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Grüne warnen vor Hartz-IV-Stau

Eine Einigungsstelle soll Arbeitslose überprüfen, die der Bund für zu krank zum Jobben hält und der Stadt überantworten will. Doch das Gremium schläft, argwöhnt die GAL

In Hamburg müssen viele schwer Kranke befürchten, zur Arbeit aufgefordert und bei Weigerung mit finanziellen Einbußen bestraft zu werden. Das beklagt die GAL-Fraktion. Nach ihren Informationen stagniert die Arbeit in der Einigungstelle der Hartz-Behörde (Arge), die prüfen soll, ob Empfänger von Arbeitslosengeld II (ALG II) erwerbsfähig und in einen Job vermittelbar sind. Obwohl zahlreiche Kranke fälschlicherweise als erwerbsfähig gelten, hat das Gremium laut GAL bisher kaum Streitfälle entschieden. Auch der DGB rügt, über das Agieren der Einigungsstelle sei „zu wenig bekannt“.

Diese haben Stadt und Arbeitsagentur etabliert, nachdem im Januar mit Hartz IV Arbeitslosen- und Sozialhilfe zum ALG II zusammengelegt worden waren. Die vom Bund bezahlte Stütze erhalten alle als erwerbsfähig geltenden Langzeitarbeitslosen. Dank Hartz bringt die Stadt nur noch Leistungen auf für jene, die nicht erwerbsfähig sind. Die Sozialbehörde hatte zum Januar 90 Prozent ihres Klientels als „potenziell arbeitsfähig“ abgegeben. In Senat wie Arbeitsagentur ist unstrittig, dass ein Teil der Verschobenen bei der Arge falsch aufgehoben ist. Streitfälle soll die Einigungsstelle aus Stadt- und Agenturvertretern klären.

Die GAL-Abgeordnete Gudrun Köncke wirft dem Gremium „Stillstand“ vor. Bei ihr hätten sich Betroffene beschwert, etwa eine Krebskranke, die „noch ein Jahr zu leben hat“. Gleichwohl sei die Frau als erwerbsfähig eingestuft worden. Dadurch habe sie ihren Anspruch auf bestimmte Sozialleistungen wie eine Haushaltshilfe verloren. „Viele Betroffene müssen zudem fürchten, trotz schwerer Krankeit zu Ein-Euro-Jobs aufgefordert zu werden“, so Köncke. Zugleich belaste die Falschzuordnung den Bundeshaushalt. Köncke will nun per kleiner Senatsanfrage klären, was die Einigungsstelle leistet.

„Um finanzielle Belastungen abzuwehren, hat die Stadt Interesse daran, möglichst viele ALG-II-Empfänger als erwerbsfähig einzustufen“, warnt Hamburgs DGB-Chef Erhard Pumm, zugleich Vizevorsitzender eines Rats zur Kontrolle der Arge. Auf dessen heutiger Sitzung, kündigt Pumm an, werde er Rechenschaft von der Arge fordern.

Diese weist die Kritik zurück: „Wir sind mit der Einigungsstelle zufrieden“, so Sprecher Uwe Ihnen, die alle zwei Wochen tage und sich jedes Mal mit 20 Fällen befasse. Wann sie erstmals getagt und wie viele Fälle seither entschieden wurden, kann er aber nicht sagen.

Auch Arbeitsagentur-Chef Rolf Steil beschwichtigt: „Es ist zu früh, um die Arbeit der Einigungsstelle zu würdigen.“ Korrigiere aber der Bundesgesetzgeber nicht seinen „zu weit“ gefassten Begriff der Erwerbsfähigkeit, „rollt eine Lawine auf die Einigungsstelle zu“. Eva Weikert

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