piwik no script img

„Wir reden nicht von ‚gut‘ und ‚sehr gut‘“

Unis als Arbeitgeber Auf dem GEW-Portal kodex-check.de kann man sich über Beschäftigungsbedingungen an deutschen Unis informieren. Grundlage ist eine Studie von vier NachwuchswissenschaftlerInnen. Im Gespräch mit den AutorInnen

Auch befristet angestellt? An der Uni Heidelberg Foto: Tania Reinicke/laif

InterviewAnna Lehmann

taz: Ihre Studie zu Beschäftigungsbedingungen und zur Personalpolitik an deutschen Hochschulen ist die erste dieser Art. Welches Ergebnis hat Sie am meisten überrascht?

AutorInnen: Es gibt kaum Unterschiede zwischen Universitäten mit und ohne Exzellenzstatus. Obwohl die Exzellenzunis mehr Geld bekommen und für ihre Bewerbung auch Konzepte etwa zur Gleichstellung oder Familienfreundlichkeit vorlegen mussten, bieten sie ihren Mitarbeitern keine besseren Beschäftigungsbedingungen.

Seitdem Sie 2014 angefangen haben, die statistischen Daten zu erheben, wurde das Gesetz, das Befristungen in der Wissenschaft regelt, reformiert. Wie aktuell sind die Daten dann noch?

So schnell ändert sich die Lage nicht. Wir glauben unsere Studie ist deshalb jetzt aktuell, weil wir nicht allein auf die Zahlen schauen, sondern sagen: Wenn 20 Jahre Hochschulpolitik dafür sorgen, die Unis autonom zu machen, dann muss das ja auch Folgen für die Spielräume als Arbeitgeber haben. Und die wollen wir thematisieren.

Die Universität Heidelberg befristet ihre Mitarbeiter zu 87 Prozent, wohingegen die Universität Tübingen nur eine Befristungsquote von 66 Prozent aufweist. Beide Elite-Unis, beide in Baden-Württemberg, beide haben eine ähnliche Finanzlage und fachliche Ausrichtung. Wie erklären Sie die großen Unterschiede?

Grundsätzlich gehen wir davon aus, dass die Spielräume der Hochschulen mit ihrer finanziellen Situation zusammenhängen. Aber ja, die Finanzlage an beiden Unis ist vergleichbar, wobei die Uni Heidelberg etwas mehr Drittmittel hat. Auch das beeinflusst die Befristungspraxis, allerdings erklärt das nicht die Unterschiede von 20 Prozentpunkten. Ein interessanter Punkt, der Auswirkungen auf die Personalpolitik beider Hochschulen besitzen könnte, ist die Umwandlung der Universitäten in Landesbetriebe. Die Uni Heidelberg ist schon seit 2003 Landesbetrieb, die Uni Tübingen erst seit 2015. Damit rückt der Grundsatz wirtschaftlich zu arbeiten in den Vordergrund. Welche Auswirkungen das auf personalpolitische Entscheidungen innerhalb der Hochschulen besitzt und wie sich möglicherweise bisherige Denkweisen und Konzepte der Stellenbewirtschaftung von Hochschulen verändern, wäre ein wichtiger Untersuchungsgegengenstand für weitere Forschung.

Eine weitere Kategorie, die Sie abgefragt haben: Gibt es ein Konzept für Familien­freundlichkeit? Ergebnis für die Universität Heidelberg: Daumen hoch. Ist diese Uni also familienfreundlich?

Das bedeutet nur, dass es überhaupt ein Konzept gibt. Es bedeutet nicht zwingend, dass die Unis die familienpolitische Komponente anwenden, die eine Vertragsverlängerung für diejenigen befristet Beschäftigen ermöglicht, die Kinder betreuen, um deren Promotion oder Habilitation abzusichern. Dass können wir nicht darstellen, denn dann stünde überall: keine Angabe.

Dass es ein Konzept gibt, heißt also nicht, dass es wirkt?

Genau. Alle befragten Hochschulen haben ein Konzept oder sind sogar als familienfreundliche Hochschule zertifiziert. Gleichzeitig wissen wir aus dem Bundesbericht für den wissenschaftlichen Nachwuchs, dass, wenn Leute befristet beschäftigt sind, vielleicht sogar auf einer Teilzeitstelle und prekär, dass das eben nicht besonders familienfreundlich ist.

Die AutorInnen

Franziska Leischner (HU Berlin), Anne K. Krüger (HU Berlin), Johannes Moes (TU Berlin) und Anna Schütz (Uni Bremen) arbeiten als wissenschaftliche MitarbeiterInnen. Für den Fachbereich Sozialwissenschaften der HU Berlin untersuchten sie Beschäftigungsbedingungen an deutschen Hochschulen.

