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Hausbesuch Schicksal ist eine komische Sache: Zoraida Del Carmen Dreesbach wurde davon hin und her geworfen. Erst schlimme Kindheit, dann Glück. Erst Rebellion, dann Verständnis. Erst Wein, dann KunstHimmel und Hölle

Zoraida Del Carmen Dreesbach rettet Pflanzen aus dem Müll. Vielleicht spiegelt der Impuls, etwas zu retten – symbolisch gesehen –, Erfahrungen aus ihrer Kindheit

von Luciana Ferrando (Text) und Jörn Neumann (Fotos)

Zu Besuch bei der Künstlerin und Sommelière Zoraida Del Carmen Dreesbach in Brühl, südlich von Köln liegt die Kleinstadt.

Draußen: An den Gleisen entlang, graue Farbtöne, kahle Büsche. „Schwindelfrei“ steht auf einem Kletterturm, „Himmel und Hölle“ auf einem Werbeplakat. In einer Seitenstraße wohnt Zoraida Del Carmen Dreesbach in einem zweistöckigen roten Backsteinhaus, früher ein Pferdestall. Im Garten davor stehen Engel und Zwerge, volle Aschenbecher und Trockenblumen.

Drinnen: Ein Pflanzendschungel ist ihr Wohnzimmer. Die 45-Jährige hat die Blumen aus dem Müll gerettet. Dazwischen stehen ihre Bilder, einige in knalligen Farben. „Wenn es mir schlecht geht, oft im Winter, male ich solche Bilder, um die düstere Laune zu vertreiben.“ Ein Schild hängt von der Decke: „I believe in angels“. Auf der Couch eine Katze namens Tiramisu.

Feen: Auf Bäume klettern, mit Freunden spielen, bis es dunkel wird, Geburtstag feiern – was für Kinder Alltag ist, erlebte Zoraida Del Carmen Dreesbach das erste Mal, als sie in ein SOS-Kinderdorf in ihrer Heimatstadt Panama City kam. Sie war zehn Jahre. „Da fing meine zweite Kindheit an“, sagt sie. Von dieser Kindheit hat die Künstlerin schöne Erinnerungen. Ihre erste Kindheit war „ein Albtraum“.

Draußen der schöne, wilde Garten

Monster: Als sie fünf war, starb ihre Mutter. Ihr Vater war Alkoholiker und schaffte es nicht, sich um die vier Kinder zu kümmern. Ihr jüngerer Bruder und sie kamen deshalb in eine Pflegefamilie. „Unsere Pflegeeltern waren Monster. Sie peitschten uns, wenn wir fünf Minuten zu spät aus der Schule kamen, schlechte Noten hatten, wenn wir lachten oder redeten. Sie fanden immer einen Grund, um uns zu verprügeln“, erzählt sie. Während die leibliche Tochter des Paars in einem Bett schlief und verhätschelt wurde, lebten die Pflegekinder eingesperrt und schliefen auf dem Boden. „Bis heute kann ich den Gestank der dreckigen Lappen, die wir als Decke nutzten, riechen.“ Nach Urin rochen sie, nach Feuchtigkeit, nach Tränen. Oft weinten die Kinder die ganze Nacht: „Wir wussten, dass der nächste Tag dem vorigen gleichen würde.“ Fast fünf Jahre dauerte es, bis eine Lehrerin eingriff. Sie sah die offenen Wunden, die die Kinder an den Beinen hatten, und zeigte die Pflegefamilie an. Die Geschwister kamen daraufhin ins SOS-Kinderdorf. „Im Kinderdorf zu landen, das hat mein Leben gerettet“, sagt Del Carmen Dreesbach.

„Wie im Paradies“: Am allerschönsten fand sie das Essen und Weihnachten im Kinderdorf. „Ein Traum!“. Neun Dorfgeschwister waren sie, Dorfmütter lernte sie 13 im Verlauf der Jahre kennen: „Wir waren schwierige Kinder, kein Mensch hielt es lange aus“, sagt sie. „Ich war am schlimmsten und machte alles, was verboten war.“ Dann überkam sie immer wieder Angst, zur Pflegefamilie „zurückgeliefert“ zu werden. Mit 18 zog sie in eine Einzelwohnung im Kinderdorf und arbeitete in Kinderdörfern in Panama und in Costa Rica. Mit 22 bekam sie ein Stipendium für eine Ausbildung zur Hotelfachfrau. Sie packte einen Koffer und flog nach Innsbruck.

