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Möwenschreie und Musikfetzen

DUNKEL Eine aufgedrehte Tonspur, eine eindrucksvolle Schauspielerin:Die Britin Katie Mitchell inszeniert Sarah Kanes „4.48 Psychose“ in Hamburg

Eine unnahbare Figur, schreckhaft, verloren in einer überreizten Welt

Sarah Kanes Stück „4.48 Psychose“ – das versprach kein heiterer Abend zu werden. ­Kanes fünfter und letzter Text ist ein Schreckgespenst, ein Aufschrei, ein Abschiedsbrief – erstellt im Herbst und Winter 1998/99. Wenig später, am 20. Februar 1999, nimmt sich der damalige Shootingstar der britischen Dramatik das Leben; in einem Londoner Krankenhaus, wo Kane wegen Depressionen behandelt wurde. Nach seiner posthumen Uraufführung im Juni 2000 am Royal Court Theatre (Regie: Jerwood McDonald) und der deutschen Erstaufführung durch Thirza Bruncken an den Münchner Kammerspielen eineinhalb Jahre später war das Stück aus den deutschen Spielplänen lange Zeit nicht mehr wegzudenken. Zuletzt wurde Kanes auch autobiografisch zu verstehender Text nicht mehr so oft auf die Bühnen gebracht. Nun hat die britische Regisseurin Katie Mitchell ihn im Hamburger Malersaal inszeniert. Eigentlich puristisch und doch auf eigenwillige Weise illustrativ.

In einen schwarzen Regenmantel gehüllt steht die Protagonistin (Julia Wieninger) mitten in einem schwarzes Nichts. Eingerahmt wird diese Dunkelheit von gleißenden Neonröhren (Bühne: Alex Eales), eingebettet ist sie in eine permanente Soundkulisse. Da folgt auf eine schier endlose Schrittfolge das Quietschen einer Tür, da hört man fernes Hundegebell und die Sirenen eines Krankenwagens, da laufen Automotoren, schwirren Stimmen und Musikfetzen vorbei. Später suggerieren Möwenschreie und Meeresrauschen besinnliche Strandatmosphäre. Der Soundteppich ist omni- und überpräsent und verwandelt das Stück in ein allzu naturalistisch anmutendes (Hör-)Spiel.

Julia Wieninger – die Arme wahlweise fröstelnd vor der Brust verschränkt oder tief in die Manteltaschen vergraben – geht und kommt doch nicht von der Stelle. Mit wütendem Unterton beginnt sie den Text, atemlos spricht aus ihr die pure Verzweiflung. Es ist der rastlose Gang einer Depressiven durch die schwarze, schlaflose Nacht: „Um 4 Uhr 48 / wenn die Klarheit vorbeischaut / für eine Stunde und zwölf Minuten bin ich ganz bei Vernunft / Kaum ist das vorbei, werd ich wieder verloren sein, eine zerstückelte Puppe / ein absurder Trottel.“ Völlig in sich gekehrt geht sie, mal streift sie das Schweinwerferlicht eines vorbeifahrenden Autos, mal werfen Straßenlaternen weich zeichnende Ellipsen auf sie, mal erhellt das flackernde Rotlicht einer Bar ihr Gesicht. Jack Knowles (Licht) und Donato Wharton (Sound) bauen Illusionen – nach allen Regeln der Kunst.

Mitchell inszeniert Kanes Ich-Figur ganz konkret: eine Frau mit einem mehr als unruhigen Geist, die halblaut wütend ihre Gedanken ordnet. Die es aus schlimmen Träumen, aus selbstzerstörerischer Verzweiflung in die kalte Nacht hinausgetrieben hat. Und je länger sich diese Figur zu sortieren versucht, desto mehr verstrickt sie sich in sich selbst, desto mehr wird sie von ihren Ängsten und Unsicherheiten eingeholt, desto häufiger erreichen sie schmerzhafte Erinnerungen und erbarmungslose Selbstzweifel. Der Zuschauer geht diesen dunklen Weg mit ihr, sieht – vielmehr hört –, wie sie in einen Bus steigt, beobachtet, wie sie in den Kurven mit dem Gleichgewicht kämpft, wie sie aussteigt und weiter- und weitergeht. Eine unnahbare Figur, schreckhaft und einsam verloren in einer überreizten Welt. Ihre hektischen Anrufe beim Therapeuten enden auf dessen Anrufbeantworter; die Cello-Suiten von Bach, die sie sich in die Ohren stöpselt, verfehlen eine beruhigende Wirkung.

Natürlich setzt zum Ende dieses deprimierenden Abends deprimierender Regen ein. Wieningers Schritte werden dann schneller, ihre Bewegungen zuckender. Sie scheint diese Figur inhaliert zu haben, spielt die Not der Protagonistin mit existenzieller Wucht und wechselt – etwa wenn sie die Methoden der Selbstbeherrschung dekliniert – kaum einen Atemzug später in eine mechanische, gelernte Leichtfertigkeit. Doch mit einer weniger aufdringlichen Tonspur, mit der Katie Mitchell die (Irr-)Wege ihrer Protagonistin überdeutlich verortet, mit der sie einen urbanen Kontext suggeriert, bedrohlich knirschendes Eis oder dem schließlich heranrasenden tödlichen Schnellzug, würde man Wieninger viel lieber zuhören und -sehen. Man würde sich auf die eigene Vorstellungskraft verlassen dürfen, auf die Vielschichtigkeit des Textes und vor allem auf die Kunstfertigkeit dieser eindrucksvollen Schauspielerin. Katrin Ullmann

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