City-Toiletten: Es droht ein Griff ins Klo
Die Firma Wall profitierte von einem Werbedeal mit dem Senat – und Menschen mit Behinderung freuten sich über barrierefreie Toiletten. Das könnte sich ändern.
Mit einem dringenden Untenrumbedürfnis in der Stadt unterwegs zu sein, ist keine angenehme Erfahrung. Gut, dass es in Berlin nicht nur öffentliche Klos gibt, sondern auch unzählige gastronomische Einrichtungen, deren Betreiber meist ein Einsehen mit der oder dem Notleidenden haben.
Menschen mit körperlichen Einschränkungen, die im Rollstuhl sitzen oder am Rollator gehen, bleiben solche Alternativen oft verschlossen. Sie sind auf die barrierefreien „City-Toiletten“ angewiesen, die sie mit einem Spezialschlüssel kostenlos benutzen können – und um deren Qualität sie jetzt fürchten: VertreterInnen von Menschen mit Behinderung und Senioren haben den Senat aufgefordert, Berlins Toilettenmodell nicht aufs Spiel zu setzen. Jürgen Schneider, Landesbeauftragter für Menschen mit Behinderung, spricht sogar von „Panik“ unter Betroffenen.
Berlins öffentliche Toiletten sind schon seit einem Vierteljahrhundert mit dem Namen „Wall“ verbunden. Der Stadtmöblierer – lange bekannt als Wall AG unter Firmengründer Hans Wall, inzwischen als Wall GmbH ein Unternehmensteil des Werberiesen JCDecaux – hat Verträge mit Senat und Bezirken, die den Klobetrieb über einen Umweg zu gutem Geld machen: An die Bereitstellung der geräumigen Unisextoiletten ist die Lizenz zur Außenwerbung geknüpft – und nicht nur an den Hightechhäuschen selbst, sondern weiträumig über die Stadt verteilt, in beleuchteten „Poster-Vitrinen“, auf großen „Billboards“ oder Litfaßsäulen.
Zu gutes Geld für Wall?
Noch im rot-schwarzen Senat kam man darauf, dass das von Wall damit verdiente Geld vielleicht ein bisschen zu gut sein könnte. Welchen Gewinn das Unternehmen damit macht, teilt es nicht mit, für die Kritiker des Modells sprach das Bände. Als Konsequenz wurde das Geflecht aus Altverträgen zu Ende 2018 gekündigt, Klo und Kommerz wurden entflochten: Der Senat verkauft fortan einerseits die Werberechte (von einem höheren zweistelligen Millionenbetrag pro Jahr ist die Rede) und kauft andererseits die Dienstleistung „öffentliche Toiletten“.
Die Ausschreibung der Außenwerberechte wurde im Oktober 2016 veröffentlicht. „Leistungen in Form der Errichtung und des Betriebs von Brunnenanlagen, Toiletten u. ä. sind […] nicht zu erbringen“, heißt es darin. Ob sich die Wall GmbH trotzdem bewirbt, verrät sie nicht – bei einer Firma mit Sitz in Berlin und Produktionswerk in Velten ist aber davon auszugehen.
Auch die Ausschreibung der Toiletten soll in Kürze erfolgen. Und hierüber schlägt der Landesbehindertenbeauftragte die Hände über dem Kopf zusammen: Dass der Senat ein gut eingespieltes System mit durchweg intakten und hygienisch einwandfreien Anlagen aufs Spiel setze, sei nicht nachvollziehbar, sagt Jürgen Schneider. In den 80er Jahren hätten wenige, oft auch noch unbenutzbare Klos den Aktionsradius mobilitätseingeschränkter Menschen stark eingeschränkt. Weil beim Modell „Wall“ die lukrative Werbelizenz an die Toilettenqualität geknüpft wurde, sei alles anders geworden: „Ich habe noch in keiner anderen Großstadt gesehen, dass das so gut funktioniert“, so Schneider, „die Toiletten sind ein sichtbares Beispiel für gelungene Inklusion. Wir hatten gehofft, dass das Thema damit ein für allemal erledigt ist.“
Schlechter und dazu noch weniger?
Hinzu kommt die Sorge, dass auch der Bestand von rund 170 City-Toiletten schrumpft. Im Fall, dass die Wall GmbH sie ab 2019 nicht mehr betreibt, hat das Land ein Vorkaufsrecht für die Anlagen. Allerdings hatte schon die ehemalige Senatsverwaltung für Stadtentwicklung vor fast einem Jahr die Bezirke aufgefordert, wenig genutzte und somit möglicherweise verzichtbare Standorte zu benennen. Das Bezirksamt Mitte meldete prompt ein Dutzend Wall-Toiletten. Heute ist die inzwischen zuständige grüne Stadträtin Sabine Weißler gar nicht glücklich mit dieser Entscheidung. Die Diskussion sei für sie noch nicht abgeschlossen, sagt sie gegenüber der taz: „Ich möchte diese Infrastruktur sichern.“
Vor wenigen Tagen haben Jürgen Schneider und seine KollegInnen in den Bezirken zusammen mit dem Landesbeirat für Menschen mit Behinderung, dem Landesseniorenbeirat und der Landesseniorenvertretung einen Appell an den Senat geschickt: Sie bitten um ein „mindestens 2-jähriges Moratorium“ bei den Ausschreibungen. Rechtlich sei das möglich. In der so gewonnenen Zeit solle ein „unabhängiges Gutachten zur Koppelung von Werbung und Toilettenbetrieb“ erstellt werden.
In der Senatsverwaltung verstehe man die Sorgen, versichert Sprecher Matthias Tang. Deshalb würden Menschen mit Behinderung in die Erstellung eines künftigen „Toilettenkonzepts“ einbezogen, erste Treffen hätten stattgefunden. Am Ziel der Übung ändert das nichts: „Wir meinen, dass die Standorte und die Ausstattung der Toiletten nicht länger von den Interessen einer werbetreibenden Firma abhängig sein sollen, sondern von den Bedürfnissen der Berlinerinnen und Berliner“, so Tang. Mit 130 Millionen Euro im Nachtragshaushalt sei genügend Geld eingeplant – und zusätzlich könnten „Einnahmen aus der Außenwerbung herangezogen“ werden.
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