: Neun Patronen für die Guerilla
Geschichte Genozid im Schatten der mexikanischen Revolution: Paco Ignacio Taibo II erzählt die verdrängte Geschichte vom Völkermord an den Yaqui durch Mexikos Militär
Jedes Frühjahr tritt der Río Yaqui über die Ufer, düngt das Umland wie der Nil die Felder in Ägypten. Das Wasser sorgt dafür, dass die Böden rund um den Fluss besonders fruchtbar sind. „Das ist ein Segen für das Land, aber zugleich auch sein Fluch“, schreibt Paco Ignacio Taibo II gleich am Anfang seines Buchs über „Die Yaqui“. Darin erzählt er die Geschichte einer indigenen Ethnie, die sich über fünf Jahrhunderte ihre Identität erhalten und verbissen das eigene Territorium verteidigt hat, bis sie zu Beginn des 19. Jahrhundert von der mexikanischen Armee beinahe ausgelöscht wurde.
Mit dieser Geschichte hat der mexikanische Historiker, Journalist und Autor in Mexiko für Aufsehen gesorgt. „Gerade weil die Geschichte komplett vergessen war, im Zuge der Revolution von 1910 untergegangen ist und in ihrer Tragweite letztlich nie in Mexiko bekannt war“, so der linke Intellektuelle, der ständig auf der Suche nach kleinen oder großen Geschichten ist, aus denen sich lernen lässt. Aus der Vergangenheit und Gegenwart der Yaqui lässt sich einiges lernen. Deshalb ist Paco Ignacio Taibo II 2011 zum zweiten Mal ins Yaqui-Gebiet gefahren – auf neuerliche Spurensuche und um die Gobernadores, die Regierenden der Ethnie, um Erlaubnis zu fragen. Erlaubnis, die Geschichte einer indigenen Ethnie niederschreiben zu dürfen, die sich immer wieder erfolgreich verteidigt hat. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts führte sie den Guerillakrieg im Bundesstaat Sonora, bis das Volk fast vernichtet war von den mexikanischen Militärs.
Der Genozid fand im Schatten der mexikanischen Revolution statt, es überlebten nur rund 7.000 von mehr als 30.000 Yaqui – verstreut über Bundesstaaten wie Yucatán und Oaxaca, wohin sie aus ihrem Siedlungsgebiet im Süden von Sonora deportiert wurden.
Die Yaqui sind entfernte Verwandte der Nahuátl, der größten indigenen Volksgruppe Mexikos. Sie leben traditionell von Landwirtschaft, Jagd und Fischfang. Eine Besonderheit ist, dass die kaum 30.000 Menschen zählende Ethnie nicht auf individuellen, sondern auf kollektiven Landbesitz setzte. Gemeinschaftsküchen, gemeinsamer Anbau und die gemeinsame Verteidigung ihrer Kultur und ihres Territoriums ziehen sich durch ihre Geschichte, die Paco Ignacio Taibo II von 1533 bis heute rekonstruiert hat.
Eine Konstante ist, dass die Yaqui immer im fruchtbaren Tal des Yaqui lebten und dieses Land immer wieder im Fokus der lokalen Eliten landete. So auch heute: „Die Geschichte des Krieges der Yaqui könnte sich heute wiederholen, nur ist es ein Krieg mit anderen Mitteln“, erzählt Paco Ignacio Taibo II. Wasserkraftwerke könnten den Yaqui buchstäblich das Wasser abdrehen, der Widerstand läuft – und bei dem spielt der wortgewaltige Historiker eine wichtige Rolle. Sein Buch hat nicht nur dazu beigetragen, dass die Yaqui heute mehr über ihre eigene Geschichte wissen als früher, sondern auch die mexikanische Öffentlichkeit. Dazu hat das Buch viel beigetragen, aber auch die Dokumentation, die im Anschluss mit der Hilfe des Autors entstand.
Heute sind die Yaqui eine Referenz des indigenen Widerstands. Dafür sorgen Beispiele wie das des jungen Yaqui, der mehrere hundert Kilometer durch die Wüste marschierte, um von seinem kargen Lohn als Tagelöhner genau neun Patronen zu kaufen – die lieferte er dann bei der Yaqui-Guerilla ab. Ein Buch für den Widerstand und gegen das Vergessen.
Knut Henkel
Paco Ignacio Taibo II: „Die Yaqui – Indigener Widerstand und ein Völkermord“. A. d. Span. v. Andreas Löhrer. Assoziation A, Berlin 2017, 248 Seiten, 18 Euro
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen