Festivals im Norden: Zwei Nachbarn im Tanzvergleich
Alle zwei Jahre veranstalten Bremen und Oldenburg nacheinander Tanzfestivals. Aber nicht in Konkurrenz, auch wenn das kleine Oldenburg Wert darauf legt, das größte zu haben.
Der kleine Nachbar meint das aber gar nicht böse, hat auch keine fiesen Marketingtricks gestartet, allerdings peu à peu vom einst schillernden „Tanzstadt“-Image Bremens stibitzt und eine eher konservative Neuorientierung zur eigenen Identitätsfindung in der nordwestdeutschen Kulturlandschaft ausprobiert. Mit den 13. internationalen Tanztagen vom 5. bis 14. Mai wird „Tanz Bremen“ nun endgültig überholt, dessen 20. Ausgabe heute startet.
Derweil laben sich die Oldenburger an ihrem kleinen Triumph – und nehmen es etwas großkotzig auch mit den Veranstalterkollegen in Wolfsburg, Hannover und Hamburg auf, indem sie behaupten, in ihrer Stadt sei jetzt „Norddeutschlands größtes Tanzfestival“ beheimatet. Bleibt nur noch die Möglichkeit, Norddeutschlands bestes Tanzfestival zu veranstalten.
Was Bremen gut zu Gesicht stünde, kann es doch auf eine große Tradition verweisen: Gerhard Bohner, Hans Kresnik, Reinhild Hoffmann, Susanne Linke und Urs Dietrich wirkten auf seinen Bühnen, das Deutsche Tanzfilminstitut ist nicht umsonst dort angesiedelt und auch eine kleine freie Szene durchaus virulent. Die hatte 1988 mit kaum Budget das Festival als Forum für die buten und binnen tanzenden Kollegen gegründet und mit einer jährlich wachsenden Zahl internationaler Gastspiele geschmückt, um zu zeigen, was sich in der kinetischsten aller Künste weltweit so tut.
„Dank des Festivals kann sich das hiesige kenntnisreiche Publikum regelmäßig über andere Bewegungssprachen informieren, die mittlerweile ungeheuer vielfältig sind“, hat der Vorwortschreiber für Bremens Bürgermeister Carsten Sieling ins Programmheft notiert. Verschwiegen hat er , dass die Unterstützung dafür sinkt. Aus Geldmangel wurde die Veranstaltung zur Biennale geschrumpft und sollte sich jährlich abwechseln mit dem Oldenburger Pendant. Das klappte bis 2014. „Tanz Bremen“ musste abgesagt werden, da die Wirtschaftsförderung als Hauptfinanzier ihre Zusagen deutlich reduziert hatte. Der Veranstaltungsrhythmus war zerstört.
Seit 2015 laufen beide Events im selben Jahr. Daran will keiner rütteln. „Die etwa 10.000 Tanz-Aficionados in der Region machen es ja auch möglich, das gleichzeitig Platz für zwei ausverkaufte Festivals ist“, sagt Bremens Tanz-Kuratorin Sabine Gehm. Zuschauer dürsteten geradezu nach diesen Veranstaltungen. Das Angebot ist in der festivalfreien Zeit auch recht überschaubar. Während Samir Akika, leitender Choreograf des Theaters Bremen, und Helge Letonja (Steptext) mit einer vitalen Melange global eingesammelter Bewegungssprachen ein junges, neugieriges Publikum anspricht, wendet sich Antoine Jullys Oldenburger Compagnie an eher traditionell orientierte Ballettfreunde. Derart schärfen nun auch die jeweiligen Tanzfestivals ihr Profil aneinander im Gegeneinander – auf der Suche nach einem neuen Miteinander.
Und fordern damit natürlich zum Vergleich heraus. Allein die Zahl der verfügbaren Tickets verdeutlicht den inzwischen gewachsenen Unterschied: 10.513 sind es in Oldenburg, von den zwei Monate vor Festivalstart nur noch knapp 1.000 Restkarten verfügbar sind. In Bremen werden bestenfalls 4.600 Plätze verkauft sein. Oldenburg bietet 31 Vorstellungen von 12 Compagnien, die auch 13 Workshops anbieten. Das Staatstheaterballett zeigt zusätzlich zwei seiner Arbeiten.
Drei Konzertanimationen laden zum Selbsttanzen. In Bremen gibt es neun Vorstellungen von sieben Compagnien, fünf Workshops und ein programmatisch kunterbuntes Rahmenprogramm im Kino und im Museum, aber auch zum Partymachen, Mitdiskutieren und Trainieren.
