piwik no script img

Was kann die große Koalition?

Union und SPD sondieren die Möglichkeiten einer großen Koalition. Schwarz-Rot wird die Arbeitswelt in Zukunft verändern. Zwölf Fragen und Antworten zum künftigen Jobmarkt

VON BARBARA DRIBBUSCH,HANNES KOCH UNDULRIKE WINKELMANN

1. Frage: Belebt sich unter einer neuen Regierung mit großer Koalition der Jobmarkt?

Schwer zu sagen. Die wirtschaftliche Entwicklung hängt von sehr vielen Faktoren ab, die politisch nur schwer beeinflusst werden können – wie etwa Dollarkurs und Ölpreis. Ob die Binnennachfrage anspringt, ist gleichfalls offen: Die Angst vor Sozialkürzungen könnte auch weiterhin dafür sorgen, dass die Menschen ihr Geld zusammenhalten und deswegen wenig kaufen.

Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg erwartet für dieses Jahr eine Zunahme bei der Erwerbstätigkeit von 150.000 Personen, das sind nur 0,4 Prozent mehr. Für die kommenden Jahre geht das IAB lediglich von einer Zunahme der Jobs für Höherqualifizierte aus, und zwar eher im Dienstleistungssektor. Leute ohne Ausbildung werden es auch in Zukunft schwer haben.

2. Frage: Investieren die Unternehmen mehr, weil die Union (mit-)regiert?

Nein. Aber die beiden großen Parteien zusammen werden die Steuersätze für Unternehmen senken. Das verringert die Kosten der Produktion in Deutschland und zieht Investitionen an. Das könnte auf mittel- und langfristige Sicht für neue Arbeitsplätze sorgen.

Die Pläne für die Steuersenkung sind bei beiden Parteien schon fertig: Beim so genannten Jobgipfel am 17. März 2005 vereinbarten Bundeskanzler Gerhard Schröder und die CDU-Vorsitzende Angela Merkel, dass die Körperschaftsteuer auf die Gewinne von Kapitalgesellschaften von heute 25 Prozent auf 19 Prozent sinken soll. Außerdem könnte die Union den Vorschlag machen, die Gewerbesteuer zu reduzieren. SPD und und Union sind sich im Übrigen mehr oder weniger einig, dass auch der Spitzensteuersatz für den Mittelstand – der heute noch bei 42 Prozent liegt – reduziert werden soll.

Alles in allem würden die Rahmenbedingungen für Firmen und ihre Gewinne dadurch verbessert.

Aber Vorsicht: Die Höhe der Unternehmensteuern sind nur eine Variable, die die Investitionstätigkeit bestimmen. Die Nachfrage der Konsumenten etwa könnte viel wichtiger sein.

3. Frage: Kaufen die Konsumenten mehr ein, weil Rot-Schwarz die Einkommensteuer senkt – und nimmt dadurch das Wachstum zu?

Nein. Eine weitere Reduzierung der Einkommensteuer wird kaum stattfinden – obwohl die Union das will. Der Staat ist dafür einfach zu pleite. Deshalb will die SPD ja auch die Steuerquote erhöhen und den Reichen eine Zusatzsteuer aufbrummen. Vermutlich werden beide Parteien ihre Forderungen gemeinsam versenken.

Möglich erscheint dagegen, dass die beiden sich einigen, die Mehrwertsteuer um ein Prozent anzuheben. Das belastet zwar die Nachfrage zusätzlich, könnte aber zur Reduzierung der Lohnnebenkosten in der Arbeitslosenversicherung verwendet werden. Erhoffter Effekt: eine Entlastung des Faktors Arbeit und eine größere Attraktivität für Firmen, Leute einzustellen.

4. Frage: Die CDU/CSU will bei den Beschäftigungsmaßnahmen der Bundesagentur für Arbeit kürzen. Wird das in einer Koalition mit der SPD überhaupt umgesetzt?

Die CDU hat im Wahlprogramm konkret angekündigt, die Ich-AGs auslaufen zu lassen. Neue Ich-AGs dürfte es also demnächst nicht mehr geben, zumal auch die SPD die Zugangsvoraussetzungen für diese Förderung schon verschärft hat. Aber auch die Union möchte keine kletternden Arbeitslosenzahlen – und wird deswegen wenigstens ein Minimum an Beschäftigungsgelegenheiten etwa durch Ein-Euro-Jobs anbieten wollen.

5. Frage: Die Union hat erklärt, für Geringverdiener Lohnzuschüsse einzuführen. Wird das kommen?

Die Idee mit den so genannten Kombilöhnen klingt zwar immer gut, ist aber teuer. Flächendeckende Lohnzuschüsse wird es schon aus finanziellen Gründen nicht geben, möglicherweise aber einzelne Maßnahmen und Modellversuche – wie bisher. Zudem wurden die Hinzuverdienstgrenzen für Arbeitslosengeld-II-Bezieher ja erst kürzlich mit einem Freibetrag von 100 Euro ausgeweitet.

