: „Ruhe in Frieden und halt das Himmelstor!“
Im Internet trauern vor allem Jugendliche um Robert Enke. Aber woher kommt die große Anteilnahme an dem Tod des Nationaltorhüters?
■ Der Sport: Erst spät, mit 32 Jahren, wurde Robert Enke zur Nummer eins im Tor der Nationalelf. Einer der Leistungsstärksten war er schon immer. Seine Kollegen hatten ihn kürzlich noch zum besten Keeper der Fußball-Bundesliga gewählt. Der Thüringer begann seine Profikarriere bei Carl Zeiss Jena, wechselte zu Borussia Mönchengladbach. Danach machte er Station bei Benfica Lissabon, dem FC Barcelona, er war kurz bei Fenerbahce Istanbul, später ging er zu CD Teneriffa und Hannover 96.
■ Die Familie: Robert Enkes Tochter Lara starb, erst zwei Jahre alt, am 17. September 2006. Lara hatte von Geburt an einen schweren Herzfehler (Hypoplastisches Linksherz-Syndrom) und musste deswegen ihre ersten 18 Monate im Krankenhaus verbringen. Teresa Enke, die Witwe, war 14 Jahre mit Robert Enke zusammen. Beide hatten sich 1995 am Sportgymnasium im thüringischen Jena kennen gelernt. Die Enkes hatten im Mai eine Tochter, Leila, adoptiert. Sie ist heute gut acht Monate alt.
Jeder weiß, dass er sterben wird. Doch von der Wirklichkeit des Todes ahnt man erst, wenn ein anderer, den man eben noch gesehen hat, stirbt. Viel mehr noch als der Tod von Michael Jackson hat Robert Enkes Freitod die Menschen in Deutschland erschüttert. Eben hatte man ihn noch gesehen, wie er gegen den HSV zwischen den Pfosten stand, wie er nach dem Spiel sein letztes Interview gab, schon war er tot. Der Eindruck, den sein Tod auf die Menschen gemacht hat, war so groß, weil alles nicht zusammenzupassen schien: der Torhüter, der vielleicht bei der anstehenden Weltmeisterschaft die Nummer 1 gewesen wäre – als Torwart grundsätzlich in einer Position zwischen Held und Versager –, ein Mann, der privates Unglück gemeistert zu haben schien.
Es erstaunt, wie angemessen die Fußballverantwortlichen reagierten, bewundernswert, wie seine Frau die Pressekonferenz gab. Die traditionellen Medien berichteten, die Schlagzeilen der Boulevardpresse waren abstoßend. Schnell kamen auch die Artikel über die Berichterstattung, die erklärten, weshalb dieser Tod so eingeschlagen hatte.
Im Internet wurde persönlicher getrauert. Auf Youtube gibt es über zweitausend Videos, die sich mit Enke beschäftigen. Manche dieser Videos wurden über hunderttausendfach angeklickt. Es sind es Fotoserien dabei, manchmal Spiel-Ausschnitte mit Interviews. Das letzte Interview mit dem letzten Satz: „Es ist okay so, ist alles gesagt.“ Die Trauerminute beim Spiel zwischen Barcelona und Culturla Leonesa. Immer wieder Familienbilder. Unendlich viele Kommentare – auch auf Englisch, Spanisch oder Russisch – in der üblichen Internetrechtschreibung: „ich lag im krankenhaus als ich davon erfuhr ein rießen schock für mich!!! er war so ein guter mensch der viel zu früh von uns gegangen ist… mein beleid gilt vorallem seiner frau und seiner familie drum habe ich gestern extra ihm ein video gewidmet was ich unter sehr viel tränen gemacht habe“, schreibt Leonardo 1988. „ruhe in Frieden Robert Enke…und halt das Himmelstor!“ schreibt „90rue“.
„robertemke1“ kommentiert: „starkes video. ich bekomme immenoch gänsehaut. war bis jetzt jeden tag am stadion seit dem 10.11. war in der kirche beim trauermarsch kann es immernoch nicht wahr haben. du wirst uns fehlen.“
„Das war alles vegangenheit. Denn heute stand in jeder Zeitung: Enke Tod.“ steht am Ende des Videos weiß auf rotem Grund, schwarz umrandet. Dazu: „We are the world we are the children“.
In den Rechtschreibfehlern teilt sich etwas von der Traueraufregung mit, wenn jemand schreibt: „REST IN PIECE“ oder „ddas video ist der hammer…!!! unglaublich toll…!!! unfassbar, bin immer noch zu tiefst erschüttert“
Es gibt auch mehrere Robert Enke gewidmete Gruppen auf Facebook. Und natürlich die fußballorientierten Foren im Internet. Die Beiträge sind angemessen; nachdenklich. Manche rufen auch dazu auf, die Spieler der Gegenmannschaft nicht mehr zu beschimpfen. Die Fans von Bosnien-Herzegowia werden bei ihrem Play-off-Spiel gegen Portugal ein Enke-Transparent mitnehmen.
Es gibt alle erwartbaren Reaktionen; auch die Vorwürfe der Lebenden, die es nicht ertragen können, wenn sich jemand entscheidet zu gehen. Das Denken an den Lokführer, Diskussionen über Depressionen, Psychopharmaka, jemand, der zum Islam übergetreten ist, spricht über Depressionen, auch den Vorwurf an die Medien, voyeuristisch zu sein, ohne zu bedenken, dass man im Internet ja auch Teil der Medienwelt ist. Geschmacklosigkeiten gibt es auch, aber die sind selten.
Wenn man das alles liest und sich anschaut, hat man das Gefühl, auf dem Schulhof zu sein, unterschiedlichen, geschockten Jugendlichen zuzuhören, wie sie sich über den Selbstmord eines Mitschülers unterhalten. Fast jeder Jugendliche kann sich mit Enke identifizieren. Fast jeder Jugendliche kennt die Angst vor dem Versagen, weiß, wie es ist, Schwächen verstecken zu müssen, viele haben sich schon einmal vorgestellt, sich umzubringen, und überlegt, welche Art die beste wäre.
Wie man im Internet über den Tod von Robert Enke spricht, wie man seiner gedenkt, kommt einem angemessener vor als der Umgang der traditionellen Medien, die, weil sie notgedrungen unpersönlicher sind und um Auflagen und Quoten konkurrieren, dem Tod ferner stehen.
Der wohl beste Artikel erschien auf der Internetseite des Kinderradios „Lilipuz“. Darin heißt es: „Robert Enke hatte eine Krankheit, die heißt Depression. Leute, die das haben, sind ganz oft traurig, mutlos und haben Angst, Fehler zu machen. Und wenn diese Angst ganz schlimm wird, kann es passieren, dass die Leute keine Kraft mehr haben zu leben. Nicht viele Menschen wussten von Robert Enkes Depressionen. Er hat sie geheim gehalten. Unter anderem, weil Fußball ein hartes Geschäft ist, mit dem viele Menschen viel Geld verdienen. Da muss man als Spieler sehr stark sein und viel Kritik einstecken. Damit kam der Torwart vielleicht nicht klar.“ DETLEF KUHLBRODT
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