Wein: Sommerschuhe trug sie, als sie in der verschneiten Tiroler Stadt ankam. Noch nie habe sie solche Berge gesehen, und noch nie war ihr vorher so kalt gewesen. „Alles war sauber, reich und ruhig. Es war wie ein Märchen.“ In der Schatzkammer eines luxuriösen Skihotels lernte sie während ihrer Ausbildung, mit alten Weinen umzugehen. Sie verliebte sich in diese Weinwelt und spezialisierte sich darauf. Gleichzeitig wurde sie die beste Schülerin im Deutschkurs, erzählt sie. Ganze Deutschbücher habe sie auswendig gelernt. „Ich wollte alles richtig machen. Ich bekam wieder Angst, nach Hause zurückzumüssen.“

Der Liebe nach: Dann lernte sie ihren Mann kennen. „Wäre ich ihm nicht begegnet, würde ich vielleicht in einem Hotel in Hongkong, Kanada oder Australien arbeiten“ und eine Weltenbummlerin sein. Glücklich sei sie in Deutschland trotzdem. „Ich habe zwei Töchter und eine Liebe, die noch hält“. 22 Jahre ist es her, seit Zoraida Del Carmen und Dirk Dreesbach sich das erste Mal sahen. Sie war im Service, er in der Küche des Luxushotels in Innsbruck. Kaum war die Ausbildung vorbei, heirateten sie und zogen nach Deutschland. Sie machte die Weiterbildung zur Sommelière und Weinakademikerin in Koblenz und wurde die erste panamaische Frau in diesem Beruf. Als sie nach Brühl zogen, der Heimatstadt ihres Mannes, galt sie deshalb als exotisch – dazu sprach sie Tirolerisch und verstand kein Kölsch. Bald fand sie eine Stelle als Sommelière in einem 5-Sterne-Hotel in Köln und arbeitete 14 Jahre lang, bis ihr Körper „basta“ sagte.

Drinnen die Kunst

Burn-out: Weinkarten für Luxushotels in Dubai, Moskau und Köln zu konzipieren, das Gourmetrestaurant zu leiten, die Finanzen zu organisieren, all das machte ihr Spaß. Doch sie schlief mitunter nur drei Stunden und hatte kaum Zeit für die Familie. Ihre Töchter sah sie nur auf dem Weg zur Schule. 2009 hatte sie einen Burn-out. „So geht es nicht weiter“, sagte der Arzt. Sie fing noch mal von vorne an, machte eine Umschulung in Illustration, Malerei und Computergrafik. Ihre Kunstwerke stellt sie immer wieder aus, sei es in der SOS-Kinderdorf-Galerie („Bilder zu kaufen ist die schönste Art zu spenden“) oder im Weinladen eines Freundes in Köln. Seit einem Jahr arbeitet sie auch als Schulbegleiterin und betreut ein Kind mit Autismus. „Es tut gut, jemanden helfen zu können.“

Die Angst der alten Damen: Del Carmen Dreesbachs Viertel sei ein ruhiger Seniorenkiez; alle kennen sich. „Als mein Bruder aus Panama bei mir wohnte, wollte eine ältere Dame die Polizei rufen. Sie dachte, ein Mann will meine Tochter entführen.“ Sechs Monate hielt es der Bruder in Brühl aus. Seine Schwester wollte ihm helfen, der Armut zu entkommen. Doch er konnte sich nicht „an die Mentalität der Menschen hier“ gewöhnen. Der Bruder ging zurück nach Panama, hat kleine Jobs und drei Kinder. Del Carmen Dreesbach spart, damit ein Neffe in Deutschland studieren kann, „um die Situation der Familie zu verbessern“. Sie fühle sich nicht verpflichtet, ihren Bruder zu unterstützen, sie will es. „Die Verhältnisse, in denen er lebt, machen mich traurig.“, sagt sie. „Wenn ich sterbe, musst du auf deinen Bruder aufpassen“, hatte der Vater gesagt und starb kurz danach.

Versöhnung: 2001 fuhr Del Carmen Dreesbach mit Mann und Töchtern nach Panama. Sie besuchte ihren Geburtsort, ihren Bruder und auch ihr SOS-Kinderdorf. Zu diesem Anlass wurde sie von einer Zeitung interviewt. „Das Schicksal wollte es, dass die Tochter unserer Pflegeeltern bei dieser Zeitung arbeitet.“ Sie entschuldigte sich für alles, was ihre Eltern Del Carmen Dreesbach und ihrem Bruder antaten. Die Geschichte wurde ohne Namen veröffentlicht.

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