: Jobverlust im Parlament
Angesichts von 2.000 wegbrechenden Industrie-Jobs werfen CDU, Grüne und FDP dem Senat miserable Standortpolitik vor. Rot-Rot beschuldigt raffgierige Unternehmen
Einig waren sich die fünf Fraktionen im Abgeordnetenhaus nur in einem Punkt: Über die 750 Entlassungen zum Jahresende im Samsung-Bildröhren-Werk in Oberschöneweide muss das Parlament diskutieren. Zu groß ist der Symbolwert dieser Kündigungen, zumal DaimlerChrysler, Siemens und Reemtsma gerade ähnliche Hiobsbotschaften verkündet haben. Groß war allerdings auch bei allen die Neigung, aus der Frage nach der richtigen Standortpolitik eine Wahlveranstaltung zu machen.
Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) wies CDU-Vorwürfe zurück, er und der Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linkspartei) hätten im vergangenen Jahr Gesprächsangebote des Samsung-Konzernchefs abgelehnt: „Da blitzt hier keiner ab, weder bei Herrn Wolf noch bei mir.“ Die wirtschaftspolitische Sprecherin der Grünen, Lisa Paus, hielt dagegen. Der Senat werbe viel zu wenig um Unternehmen. „Beinahe hätte nicht einmal ein Staatssekretär“ in den vergangenen drei Jahren die Zeit gefunden, um mit den Samsung-Chefs zu sprechen.
Die SPD gerierte sich sogar als Ankläger. Deren wirtschaftspolitischer Sprecher Günther Krug warf dem Elektronik-Riesen Raffgier vor: Nach „satten Gewinnen“ und Landesförderung müsse das koreanische Unternehmen seine Entscheidung rückgängig machen.
Insgesamt hat Samsung vom Land Berlin in den Jahren von 1994 bis 2000 umgerechnet 28 Millionen Euro Fördergelder bezogen. Öffentlichkeitswirksam hatte der Wirtschaftssenator vor wenigen Tagen angekündigt, zu prüfen, ob sich das Geld nun zurückfordern lasse. Doch das Unternehmen hat alle Förderbedingungen erfüllt – und erhält die Arbeitsplätze nicht einen Tag länger als vorgeschrieben. Dagegen ist der Senat machtlos. Umso hilfloser wirkte die Aufforderung von Wirtschaftssenator Wolf, „sich mit den Beschäftigten von Samsung zu solidarisieren“.
Und weil sich so leicht der Bogen vom einzelnen Unternehmen zur gesamten Senatspolitik spannen lässt, warf CDU-Fraktionschef Nicolas Zimmer Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) und Wowereit ganz allgemein „Arroganz, Dümmlichkeit und Ignoranz“ vor. Auch seien die Bedingungen für Finanzhilfen an Samsung „ganz offensichtlich nicht optimal ausgehandelt“, sagte Zimmer. Dabei vergaß er jedoch, dass für diese Bedingungen einst eine CDU-SPD-Koalition verantwortlich zeichnete.
Die FDP schwenkte auf die CDU-Kritik am Senat ein. Dass bei Samsung, Siemens, dem Tabakkonzern Reemtsma und im DaimlerChrysler-Werk in Marienfelde insgesamt rund 2.000 Arbeitsplätze wegbrechen, verantwortete die Landesregierung, betonten Zimmer und FDP-Fraktionschef Martin Lindner. Doch sein Rundumschlag traf auch die Bundesregierung. Nur wenige Atemzüge nach der Senats-Schelte warf er Rot-Grün vor, deren Tabaksteuererhöhungen seien Schuld am Reemtsma-Stellenabbau. Und weniger geraucht würde deswegen auch nicht.
MATTHIAS LOHRE
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