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Jazzahead-Festival in BremenRaus aus dem Popzirkus!

Zum Auftakt der 12. „Jazzahead!“ präsentieren sich heimische Musiker und Acts des Gastlandes Finnland – mit Luft nach oben.

Es geht auch ohne Ramtamtam, etwa wenn Iiro Rantala spielt. Foto: Lee Dayoung/Jazzahead

Bremen taz | Konzerte sind Selbstbestätigungserlebnisse. Weswegen Menschen auf der Bühne denen davor zumeist in gewichtigen demografischen Daten gleichen. Was das Miteinander erst so richtig kuschelig macht. Man versteht sich. Bleibt treu zusammen. Zelebriert den Kohorteneffekt, wie Sozialwissenschaftler sagen würden: Das Publikum altert mit der Musik und den Musikern. Als typisches Beispiel wird häufig der Jazz angeführt – und als generationsinterne Rentnermusik belächelt. Mitgelächelt werden durfte zur Eröffnung der 12. „Jazzahead!“.

Uli Beckerhoff, Jahrgang 1947, trompetet einige spröde-voluminöse Töne ins Theater am Goetheplatz, diffundierend lösen sie sich auf im Zuschauersaal, der ausverkauft ist von einem augenscheinlich das Jazz-Klischee erfüllendem Publikum. Es mutet überdurchschnittlich alt, überdurchschnittlich gebildet, überdurchschnittlich reich an. Aber diese Homogenität ist untypisch für das Festival wie seine Keimzelle, die gleichzeitig stattfindende Fachmesse.

Sie war nie einer retro-jazzende Seniorenveranstaltung, sondern stets der aktuellen Auseinandersetzung des frech forschenden Nachwuchses mit der improvisierten Musik gewidmet. Auf den Konzertbühnen stehen vornehmlich U35-Musiker und immerhin ein Viertel des Publikums gehört auch dieser Generation an, nur ein Drittel ist über 55 Jahre. Das ergab eine Studie, die vom Institut Marktforschung Kultur in Kooperation mit der Hochschule Bremen durchgeführt wurde.

Von 8.517 Besuchern der „Jazz­ahead!“ 2016 haben die Verantwortlichen 1.002 befragt. Und dabei auch ein weiteres Vorurteil entkräftet. Jazz sei vor allem etwas für männliche Ohren, ist immer wieder zu hören. Aber 47 Prozent der „Jazzahead!“-Lauscher waren Lauscherinnen.

Eine andere These erwies sich hingegen als realitätsnah: Jazzkultur und Bildung hängen eng zusammen. 11 Prozent der Besucher waren promoviert, 54 hatten studiert oder sind noch dabei, ergab die Studie. Zwei Drittel Akademiker – das sei halt typisch für Hochkulturangebote. Nicht überraschend auch die Berufe der „Jazzahead!“-Fans: Sie kommen aus der Kultur- und Medienindustrie (40 Prozent), dem Gesundheits- und Sozialwesen (17 Prozent) sowie dem Bildungsbereich (13 Prozent).

Ein Viertel reiste aus dem Ausland an, gut 40 Prozent seien Bremer. Vor allem aus Stadtteilen mit „hohem Sozialindex“, so die Forscher. Wer also Freunde mit Jazzgeschmack sucht, wird am ehesten in Mitte, Schwachhausen, der östlichen Vorstadt und Neustadt fündig. Noch verblüffender als die mit der Studie nicht kompatible Publikumszusammensetzung der Eröffnungsveranstaltung ist ihr Konzertprogramm zum Festivalschwerpunkt Finnland.

Aino Venna verkriecht sich mit einem Kontrabassisten auf die Hinterbühne, illuminiert mit gutturalem Feuer ihre hart und klar geführte Stimme, intoniert Balladeskes aus dem Singer-Songwriter-Nähkästchen, gibt die Folk-Bardin, französelt Chansons, versinkt in Fado-Melancholie – konzertiert auf so was von ausgetretenen Musikpfaden, dass es schon einer optischen Stimmungsaufhellerin bedarf, um die Aufmerksamkeit hoch zu halten.

Leider könntenmit dem Auftakt-programm auchTourismus-Events oder Autohäuser eröffnen

Die knotet sich akrobatisch um ein Seil, baumelt und klettert an Kabeln, windet sich durch Reifen, schmust weit überm Bühnenboden mit Lampions. Mit der Musik zu tun hat das Geturne nichts.

Was das sein soll? „Eine poetische Zirkusperformance“, schlägt die Moderatorin vor. Und stellt Beatboxer Felix Zenger vor. Er zeigt, dass er mit dem Mund ein prima Hörspielgeräuschemacher ist, auch Instrumente eines Orchesters nachmachen und dazu mit einem Ball jonglieren kann.

Eine staunenswerte Show, keine Musik. Vokalzirkus. Abschließend eine verfröhlichte, mit Electro-Beats aufgepeppte Version des finnischen Tangos – von der Band der famosen Akkordeonspielerin Johanna Juhola Reaktori als gefälliger Popzirkus dargeboten. Ein Musikprogramm also, mit dem auch ein Tourismus-Event oder Autohaus eröffnet werden könnte. Zu unspezifisch, um Lust auf finnische Kultur zu machen, die jetzt in Bremen zu erleben ist.

Ein Höhepunkt hingegen könnte die Finnish Jazz Night am 27. April im Schlachthof werden. Jazz soll zu erleben sein als Kunstform, die sich mit vielem vermischt, alles Mögliche ausborgt und mit der Freiheit des Ausdrucks eigensinnig ins Offene hinein musiziert. Und das, den Finnen sei Dank, selten ohne einen schrägen, experimentellen Sinn für Humor.

Beispielswiese mit Trance-Dance-Krautrock-Collagen (Tenors of Kalma), nordisch warmherzig heruntergekühlten Elegien (Virta), minimalistischem Pianotrio-Impressionismus (Aki Rissanen), Jazzrock-Ekstase (Raoul Björkenheim) oder frisch improvisierten Soundtracks für imaginäre Aki-Kaurismäki-Filme (Dalindeo).

An den beiden folgenden Tagen gehen das European Jazz Meeting, die German Jazz Expo und eine Overseas Night über die Bühnen. Die Vielfalt des Konzerthäppchenangebots vermittelt den Reichtum der Jazzspielarten. Das macht den Reiz des Festivals aus. Von halbstündigen Showcases im Messekontext bis zum Galakonzert in der Glocke ist alles dabei. Dort wird das Publikum auch wieder klischeeklassisch älter sein – hat die Besucherstudie beim entsprechenden Anlass 2016 festgestellt.

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