: Ein Gefühl für Qualität
KONZERTE Beim Milchsalon, der Veranstaltungsreihe für Kindermusik, tritt am Sonntag 3Berlin im Columbia Theater auf. Mit Freunden hat die Band vor Kurzem das Album „Nicht von schlechten Eltern“ veröffentlicht
von Sylvia Prahl
Über Geschmäcker lässt sich nicht streiten, heißt es so schön. Und Kindern bei der Herausbildung ihres Geschmacks unterstützend zur Seite zu stehen, ohne ihnen etwas aufzuzwingen, ist eine große Herausforderung. Ein Weg ist, Kindern ein Gefühl für Qualität zu vermitteln. In Sachen Musik können sich Eltern dabei an das Programm des 2011 von Patricia Parisi gegründeten Berliner Milchsalons halten. „Gute Kindermusik. Für alle“, heißt sein Motto. Und „gut“ bedeutet für Parisi vor allem gut gemacht, von Hand und mit Herz. Mit Texten, die auf die „Interessen eines Kindes von heute“ eingehen.
Die Mutter dreier Kinder wollte einen Gegenpol setzen zum Kirmes-Euro-Trash, mit dem fast jedes Kinderfest beschallt wird. Auslöser war der „Schnappi“-Song. „Ich konnte es nicht aushalten. Doch man kann Kindern erklären, dass solche Musik qualitativ Schrott ist, weil da niemand als Person dahinter steckt. Weil die Kinder dabei nicht ernst genommen werden, und zu ihnen gesprochen wird, als seien sie gehirnamputiert, können sie das auch nachvollziehen“, sagt Parisi.
Elementar für die 44-Jährige ist die Atmosphäre, in der Milchsalon-Konzerte stattfinden. Sie will Kindern das kleine „Einmaleins der Musikstile“ in Clubs beibringen – also genau dort, wo Kinder eigentlich noch nichts zu suchen haben. Da traf es sich gut, dass die Booking Agentur ihres Mannes, in der sie mitarbeitet, damals das Programm im Roten Salon der Volksbühne gestaltete. Die perfekte Band für den Auftakt ihrer „konspirativen Musikreihe“, bei der es von Punk zu Pop, von Ska zu Jazz und von Rock ’n’Roll zu HipHop alle Stile zu hören sind, war die Mukketier-Bande um Tom Reiss. Mastermind Reiss ist Bauer Anton, der mit seinen Tieren, die alle je einem Lieblings-Musikstil frönen – von Country über Klassik bis hin zu Surf-Musik –, auf Tour so manches Abenteuer erlebt. Drei Jahre später war die Bande von Kindern so heiß geliebt, dass der Milchsalon die Mukketier-Roadshow „Landauf, landab unterwegs“ 2014 im ausverkauften Heimathafen Neukölln auf die Bühne bringen konnte.
Auf weitere Künstler wie Robert Metcalf wurde Parisi bei ihren Recherchen aufmerksam, andere meldeten sich von selbst bei ihr, sogar die Ritter Rost Band machte im Milchsalon Station. Bands, die ihr nicht gefallen, lehnt sie ab. „Die Gratwanderung zwischen Quatsch und Qualität ist aber schwierig“, sagt Parisi.
Da passt das Motto „Quatsch mit Qualität“ der Kinderliedermacher-Band 3Berlin, deren weibliche Stimme die ehemalige Lemonbabies-Sängerin Diane Weigmann ist. 3Berlin haben andere Kinderliedermacher zusammengetrommelt, mit den einzelnen Künstlern Songs komponiert, die nun auf dem Album „Nicht von schlechten Eltern“ zu hören sind. Mit dabei ist auch Bauer Anton alias Tom Reiss, der Kindern verklickert, wann es angemessen ist, eine „Couchpotato“ zu sein, und wann nicht.
