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Kommentar Offener Brief an ErdoğanKluger Kotau

Georg Löwisch
Kommentar von Georg Löwisch

Demutsgesten gegenüber Autokraten sind gefährlich. Doch dass der „Welt“-Chefredakteur Erdoğan um Deniz Yücels Freilassung bittet, ist richtig.

Nach #FreeDeniz versucht die „Welt“ es mit einem ofenen Brief an Erdoğan Foto: dpa

D er Chefredakteur der Welt hat sich vor dem türkischen Präsidenten in den Staub geworfen. In einem offenen Brief schreibt Ulf Poschardt dem Autokraten Recep Tayyip Erdoğan, dass er sich um den Korrespondenten Deniz Yücel sorge.

Poschardt berichtet Erdoğan, wie sein Vater einst als Modernisierungshelfer im türkischen Finanzministerium das Land bewundert habe. Wie er nun seinerseits seinen Söhnen vermittle, dass in der Türkei die Wiege von Kultur, Sprache und Architektur liege. Wie viel Türkei und Deutschland verbinde. Dass er, Erdoğan, jetzt ein Signal setzen könne. „Bitte lassen Sie ihn frei.“

Demutsgesten der freien Presse gegenüber ihren Gegnern sind gefährlich. Sie bestätigen jene, die meinen, man müsse nur hart genug gegen die Medien vorgehen, um sie in den Griff zu kriegen. Der Eindruck, dass man über Ländergrenzen hinweg ihr Einlenken erzwingen kann, ist an sich die falsche Botschaft.

Deshalb ist es wichtig, dass Erdoğans Willkür weiter angeprangert wird. Dass sich kritische Stimmen aus der Türkei artikulieren können. Die Kampagne für die Freilassung der mehr als 150 in der Türkei eingesperrten Journalistinnen und Journalisten muss unvermindert weitergehen. Journalismus ist kein Verbrechen.

Erdoğan muss stark erscheinen

Dennoch ist Poschardts Brief richtig. Sein Ziel ist es, Deniz Yücel freizubekommen, den der Autokrat als Geisel genommen hat. Der Chefredakteur verspricht nichts, er entschuldigt sich nicht. Er macht sich allerdings klein, damit sich Erdoğan größer machen kann. Er setzt darauf, dass der Präsident vom Bild des starken Mannes lebt, der jedes Armdrücken gewinnen muss.

Es gehört zum Wesen des Autoritären, keine Schwäche zeigen zu können

Es gehört zum Wesen der Autoritären, keine Schwäche zeigen zu können. Gerade jetzt muss Erdoğan stark erscheinen. Am 16. April soll das Volk in einem Referendum entscheiden, ob der Präsident schier unbegrenzte Macht bekommt.

Doch Erdoğans Kampagne ist kein Selbstläufer. Da klein beizugeben, wenn Auftritte seiner Minister in Deutschland unterbunden werden, wäre gegen seine Logik: Wer schwach wirkt, hat verloren. Deshalb eskaliert er diesen Fall, auf den die Scheinwerfer gerichtet sind. Solange sich aber der Schlagabtausch fortsetzt, wird Erdoğan Deniz Yücel kaum freilassen.

Die Option, die Freilassung als Sieg zu verkaufen

Nun wendet sich Poschardt an ihn. In seinem Brief tritt er als Bittsteller auf. Er behauptet, Deniz Yücel vertraue auf ein rechtsstaatliches, faires Verfahren. Er würdigt die Biographie des Präsidenten, der selber im Gefängnis war.

Gerade indem Poschardt dem sehr geehrten Herrn Staatspräsidenten so offensichtlich um den Bart geht, zeigt er ihm die Option, eine Freilassung von Deniz Yücel als Sieg verkaufen zu können. Springer ist einer der größten Medienkonzerne Europas. Noch ein bisschen mehr Kotau – und die Möglichkeit für eine von Erdoğans Stärke-Inszenierungen könnte sich auftun.

Es kann auch gut sein, dass ein Poschardt samt Verlag dem Präsidenten zu unbedeutend ist. Dass ihm einzig ein Moment des Triumphes über Angela Merkel genug wäre. Aber eine kleine Hoffnung besteht. Dass der Chefredakteur die Chance ergreift, verdient Respekt.

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Georg Löwisch
Autor
Viele Jahre bei der taz als Volontär, Redakteur, Reporter und Chefredakteur.
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4 Kommentare

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  • Ich finde diese Argumentation von Georg Löwisch einfach nur schlimm.

    und es ist völlig inkonstitent mit den Einschätzungen oder Haltungen in der taz zu den anderen Diktatoren:

    Assad und Putin:

    natürlich nicht demütig sich selbst unterwerfen.

    Und wenn das Referendumsergebnis Erdogan egal ist?

  • 3G
    36855 (Profil gelöscht)

    Er bittet "nur" um die Freilassung von Yüzel?

    Hurra, wir retten eine Geisel und die anderen interessieren uns nicht?

    Dafür wirft sich der Weltmensch in den Staub?

    Weiss nicht, ob ich das gutfinden kann.

    • @36855 (Profil gelöscht):

      Glauben Sie, dass der Versuch alle mehr als 150 einsitzenden Journalisten frei zu bekommen tatsächlich von Erfolg gekrönt sein könnte? Denken Sie nicht, dass es besser wäre "kleinere Brötchen zu backen" und zufrieden zu sein, wenn wenigstens einer entlassen wird. Schon das wäre ein Erfolg - und ein Anfang, der Hoffnung vermitteln könnte.

       

      Von daher sehe ich keinen realistischen Hintergrund für Ihre vorgetragene Gleichberechtigungs-Ironie nach dem nutzlosen Motto "Alle oder Keiner". Das ist der landläufige Zynismus, mit dem man sich tatenlos zurücklehnen und eine vermeintlich überzeugende Ausrede für die eigene passive Haltung parat hat.

  • Friendly fire.

     

    "… Kluger Kotau

    Demutsgesten gegenüber Autokraten sind gefährlich.

    Doch dass der „Welt“-Chefredakteur Erdoğan um Deniz Yücels Freilassung bittet, ist richtig.

    &

    "…Der Chefredakteur der Welt hat sich vor dem türkischen Präsidenten in den Staub geworfen.…"

     

    Mit Verlaub nach Lesen Herr Chefredakteur du taz! ~>

     

    Von - vorweg - Die Welt - https://www.welt.de/politik/ausland/article162651737/Offener-Brief-an-Staatspraesident-Erdogan.html

    &

    •…Mit Kotau (chinesisch 叩頭 / 叩头, Pinyin kòutóu ‚Kopf stoßen', auch chinesisch 磕頭 / 磕头, Pinyin kētóu) bezeichnet man den ehrerbietigen Gruß im Kaiserreich China. Dabei wirft sich der Grüßende in gebührendem Abstand vor dem zu Begrüßenden nieder und berührt mehrmals mit der Stirn den Boden.•

    &

    "…Der Begriff Kotau wird im deutschen Sprachraum als Umschreibung für Unterwerfung, Eingliederung in eine Rangordnung bzw. nicht ganz freiwilliges Nachgeben benutzt. Daher der Ausdruck „seinen Kotau machen“ oder „ich muss meinen Kotau machen“.…" https://www.google.de/search?q=kotau&ie=UTF-8&oe=UTF-8&hl=de-de&client=safari

     

    Conclusio: Ganz offensichtlich haben Sie & sicher nicht nur ich -

    Zwei verschiedene - desselben Briefes gelesen -

    Wahrscheinlicher aber - Wählen wir mit guten Gründen

    Unsere Worte - Mit Bedacht!

    Sie - Herr Georg Loewisch - aber hier ersichtlich nicht!

    Aus welchen Gründen auch immer -

    Sie sich - Mit Verlaub zu diesem - sorry unsäglichen -

    Einfältigen Bärendienst haben hinreißen lassen!