: Generation Volksparteibuch
Nach der Bundestagswahl treten ungewöhnlich viele Jugendliche den Parteien bei. Ein sportiver Wahlkampf lockt eine apolitisierte Generation in die Politik, glaubt der Jugendforscher Hurrelmann
VON JOSEFINE FEHR
Die Jugendverbände der Parteien in NRW bekommen Zulauf: Seit der Bundestagswahl vor knapp zwei Wochen haben sich ungewöhnlich viele junge Leute bei Jungsozialisten, Junger Union, Jungen Liberalen oder Grüne Jugend angemeldet. Rund 200 Beitritte zählte allein die Junge Union, auch die NRW-SPD sprach von 150 bis 200 neuen Mitgliedern im Juso-Alter. Den Jungen Liberalen traten etwa 90 Jugendliche bei, bei der Grünen Jugend waren es 30. Die bisher unorganisierten Kreisverbände der WASG-Jugend gründeten nach der Wahl eine eigene Landesarbeitsgemeinschaft.
Ina Stratmann, Sprecherin der Jungen Union, bezeichnete den „ganz klar erhöhten Eintritt“ als höchst ungewöhnlich. Auch NRW-SPD-Sprecher Bernd Neuendorf sprach von einem sprunghaften Anstieg. Allerdings lägen noch keine genauen Daten darüber vor, wie alt die neuen Parteimitglieder sind: „In der Regel sind es aber meist junge Leute im Juso-Alter, die per Internet in die Partei eintreten“, sagte Neuendorf. Wie bei den anderen Organisationen sind die guten SPD-Zahlen auf Online-Eintritte zurück zu führen.
Klaus Hurrelmann, Sozial- und Gesundheitswissenschaftler an der Uni-Bielefeld und einer der Autoren der Shell-Jugendstudie 2002, hält die Entwicklung für bemerkenswert: „Die Bundestagswahl hatte eben einen sportiven Charakter“ – so sei wohl auch das Interesse an der Parteipolitik gestiegen. „Jugendliche brauchen so eine Aktionskomponente, um sich für Politik zu begeistern.“ Der Wettbewerb zwischen den beiden großen Parteien und die unklare Koalitions-Situation machen die politische Lage spannend.
Ungewöhnlich sind die Zahlen für den Jugendforscher deshalb, weil das Interesse von Jugendlichen an Parteien und Politik eigentlich seit Jahren abnehme, so Hurrelmann. „Das Verhalten könnte möglicherweise ein Vorbote einer Trendwende sein.“
Dass nun Jugendliche vermehrt in Parteien eintreten bedeute aber nicht unbedingt, dass sie sich verstärkt politisch engagieren wollen: „Für Jugendliche ist Politik Ausdruck von Lebensproblemen“, sagt Hurrelmann. Ein Parteieintritt sei für sie häufig eine Kosten-Nutzen-Rechnung, die Verbesserung der eigenen Lebenssituation stehe dabei im Vordergrund. So versprächen sich gerade bei CDU und FDP die Jugendlichen berufliche Kontakte durch ältere Mitglieder. Ein weiterer Grund für die steigenden Zahlen sei außerdem, dass sich Parteien verstärkt um Nachwuchs bemühen würden, so Hurrelmann.
Selbst die neue Linke, die WASG, fördert den Nachwuchs: „Die bisher eher unorganisierte Jugendarbeit soll nun strukturiert werden, um gemeinsame Aktionen zu starten“, sagt Nima Sorouri, Pressesprecher der LAG-Jugend der WASG-NRW. Dabei gehe es weniger um einen Zusammenschluss als vielmehr um gemeinsame Arbeit aller linken Jugendgruppen. Ziel sei es, eine „größtmögliche Einheit der Linken im Land“ zu erreichen.
Marcel Haftke, Landesvorsitzender der Jungen Liberalen, ist mit der Jugendarbeit seiner Partei, der FDP, zufrieden. Neben den Neuanmeldungen habe es auch viele Interessenten gegeben. Der Wettbewerb der Parteien sei dafür weniger entscheidend gewesen, glaubt Hafke. „Das konsequente Verhalten der FDP nach der Wahl und die Inhalte haben überzeugt.“ Schon während des Wahlkampfes hätten die Jungen Liberalen verstärkt Zulauf gehabt. Viele neue Mitglieder seien bereits vor der Wahl eingetreten.
Hans Christian Müller, Sprecher der Grünen Jugend NRW, möchte den Eintrittsboom nicht überbewerten: „Das nach den Wahlen verstärkt neue Mitglieder beitreten, ist eigentlich typisch“. Auch bei der Grünen Jugend startete der Mitgliederzuwachs bereits in den Wochen vor der Wahl. „Unsere Mitgliedszahlen steigen kontinuierlich“, sagt Müller. Nach den Bundestagswahlen 2002 habe die Grüne Jugend zudem mehr Neu-Anmeldungen gezählt als in diesem Jahr.
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