Zudem sind fünf Bremer Produktionen zu sehen. Diese Spielplanposition fehlt in Oldenburg. Auch die Finanzierung unterscheidet sich deutlich, obwohl die Summen recht ähnlich anmuten. In Oldenburg spricht Festivalchef Burkhard Nemitz, der nach der diesjährigen Veranstaltung in Rente geht, von einem 300.000-Euro-Etat. Aber dort ist das zu drei Viertel von der Landesregierung finanzierte Staatstheater der Veranstalter – und das Festival lebt von der kostenlos zu nutzenden Infrastruktur und den mietfrei bespielten Bühnenräumen. Nur ein technischer Leiter wird für drei Monate extra angestellt. Während an der Weser mit Tanz Bremen e. V. ein freier Veranstalter tätig ist – und alles selbst organisieren und selbst bezahlen muss. Um die zwei Honorarkräfte des Leitungsduos gruppiert sich derzeit ein zehnköpfiges Team.
Oldenburgs Intendant Christian Firmbach zwackt für die Tanztage – je nach Sponsorengeldereingang – maximal 100.000 Euro aus seinem Etat ab. „Zwei Drittel unserer Ausgaben erwirtschaften wird mit Ticketerlösen und unseren Kooperationspartnern“, so Nemitz. Die Bremer Kollegen freuen sich alle zwei Jahre über zuverlässig 60.000 Euro Förderung der Kulturbehörde. Die Wirtschaftsförderung halbierte ihren Zuschuss: von 155.194 Euro (2012) auf 89.097 Euro (2015) und jetzt 80.000 Euro. Nur dank Sponsoren sowie Geldern von Stiftungen, Botschaften und Kulturinstituten aus den Ländern der gastierenden Künstler ist noch ein Etat von 245.000 Euro zu stemmen.
Der Besucher bemerkt das Schrumpfen des Festivals am verkleinerten Angebot wenig publikumsintensiver Projekte. Auch Großensembles (zehn oder mehr Tänzer) sind kaum noch zu erleben – zwei in diesem Jahr, in Oldenburg doppelt so viele.
Kann Bremen denn mit den Inhalten punkten? „Wir waren immer eher zeitgenössisch und experimentell ausgerichtet und bleiben das“, betont Gehm, „Oldenburg orientiert sich eher klassisch neu.“ Dafür stehen in Bremen Choreografien von Helene Waldmann, Adrienn Hód, Kader Attou und Marie Chouinard, in Oldenburg die von Jiří und Otto Bubeníček, William Forsyth, Jiří Kylian und Martin Schläpfer. Nemitz sieht sein Line-up allerdings ebenfalls als zeitgenössisch an – „als modern abstraktes Ballett“.
Im Unterschied zu Bremen setze er auf mehr Ehrfurcht vor der Musik, die nie nur Material sein dürfe. „Wir zeigen Arbeiten, die nicht bis auf die letzte Synkope den Klängen folgen, sondern versuchen, ihre Ober- und Untertöne, Hintergründe und Geheimnisse zu erkunden – auf dass die Körper mitmusizieren“, so Nemitz. Ob er sich mit Gehm in der Programmplanung abgesprochen habe? „Nein.“
Und so fällt auf, dass beide Städte inhaltlich gleiche Schwerpunkte setzen. Es werden vor allem Choreografinnen präsentiert, die sich mit ihrer Herkunftsgeschichte, der Rolle als Frau und patriarchalen Machtverhältnissen auseinandersetzen. Während Gehm das explizit für die „gesellschaftskritische Orientierung“ von „Tanz Bremen“ ins Spiel bringt, ist Nemitz’ roter Tanztage-Faden etwas anders gesponnen. Ja, er zeige im Spielort „Exerzierhalle“ nur Choreografinnen, aber nicht weil sie Frauen sind, sondern weil sie gerade ihre aktive Tanzkarriere beenden – Arbeiten entsprechender Choreografen seien auch auf der großen Staatstheaterbühne zu erleben. „Mich interessiert einfach, was machen Tanzkünstler nach ihren Karrieren in den großen Compagnien?“
Und hat Bremen ein Schmankerl zur Feier des 20. Festivals? „Im Laufe der Tanz-Bremen-Jahre kamen besonders innovative Arbeiten aus Kanada und Frankreich“, so Gehm. „Deswegen prägen Künstler aus diesen Ländern unser Jubiläumsfestival mit.“
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