Wendebilanz: Die Unmerkliche
Fast ist es wie in den Siebzigern, als das Anhängsel NRW aus Bonner Fraktionssesseln heraus regiert wurde. Seit der Landtagswahl ist das Bundesland wiederum Statist: Am 22. Mai, kurz nach sechs verschwand das Interesse an der schwarz-gelben Landeswende – und kehrte nicht zurück nach NRW. Natürlich hätte auch die kühnste Landesregierung gegen den Berliner Machtkampf nichts ausrichten können. Doch etwas mehr Aufbruch hätte es schon sein dürfen.
KOMMENTAR VON CHRISTOPH SCHURIAN
Dabei hatte die Regierungserklärung von Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers herrschaftslyrisch anderes versprochen: „Der Weg wird Opfer kosten“, tönte Rüttgers im Juli, „und jeder wird es merken!“ Doch bislang, erst recht im Bundestagswahlkampf, sind weder Weg noch Opfer klar geworden.
Stattdessen versucht die Landesregierung den Wohlfühlkurs, stellt Lehrer ein, was jeder gut findet. Streicht den Genderbeauftragten der Forstwirtschaft, was jeder gut findet. Einigt sich mit der RAG auf ein Ende in Walsum, was längst beschlossen war. Liebt Zwergschulen, Holzpellets, Standstreifen, Integrationsbeauftragte. Härte ist vor allem bei Windkraftpropaganda und Studiengebühren zu spüren.
Und nun, nach 99 Machttagen, wird die mit Opferparolen getarnte Vorsicht zum Regierungsstil geadelt. Oder, wie sagt es Rüttgers, „bei allem was wir einführen, achten wir darauf, dass es soziale Widerlager gibt“. Ein bürgerlicher Aufbruch im sozialdemokratischsten aller Bundesländer geht anders.
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