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Museumsdirektorin über koloniale Stücke„Überraschend unerforscht“

Die Direktorin des Überseemuseums, Wiebke Ahrndt, lässt erforschen, wie in der Kolonialzeit die afrikanische Sammlung erweitert wurde.

Spuren kolonialer Geschichte: Eingangskatalog des Übersee-Museums. Foto: Matthias Haase/Übersee-Museum
Interview von Benno Schirrmeister

taz: Frau Ahrndt, wenn ProvenienzforscherInnen einen Großteil Ihrer Afrika-Sammlung durchforsten, geht das nicht an die Substanz des Museums?

Wiebke Ahrndt: Nein, es geht an den Kern dessen, was die Aufgabe eines Museums ist. Denn es ist ja sehr unbefriedigend, große Sammlungsbestände im Hause zu haben – und auf die Frage, woher das kommt und wie es zu uns gelangt ist, nur antworten zu können: Nichts Genaues weiß man nicht. Bis auf einige pittoreske oder besonders grausame Fälle ist die Geschichte des kolonialen Sammelns überraschend unerforscht – dabei ist Sammlungsforschung unsere Hausaufgabe. Das ist der Ausgangspunkt des jetzigen Projekts.

Und Restitutionsforderungen bereiten Ihnen keine Sorge?

Die sind fast so etwas wie ein Phantom, das nur in der öffentlichen Diskussion immer mal wieder auftaucht. Wir erleben die so gut wie gar nicht: Rückgabeforderungen beziehen sich fast ausschließlich auf sehr spezielle Sammlungsstücke wie menschliche Überreste. Was wir allerdings seitens der Herkunftsgesellschaften erleben, ist der Wunsch, zu wissen: Was habt ihr, woher kommt es, macht es zugänglich, stellt Transparenz her. Diese Forderung ist vollauf berechtigt.

Das Wissen wäre ja die Voraussetzung für eine Forderung nach Rückgabe.

Selbstverständlich können unsere Recherchen die Frage aufwerfen, wie mit einzelnen Objekten umzugehen ist und die Suche nach einer fairen und gerechten Lösung notwendig machen. Das kann passieren. Und das wir unrechtmäßig erworbene Stücke restituieren würden, ist selbstverständlich. Wichtig ist uns, da Klarheit reinzubekommen.

dpa
Im Interview: Wiebke Ahrndt

53, Ethnologin, seit 2002 Direktorin des Überseemuseums, seit 2011 Vizedirektorin des Deutschen Museumsbundes, dessen Empfehlungen zum Umgang mit "Human Remains" als Hilfestellung "vor allem in Hinsicht auf Rückgabeforderungen" eine von Ahrndt geleitete Arbeitsgruppe 2013 vorgelegt hat.

Welche Varianten des Erwerbs gibt es denn?

Das ist ja genau die Frage: Wir wissen wenig über die Erwerbskontexte. Und der Bestand, um den es geht, ist sehr groß und stammt aus einem Zeitraum von fast 40 Jahren. Normalerweise betreibt man Provenienzforschung in Bezug auf sehr kleine Sammlungsbestände, die in der Tiefe analysiert werden. Da gehen wir einen anderen Weg: Unsere drei DoktorandInnen begutachten nahezu die Gesamtheit der in der Kolonialzeit aus dem heutigen Kamerun, Tansania und Namibia nach Deutschland gelangten Gegenstände.

Das Provenienzprojekt

Für ihre Dissertationen beim Globalhistoriker Jürgen Zimmerer an der Uni Hamburg untersuchen Sara Capdeville (Paris), Jean Ndzodo Awono (Yaoundé) und Christian Jarling (Greifswald) die Objekte des Überseemuseums, die zwischen 1884 und 1918 in Kamerun, im damaligen Deutsch-Ostafrika (Tansania, Ruanda, Burundi) und im heutigen Namibia erworben wurden.

Zugleich suchen sie nach Spuren des Erwerbs in den Herkunftsländern.

Die Volkswagen-Stiftung finanziert das auf vier Jahre beschränkte Projekt mit 450.000 Euro.

Den finanziellen Rahmen gesprengt hätte die Erforschung der Togo-Bestände. Die sind besonders umfangreich, weil dort neben der Bremer Norddeutschen Mission auch die hiesigen Firmen Friedrich M. Vietor und Söhne, die Kolonial-Handelsgesellschaft AG, die Togo-Baumwollgesellschaft mbH und das Afrikahaus J. K. Vietor & Claus Freese tätig waren.

… etwa 2.500 Objekte!

Wir wollen das ausreizen, wie weit man trotz einer sehr lückenhaften Kenntnis und schlechter Dokumentationslage kommt, ob man zu strukturellen Antworten findet, und welchen Einfluss die sehr unterschiedliche Verwaltung der verschiedenen Kolonien auf den Sammlungserwerb hatte. Außerdem ist uns sehr wichtig, die Geber in den Blick zu bekommen: Die klassische Provenienzforschung fokussiert ja stark auf die Sammlerbiografie. Natürlich machen wir das auch, weil man darüber bereits einige Informationen erhält …

… aber Sie betreiben auch Feldforschung?

Genau. Wenn wir herausbekommen, aus welcher Region das jeweilige Sammlungsstück genau kommt, werden wir in Afrika versuchen, Gesprächspartner zu finden, die sich noch erinnern können oder die durch orale Traditionen Kenntnisse über den jeweiligen Sammler bekommen haben: Oft wird übersehen und über weite Strecken auch in der Forschung vernachlässigt, dass es eben keine einseitige Angelegenheit war. Wir wollen die Akteure der Herkunftsländer, der Geberseite in den Blick bekommen.

Und was ist deren Interesse?

Neben dem Wissenstransfer ist ein zentrales Anliegen, beteiligt zu sein, dass die Erforschung in Form eines Dialogs stattfindet. Wir haben für unser Projekt entsprechend auch in Afrika Ausschreibungen gemacht, und sind sehr froh, dass ein Doktorand aus Kamerun dabei ist: Das ist eine ziemliche Herausforderung, weil man für die Arbeit hier Deutsch lesen können muss. Und zwar Sütterlin. Auf halber Strecke werden wir auch, dank der Volkswagen-Stiftung, einen Workshop mit KollegInnen aus den Herkunftsländern veranstalten, um die Ergebnisse zu diskutieren. Denn das ist eine ganz klare Forderung: Redet mit uns, nicht über uns.

Hat das Sammeln die Produktion der Artefakte beeinflusst?

In Bezug auf Ozeanien wissen wir, dass dort massiv für die Europäer produziert worden ist. Das war ein regelrechter Markt. Auch in unseren Afrika-Beständen haben wir Objekte ganz ohne Gebrauchsspuren. Dann ist wahrscheinlich, dass sie direkt für den Sammler hergestellt wurden.

… und korrekt erworben?

Auch das lässt sich nicht so einfach folgern: Wir wissen von einer Sammlung der Herero, dass sie eine Auftragsarbeit war – die ausgeführt wurde in einem Lager der rheinischen Mission. Ungebraucht heißt nicht automatisch auch freiwillig hergestellt. Einen anderen Hinweis gibt die Art der Gegenstände: Wenn wir zum Beispiel von einzelnen Sammlern eine große Zahl von Waffen haben, stellt sich die Frage, ob das nur Ausdruck seines spezifischen Interesses ist – oder ob sie im Rahmen einer Strafexpedition erbeutet wurden, bei der entwaffnet wurde. Hellhörig wird man natürlich auch, sobald man Objekte hat, die keine Alltagsgegenstände sind, sondern beispielsweise als Herrschaftszeichen dienten oder kultische Funktion hatten.

Die sind geklaut?

Man wird da hellhörig. Und man muss sich fragen, ob es möglich war, an solche Artefakte auf fairem Wege zu gelangen. Auch dafür gibt es allerdings Beispiele: Es gibt bei Museumsobjekten alle Facetten des Erwerbs von der Schenkung über den legalen Kauf und den betrügerischen Handel bis hin zum Raub. Es gibt die gesamte Spielbreite. Die gilt es zu eruieren, um nicht so zu tun, als könnte hier immer alles klar in Gut und Böse unterteilt werden: Wir haben uns in dieser Frage mit sehr vielen unterschiedlichen Grautönen zu beschäftigen.

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1 Kommentar

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  • Wenn ProvenienzforscherInnen die Afrika-Sammlung des Überseemuseums durchforsten, geht das „an den Kern dessen, was die Aufgabe eines Museums ist,“ so Frau Prof. Dr. Wiebke Ahrndt, die langjährige Direktorin des Überseemuseums.

    Ach ne. Ich dachte immer, Kernaufgabe eines Museums und so auch des Bremer Überseemuseums sei es, möglichst viele Besucher anzulocken. Aber da sieht es finster aus: 1957 besuchten 263.940 Besucher das Übersee-Museum. 2016 waren es gerade mal 112.885 Besucher. Eindeutig zu wenig. Das Haus ist wohl zu unattraktiv.

    Attraktiv zu werden, dazu braucht es Ideen. Wo sind die zu sehen? Ich jedenfalls nehme eher ein Überseemuseum wahr, das so ordentlich aufgeräumt ist, als ob es eine Puppenstube wäre. Anstatt ein Profil zu erarbeiten, betreibt man – politisch korrekt – Schuld- und Strafkultur – und erzieht sogar drei Doktorandinnen dazu.

    Die Staatsrätin für Kultur Carmen Emigholz forderte 2007, das Überseemuseum solle zeigen, was „Globalisierung“ ist. Das gelang nicht. BILD schrieb dazu am 06.11.2012: „Metrum-Mitarbeiter haben sich zwischen Buddha-Statuen und präparierten Tieren umgeschaut. Ihr Fazit: ‚Die Idee, die Welt unter einem Dach zu zeigen, ist ein uneinlösbares Versprechen.‘ Und die Erwartungen der Besucher haben sich verändert.“

    Dieses Museum stellte ursprünglich Stücke aus den damaligen deutschen Kolonien aus. Mit dem Pfund lässt sich wuchern. Unsere Väter zeigten sich dort als Kolonialherren, wir hingegen lassen auch die Einheimischen zu Wort kommen. Liebevoll und wissenschaftlich.

    Auf der Plattform ist Platz für Projekte zu Vergangenheit und Gegenwart, etwa „Tourismus als Postkolonialismus?“; „Fluchtbewegungen aus ehemaligen Kolonialländern nach Europa“, oder: „China, ‚die Gelbe Gefahr‘ (Wilhelm II.), der neue Herr von Afrika?“. Platz ist da auch für die Provenienzforschung: „Unser Diebesgut“ – ein tolles Thema!

    Die Besucher entdecken eine Welt, zu der sie eine Beziehung haben, nolens volens.

    Martin Korol, Bremen