Ein weiteres Thema, das Sie untersucht haben: Gibt es verlässliche Karrierewege, gibt es Probeprofessuren für Nachwuchswissenschaftler, Tenure Tracks genannt. Ergebnis: Die gibt es an vielen Unis. Aber Sie haben herausgefunden, dass sich dahinter ganz verschiedene Konzepte verbergen.

Genau. Es gibt Tenure Tracks, da ist von vornherein festgelegt, dass es zwar eine Stelle gibt, aber auf die müssen sich die JuniorprofessorInnen zusammen mit externen Kandidaten bewerben. Selbst wenn ihre Evaluation positiv ausfällt, ist das keine Garantie, dass sie die Stelle wirklich bekommen. Dann gibt es Tenure Tracks mit einer Kannbestimmung: Im Laufe der Jahre wird geguckt, ob es überhaupt eine Stelle für diese JuniorprofessorIn gibt. Und dann gibt es die, die einen echten Tenure Track haben. Da ist von vornherein klar, es wird eine Stelle geben, die ist für diese JuniorprofessorIn vorbehalten, wenn er oder sie die Zielvereinbarungen eingehalten hat, bekommt sie oder er die Stelle auch.

Wie viele echte Tenures haben Sie gefunden?

Nur 17 der 31 Hochschulen mit öffentlich zugänglichen Richtlinien für Tenure-Track-Verfahren sehen ein unmittelbares, verlässliches und transparentes Verfahren vor, und die kommen außerdem seltener zur Anwendung. Da verweisen wir auf das Beispiel der Uni Potsdam: Im Jahre 2013 wurde eine echte Tenure-Stelle ausgeschrieben im Vergleich zu 19 unechten in den Jahren darauf.

Immerhin hat die Uni geantwortet. Aber Sie haben insgesamt 45 Universitäten angeschrieben, nur 9 haben geantwortet. Wie erklären Sie sich die geringe Resonanz?

Zum Teil sagten die Unis, sie würden gern mitmachen, aber haben niemanden, der sich darum kümmern kann. Zum Teil ist die Datenlage an den Universitäten auch extrem mau. Wir fragten zum Beispiel auch nach Vertragslängen. Doch die Universitäten haben darüber keinen Überblick. Die Berliner Humboldt-Universität konnte zum Beispiel keine Aussage dar­über machen, wie viele Beschäftigte sie sachgrundlos oder aufgrund von Drittmitteln befristen. Im ersten Fall gilt die familienpolitische Komponente, im zweiten Fall nicht.

Die Studie ist die Datengrundlage für die Datenbank kodex-check.de. Was kann man damit anfangen?

Wo forschen und lehren?

Kodex: Die Gewerkschaft Erziehungen und Wissenschaft (GEW) hatte vor fünf Jahren in einem Herrschinger Kodex Anregungen zusammengefasst, wie die Hochschulen selbst aktiv werden und die Arbeitsbedingungen für ihre Beschäftigten attraktiver machen können.

kodex-check.de: Seit 22. März ist eine interaktive Webseite online, die die Beschäftigungsbedingungen an allen 81 deutschen Hochschulen mit Promotionsrecht unter die Lupe nimmt. Aufgelistet werden: Anteil befristet Beschäftigter, Beschäftigter in Teilzeit, Frauenanteil, Konzept für Familienfreundlichkeit, gute Arbeit, Tenure Track.

Der Kodex-Check steht erst am Anfang. Aber dadurch, dass es eben bisher keine Daten gab, ist das ein kleiner Quantensprung in die richtige Richtung. Zentral finden wir die Vergleichsmöglichkeiten und die Transparenz.

Sie stehen als Autorenteam unter der Studie. Wie sehen denn Ihre Beschäftigungsbedingungen aus?

Für die Studie wurde nur eine Person beschäftigt – und auch nur auf einer halben Stelle und für ein Jahr. Der wissenschaftliche Beirat besteht aus Personen, die zwar an Unis beschäftigt, aber nicht direkt für die Durchführung der Studie angestellt waren.

Hinter der Humboldt-Universität stehen auf der Webseite kodex-check.de aber vier grüne Daumen aus. Ist die HU etwa kein guter Arbeitgeber?

Ausgangslage für die Bewertung ist immer der Vergleich mit anderen Universitäten. Daher reden wir hier nicht von „gut“ und „sehr gut“, sondern von „vergleichsweise akzeptabel“ und „auf einem guten Weg“. Und da würden wir sagen, die HU bewegt sich im Vergleich zu anderen auf einem guten Weg. Die anderen Unis sind schlechter.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen