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MomentaufnahmenFixiert auf die Vergangenheit: „Picture(s) Now: Konstruktionen von Zeitlichkeit seit Social Media“ im Museum für Fotografie

Vermittelte Körperbilder bei „Picture(s) Now“: Martin Petersens Installation mit Instagram-Screenshots „Share your body“, 2017 Foto: Martin Petersen

von Tilman Baumgärtel

Wer heute einen Schmalfilm drehen will, muss ganz schön Geld hinlegen. Zwei Minuten Film kosten inklusive Entwicklung um die 40 Euro, und wenn man das Resultat dann auch noch gerne wieder digital abgetastet hätte, weil es nicht überall einen Projektor zum Abspielen des Schmalfilms gibt, muss man nochmal ein paar Euro pro Filmminute hinlegen.

Das läppert sich. Trotzdem bleibt verbissen ein harter Kern von Super-8-Filmern dem antiquierten Medium treu. Diese Filmer verzichten gerne auf die brillante Auflösung, die heute die meisten Smartphones mit 4K-Video-Kapazität bieten, und bezahlen stattdessen lieber viel Geld dafür, dass sie unscharfe, matschige Bilder mit einer Farbigkeit bekommen, die wirkt, als sei jeder Farbe ein bisschen Graubraun beigemischt worden.

Diese analoge Retroästhetik, die in den Hoch-Zeiten von Super 8 von Filmamateuren eher zähneknirschend und aus Mangel an Alternativen akzeptiert wurde, hat inzwischen ihren eigenen altmodischen Charme. Den kann man offenbar auch mit den Nostalgie-Filtern, die viele digitale Bildbearbeitungsprogramme enthalten, nicht mit befriedigender Authentizität simulieren. Das Materielle wird dem Digitalen vorgezogen, vielleicht gerade weil es so passé ist. Oder, in gegenwärtiger Terminologie, so vintage wie Vinylschallplatten und Bartpflegeöl.

Die Nostalgie für Bildgebungsverfahren, die man selbst nur noch aus dem Museum oder aus einem Umzugskarton auf dem Dachboden der Eltern kennt, prägt auch die Ausstellung „Picture(s) Now: Konstruktionen von Zeitlichkeit seit Social Media“, die derzeit im Museum für Fotografie in Charlottenburg zu sehen ist. Mit Schwarzweißfotos, Polaroids, welligem Fotopapier, Dias, den Rückseiten von Drogeriemarkt-Abzügen aus den neunziger Jahren und – wahrscheinlich der Vollständigkeit halber – auch ein paar billigen Smartphones ist hier ein veritabler Club der mehr oder weniger obsoleten fotografischen Verfahren zusammengekommen.

Gleich am Eingang hängen riesige abfotografierte Polaroidfotos von Alexandra Heide, die offenbar beweisen sollen, dass so schöne Falschfarben kein Instagram-Filter hinbekommt – die allerdings auch gleich daran erinnern, dass für eine solche Präsentation dann doch wieder alles digitalisiert werden muss.

Ursprünglich schien das alles ganz anders gedacht gewesen zu sein: Die Ankündigung der Ausstellung verspricht eigentlich eine Auseinandersetzung mit dem ununterbrochenen Bilderfluss, der dank Instagram, Snapchat und anderen sozialen Medien über uns hereingebrochen ist. Doch tatsächlich stehen bei der Ausstellung die antiquierten Fototechniken klar im Mittelpunkt. Zwar sind die neuen, digitalen Verbreitungsformen gelegentlich Thema, etwa bei der Arbeit „Share your body“ von Martin Petersen, der Instagram-Postings, die mit dem Körper zu tun haben, abfotografiert hat und sie nun als Dia an die Wand projiziert. Aber irgendwie stiehlt selbst hier der Apparat des Diaprojektors, der ungefähr so antiquiert wirkt wie eine dampfbetriebene Nähmaschine, den Bildern die Schau.

Auch der Super-8-Look, den sich manche inzwischen so viel kosten lassen, ist hier mit der Arbeit „Mitten“ von Pia Keeling vertreten – oder ist das ein extrem schlechtes Digitalvideo, das auf dem Tablet, auf dem es gezeigt wird, eben eine ähnlich reduzierte Farbpalette aufweist wie Super 8?

Der künstlerische Ertrag dieser Arbeiten bleibt oft eher schlicht, so wie bei der Arbeit, bei der eine Studentin mit Polaroids und Handyfotos ihre Bemühungen dokumentiert hat, die Reste der Berliner Mauer zu finden. Was dabei herausgekommen ist, dürfte sich nur wenig von dem unterscheiden, was viele andere Berlintouristen bei ihrem Besuch aufgenommen haben. Ganz sicher, dass man da etwas nicht richtig verstanden hat, kann man sich allerdings bei dieser Ausstellung, die an Vermittlung maximal un­interessiert ist, nie sein.

Produziert wurden die Arbeiten übrigens in einem Workshop der FH Potsdam und des israelischen Shenkar College in Tel Aviv, bei dem Studierende aus Deutschland und Israel zehn Tage lang mit den Fotografen Alexandra Heide und Daniel Neubacher an Arbeiten zum Thema „Now“ arbeiteten. Ob die Resultate dieses Workshops wirklich ins Museum gehören, sein einmal dahingestellt. Das selbst gestellte Thema, nämlich die Entwicklung der Fotografie im Zeitalter ihrer globalen und ununterbrochenen Distribuierbarkeit, hat sie auf jeden Fall verfehlt.

„Picture(s) Now: Konstruktio­nen von Zeitlichkeit seit Social Media“ bis 2. April im Museum für Fotografie, Jebensstr. 2, Di.–So. 11–19 Uhr

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