6. Frage: Die CDU/CSU möchte, dass mehr Städte sich entscheiden, in eigener Regie Langzeitarbeitslose zu betreuen – und nicht mehr die Arbeitsagentur. Hat dieses Vorhaben Chancen in einer großen Koalition?

Ja, denn erst einmal kostet es nichts. In einer großen Koalition werden künftig möglicherweise noch mehr Kommunen als bisher die Langzeitarbeitslosen selbst betreuen. Viele Städte und Gemeinden haben allerdings daran kein Interesse und werden wohl bei den bisherigen Arbeitsgemeinschaften mit den Arbeitsagenturen bleiben.

7. Frage: Die Union möchte, dass langjährig Versicherte wieder länger Arbeitslosengeld I bekommen. Wird das kommen?

Auch die SPD wollte ja zuletzt die Bezugsdauer für das Arbeitslosengeld I für Ältere für einen Übergangszeitraum wieder verlängern. Inwieweit sich Union und SPD darüber einigen, ist vor allem eine Geldfrage. Um ihr Vorhaben zu finanzieren, möchte die Union nämlich für Beschäftigte, die erst wenige Jahre einen Job hatten, das Arbeitslosengeld I kürzen. Das aber wird die SPD wohl nicht mitmachen wollen. Hier ist ein Hickhack vorprogrammiert.

8. Frage: Die Union will den Kündigungsschutz einschränken. Wird es mit der SPD dazu einen Kompromiss geben?

Die CDU/CSU schlägt vor, den Kündigungsschutz erst ab Betrieben mit mehr als 20 Beschäftigten gelten zu lassen. Für Neueingestellte soll es in den ersten zwei Jahren gar keinen Kündigungsschutz geben, und jeder neu Beschäftigte soll sich im Vorhinein für eine Abfindung statt für den Kündigungsschutz entscheiden können. Doch für die SPD sind Arbeitnehmerrechte eine heilige Kuh. Wie dieser Punkt ausgehandelt wird, ohne dass jemand sein Gesicht verliert, wird spannend.

9. Frage: Die CDU/CSU will betriebliche Bündnisse unabhängig von den Tarifpartnern gestatten. Wird das durchkommen?

Könnten künftig, wie von der CDU geplant, Betriebsräte oder Belegschaften in Eigenregie Arbeitszeiten ohne Lohnausgleich verlängern oder die Entgelte absenken, dann wäre dies eine Abwertung von Tarifverhandlungen und damit eine Einschränkung der Macht der Gewerkschaften – aber auch der Arbeitgeberverbände. Auch die Arbeitgeber haben sich daher nicht einstimmig begeistert gezeigt über das CDU-Vorhaben. Ähnlich wie der Kündigungsschutz auch ist die Frage der Tarifautonomie ein Reizthema – wahrscheinlich werden beide Punkte in einer großen Koalition gemeinsam im Paket ausgehandelt.

10. Frage: Werden die steuerfreien Sonntags- und Nachtzuschläge für ArbeitnehmerInnen unter einer großen Koalition abgeschafft?

Die Union hat ja gemerkt, wie ihr dieser Vorschlag im Wahlkampf gedankt wurde. Sie wird ihn sich also von der SPD in Gegenleistung für etwas anderes abhandeln lassen. Vielleicht aber wird das Ende der Steuerfreiheit für Zuschläge auch in einer großen Steuerreform versteckt und mit Vergünstigungen an anderer Stelle wieder versüßt. Aber nicht so bald.

11. Frage: Kommt unter einer großen Koalition der Mindestlohn?

Unwahrscheinlich. Die SPD ist laut Wahlprogramm zwar für eine Ausweitung der tariflichen Mindestlöhne und auch gegebenenfalls für einen gesetzlichen Mindestlohn, die Union jedoch dagegen. Außerdem sind sich die Gewerkschaften uneins.

12. Frage: Die Rentenkassen sind knapp. Müssen wir bald länger arbeiten?

Weder die SPD noch die CDU haben in ihren Wahlprogrammen eine Erhöhung des Renteneintrittsalters von bisher 65 auf 67 Jahre gefordert – zu unpopulär. Allerdings kennen weder SPD noch CDU derzeit ein besseres Mittel, um das Loch in den Rentenkassen zu stopfen. Will man die Beiträge nicht erhöhen oder die Renten weiter senken, bleibt eigentlich nur eine Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters. Das wäre aber auch eine soziale Umschichtung. Denn damit müssten viele erwerbslose Ältere länger vom Arbeitslosengeld II leben, bis die Rente beginnt. Weil Arbeiter früher sterben, hätten sie noch weniger von ihrer Rente. Die Betriebe hätten ein Problem, denn die Arbeitsplätze sind bisher nicht auf Über-60-Jährige ausgerichtet.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen