Zurück auf der Bühne: „Alles, was ich mache, ist Gewalt“
Patrick Wagner war mal erfolgreich mit der Band Surrogat und dem Label Kitty-Yo, dann war er lange weg. Nun ist er mit der Band Gewalt zurück und spricht über Scheitern, Angst und Verweigerung.
taz: Herr Wagner, Sie haben sich selbst an die taz gewandt, weil Sie gerne mal über Verweigerung und Depression in der Kunst reden wollten. Warum?
Patrick Wagner: Das sind die Dinge, mit denen ich mich mein Leben lang beschäftige. Deshalb gibt es die Band, und deshalb heißt sie „Gewalt“. Die Band könnte aber genauso gut „Angst“ heißen.
Mit Ihrer Noiserock-Band Surrogat waren Sie in den 1990ern erfolgreich und mit dem Indie-Label Kitty-Yo noch viel erfolgreicher. Dann gab es plötzlich beide nicht mehr. Woran sind Sie gescheitert?
Kitty-Yo habe ich im Streit mit meinem Partner aufgelöst und Surrogat sind einfach verglüht. Ich hab die Musik aus meinem Leben herausgeext, als hätte es sie nie gegeben. Wenn mich jemand danach gefragt hat, bin ich dem ausgewichen. Das hat auch keine Wunde gerissen. Es war, als wäre ich ein anderer Mensch.
geboren 1970, gründete Mitte der 90er die Band Surrogat und mit Kitty-Yo eines der wichtigsten deutschen Indie-Labels der späten 90er. Heute berät er Unternehmen.
Ihre Plattenfirma Louisville Records ist dann auch noch den Bach runtergangen.
Und mit ihr meine Ehe. Auch das habe ich irgendwie verdrängt. Es hört sich vielleicht plakativ an, aber ich saß dann fünf Jahre lang in meinem Zimmer und habe die Decke angeguckt. Ich habe nichts mehr wirklich versucht. Ich wollte mir mein Versagen selbst bestätigen.
Das klingt tatsächlich nach Depression.
Unglücklich war ich nicht und habe viel Zeit mit meinem Sohn verbracht. Aber ich hatte immer Jochen Distelmeyer von Blumfeld vor Augen. Der war immer relevant, aber als er Vater wurde, hatte er auf einmal nichts mehr zu sagen. Das wollte ich nie. Ich hatte immer Angst, dass meine Musik nicht gut ist. Ich wollte Wucht haben, nicht selbstreferenziell sein. Wenn es einen selbst durchdringt, durchdringt es auch andere.
Haben Sie deshalb dann den Loser-Slam „FuckUp Nights“ nach Berlin geholt, bei dem Unternehmer von ihrem Scheitern erzählen?
Da stand ich das erste Mal wieder auf einer Bühne und habe gemerkt, dass ich etwas zu geben habe, auch, wenn es erst einmal nichts mit Musik zu tun hat.
Wie sind Sie dann doch wieder zur Musik gekommen?
Zuerst habe ich Helen Henfling getroffen. Und weil ich keine Schlagzeuger mochte, habe ich mir für 3,90 Euro eine Drumcomputer-App fürs iPad gekauft. Und dann habe ich nach zwölf Jahren zum ersten Mal den Verstärker wieder aufgedreht und habe einen Schauer gekriegt. Am nächsten Tag habe ich Yelka Wehmeier angerufen.
Dahinter steckt also ein klares Konzept?
Ich habe immer gesagt: wenn ich wieder eine Band mache, muss die Gewalt heißen. Um mich selbst vor Mittelmäßigkeit zu schützen. Man kann nirgendwo hinschielen, unter dem Namen kann man kein mediokres Stück machen. Es ist von einer gewissen Entschlossenheit durchdrungen, auch bei den Texten. Das ist ein Filter für uns selbst. Wir sind eine Casting-Band, weil ich es unbedingt mit Frauen machen wollte. Wenn eine Band Gewalt heißt, und dann sind das ein paar tätowierte Typen, ist mir das zu klischeebehaftet. Wir kommen in einen Laden und die Leute lachen: „Soso, ihr seid also Gewalt?“ Und dann machen wir Soundcheck, und dann kriegen sie Angst. Wirkliche Angst. Das ist ein toller Moment.
Trotzdem sagen Sie, Sie hätten nicht vor, ein Album aufzunehmen. Wollen Sie sich damit den üblichen Verwertungszyklen verweigern?
Ich kenne kaum noch jemanden im Pop-Business. Es ist uns auch relativ egal, wie viele Leute zu den Konzerten kommen oder ob es jemand mag. Wir haben nicht den Anspruch, dass das funktionieren soll. Die Tour hat sich von selbst gebucht, weil die Leute das interessant finden. Das ist eher Kunstmäzenatentum.
Noiserock hat aber auch gerade Hochkonjunktur, Beispiele sind Friends of Gas, Karies, Human Abfall oder Die Nerven.
Mit Surrogat waren wir komplett alleine. Es gab kaum andere Bands, die deutsch gesungen haben und heftig waren. Mir geht es um Heftigkeit, Kompromisslosigkeit, Emotionalität. Damit sind wir nun nicht mehr alleine. Diese jungen Bands kommen ganz vorbehaltlos auf uns zu. Deswegen spielt der Schlagzeuger von Die Nerven bei uns Bongos – obwohl ich Bongo-Hasser bin. Und Max Gruber alias Drangsal hat in unserem letzten Video mitgemacht.
Aber Angst haben Sie trotzdem noch?
Uns ist wichtig, beim Spielen eine Unsicherheit zu haben. Die Angst soll bleiben, damit keine Routine aufkommt. Die Leute machen sich manchmal richtig Sorgen um mich. Die Leute tanzen, und dann hören sie diese Texte. Und wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen. Kann man das Elend tanzen?
Apropos tanzen. Sie sind sonst Sport- und Medienberater. Ist das nicht ein enormer Spagat?
Das ist total absurd. Ich mache inzwischen auch Unternehmensberatung. Wenn ich von der Tour zurückkomme, berate ich die Management-Ebene von Audi. Ohne mich zu verstellen! Das ist alles Gewalt, was ich da mache. Die brauchen ein scharfes Schwert. Und das kann ich.
Und woher holen Sie all diese Energie?
Es gibt die Legende aus der Kitty-Yo-Zeit, dass ich immer ein Päckchen Koks dabei hätte. Das finde ich lustig, denn ich habe mit Drogen so gar nichts am Hut. Meine Energie? Das ist einfach genetisch.
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