piwik no script img

SS-Mann zu alt für Strafe

Hubertus Bikker wieder für verhandlungsunfähig erklärt

Jahrzehntelang lebte der ehemalige SS-Mann Hubertus Bikker unbehelligt in Deutschland. Jetzt, wo sich die deutsche Justiz endlich für den schon 1949 in den Niederlanden wegen zweifachen Mordes Verurteilten interessiert, scheint er zu alt für Gerichtsprozesse zu sein. Zu dieser Auffassung ist jedenfalls das Landgericht Hagen gekommen, das den 90-Jährigen erneut für schwer krank und verhandlungsunfähig befunden hat. Das Verfahren ist damit eingestellt. Wenn die Beschwerde der Staatsanwaltschaft dagegen keinen Erfolg hat, muss Bikker die lebenslange Strafe, zu er in den Niederlanden verurteilt worden war, nicht mehr verbüßen. Die Staatsanwaltschaft wollte erreichen, dass er diese Strafe in Deutschland absitzen muss.

Bikker war 1952 aus einem niederländischen Gefängnis in die Bundesrepublik geflohen. Seitdem lebt der gebürtige Niederländer in der Bundesrepublik. Ein Ermittlungsverfahren wegen Kriegsverbrechen wurde schnell wieder eingestellt. Auslieferungsgesuche der Niederlande hatten die westdeutschen Behörden stets abgelehnt. Als ehemaliges Mitglied der Waffen-SS hatte Bikker inzwischen die deutsche Staatsangehörigkeit – ein von Hitler 1943 unterzeichneter Erlass machte es möglich. Als Deutscher dürfe er nicht ausgeliefert werden, entschied das Oberlandesgericht Hamm 1954. Die Gültigkeit des „Führererlasses“ zogen deutsche Gerichte nicht in Zweifel. Im Gegenteil: Für die Gültigkeit von Gesetzen sei entscheidend, ob die dahinter stehende Staatsgewalt sich habe durchsetzen können, urteilte der Bundesgerichtshof 1953. „Daran kann für die Diktatur Hitlers nicht gezweifelt werden.“

2003 beantragten die Niederlande, dass die Strafe in Deutschland vollzogen wird. Aufgrund neuer EU-Bestimmungen stimmte die Bundesregierung zu und machte das Verfahren in Hagen möglich. Zur dieser Zeit ermittelte längst schon die Staatsanwaltschaft gegen Bikker wegen Mord an dem holländischen Widerstandskämpfer Jan Houtman. Bikker hatte ihn 1944 erschossen und 1997 dem Stern darüber berichtet: „Und dann hab ick ihm den Gnadenschuss gegeben.“ Ende 2003 wurde der Prozess eröffnet. Schon dieses Verfahren hat das Landgericht Hagen im Februar 2004 wegen Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten eingestellt. DIRK ECKERT

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen