wieder einen großen Teil der Polen einzuschüchtern und auf seine Seite zu ziehen. Doch die neuen grünen Fahnen der Bauern, Leidtragende der Bildungsreform, auf der Massendemonstration in Warschau zeigen, dass der Protest gegen die PiS-Politik immer weitere Kreise zieht. Ein Bauernaufstand würde Kaczyński die Macht kosten.

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