Auch die Liste der weiteren Kollaborateure liest sich wie ein Who’s who der Kindermusikszene: Der Köpenicker Autor und Musiker Kai Lüftner, der mit seinem „Rotz ’n’ Roll Radio“ Furore machte, steuert mit „Hamma Mama“ eine Hommage an alle mal nicht so konsequenten Mütter bei. Karolin Kretzschmar, die auf vielen Songs der charmanten „Eule findet den Beat“-Reihe zu hören ist, erklärt in „Mama sagt“, weshalb es sinnvoll ist, beim Kofferpacken auf die Wünsche der Tochter einzugehen. In „Schrubb Schrubb“ besingt ein übermütiger Bürger Lars Dietrich als Karius und Baktus in Personalunion den positiven Effekt des Zähneputzens. Und Flo Sump von der Hamburger HipHop-Crew Deine Freunde erklärt mit Digger-Pose, wie ein Beef am besten beigelegt werden kann: „Drüber lachen“. Schön, dass auch Volker Ludwig, Grandseigneur des linken Kinderlieds und Gründer des Grips-Theaters und „Ritter Rost“-Erfinder Felix Janosa sowie Vince Bahrt & Patrick Bach mit dabei sind. Mit „Einer fehlt immer“ ist ihnen ein Song gelungen, der sich behutsam mit dem Thema getrennte Eltern befasst.
„Nicht von schlechten Eltern“ ist ein seltenes Kunststück geglückt: Die musikalisch überzeugenden Songs kommen mit Texten daher, die Kindern auf Augenhöhe begegnen. Und auch wenn viele von ihnen ihre didaktisch-pädagogischen Beweggründe nur wenig verschleiern, biedern sie sich nicht an und bleibt der Spaß die Hauptsache.
Dem Konzert von 3Berlin und Freunden blickt Parisi mit einem lachenden und einem weinenden Auge entgegen. Sie freut sich auf das Projekt, doch die Tage im Columbia Theater sind leider gezählt, es wird das vorletzte Konzert an diesem Ort sein. Patricia Parisi, deren Vorliebe für den Style der 50er Jahre nicht zu übersehen ist – ihre kunstvoll drapierte Haartolle ist ein echter Hingucker – und die das Theater, ein ehemaliges Kino der Alliierten, liebevoll und stilecht mit ausgestattet hat, ist aber optimistisch, dass sie eine neue Location finden wird. „Ich glaube an die Idee und möchte darauf aufbauen“, sagt sie. Denn: „Es ist so schön, etwas für Kinder zu organisieren, sie sind unbestechlich. Wenn es ihnen gefällt, gehen sie ab, hüpfen im Publikum, oder sitzen auch mal ganz versonnen da. Und wenn es ihnen nicht gefällt, zeigen sie das unverhohlen. Sie sind wie ein Seismograf, entweder es hoppt oder es floppt.“
Vielleicht entsteht aus der Veranstaltungsreihe noch etwas anderes: ein Label, um mehr Künstlerinnen zu pushen. „Es ist nämlich nach wie vor eine Männerdomäne.“ Den ersten Schritt in diese Richtung hat sie bereits getan und mit „Milchsalon. Gute Kindermusik. Für alle. Vol. 1“ eine EP herausgebracht, auf der neben einem jazzigen Robert Metcalf und den Rockern von Radau und Randale auch zwei Songs von und mit Frauen vertreten sind: „Du willst mehr“ von Juliane Milde und mit „Schokolade“ ein Reggae-Schieber der Band Muckemacher, der an Klassiker wie „A Message to you Rudy“ gemahnt. Logisch, der Zusatz „für alle“ ist total eigennützig: Kinder sind die Zielgruppe, aber das Wohlergehen der Erwachsenen, die ihre Kinder begleiten müssen, sei es zum Konzert oder zu Hause an der Stereoanlage, ist ein Anliegen von Patricia Parisi und ihrem Milchsalon. „Es war meine perfide Idee, dass alle Spaß haben“, sagt sie augenzwinkernd.
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