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Nicht ohne ihren Willen

Sozialarbeit Das Hamburger Projekt „Kurswechsel“ will Ausstiegswilligen entgegenkommen, ohne ihnen nachzulaufen. Doch was tun, wenn das Unrechtsbewusstsein sinkt?

Ausstiegsprojekte

Im „Nordverbund Ausstieg Rechts“ haben sich verschiedene zivilgesellschaftliche Projekte verbunden, die über Ländergrenzen hinweg zusammenarbeiten. Ein spezielles Angebot gibt es zudem für Funktionäre der rechten Szene, es wird von Arbeitsstelle Rechtsextremismus und Gewalt (Arug) aus Braunschweig organisiert.

Niedersachen: „TIP – Teilnehmen, Integrieren, Partizipieren!“. Das Zentrum für demokratische Kultur in Wolfsburg und die Arbeitsstelle Rechtsextremismus und Gewalt bietet unter diesem Label Hilfe zum Ausstieg an. Kontakt: www.arug.de

Hamburg: „Kurswechsel“. Wird vom Christlichen Jugenddorfwerk Deutschlands finanziert. Kontakt: www.kurswechsel-hamburg.de

Schleswig-Holstein: „Weg von Rechts!“ Kontakt: www.weg-von-rechts.de

Bremen: „Reset – Vaja e. V.“ Der Verein richtet sich vorrangig an junge Menschen und hat einen besonderen Schwerpunkt auf Mädchen und Frauen gelegt. Kontakt: www.vaja-bremen.de

Mecklenburg-Vorpommern: „JUMP!“. Kontakt: www.projekt-jump.de

Die Formulierung lautet: Sie laufen möglichen Ausstiegsinteressierten nicht hinterher, aber sie kommen ihnen entgegen. „Wir suchen sie auf, wenn sie es wollen“, sagt Sozialarbeiter Fabian Kaufmann vom Projekt „Kurswechsel – Ausstiegsarbeit rechts“. An einen Infostand der NPD würden sie kein Parteimitglied oder Anhänger ansprechen. „In diesen Situationen wäre eine versuchte Kontaktaufnahme kontraproduktiv“, sagt Kaufmann.

Im Norden versuchen verschiedene Projekte, den Ausstieg aus der rechten Szene zu ermöglichen. Seit 2014 bemühen sich zwei Mitarbeiter von „Kurswechsel“, das beim CJD (Christliches Jugenddorfwerk Deutschlands e. V.) Nord in Hamburg angesiedelt ist, rechtsextreme Jugendliche und Ressentimentgeladene Erwachsene zum Umdenken zu bewegen. „Wenn sie es wünschen“, sagt Kaufmann.

Die Wille, sich aus der Szene und ihrem Denken zu lösen, ist eine der Bedingungen, um zu „Kurswechsel“ zu kommen. Eine weitere: Hoffnungen auf eine bevorzugte Behandlung sollten fallengelassen werden. „Wir begleiten auch Rechtsorientierte, die in Haft sind“, erklärt Kaufmann. Doch die Begleitung durch das Ausstiegsprojekt sei noch kein Grund für eine Haft­erleichterung oder gar frühzeitige Entlassung.

Bei „Kurswechsel“ arbeiten sie eng mit Institutionen der Jugendhilfe zusammen. „Signalgeber“ machen sie auf Jugendliche aufmerksam, die mit rechten Sprüchen, Web-Posts, Musik und/oder Modemarken auffallen. Meist beginnt dann eine Beratung bei der überlegt wird, wie der rechtsorientierte Jugendliche angesprochen werden sollte. Dann werde geschaut, inwieweit der Betreffende bereit sei, sich zu hinterfragen, sagt Kaufmann: „Ohne Selbstimpuls keine Begleitung“, das sei ihm wichtig. Wie die Beratungen en détail aussehen, möchte er nicht verraten, denn Anonymität und Vertraulichkeit seien Grundvoraussetzungen ihrer Tätigkeit.

Im „Sozialraum“ des Rechtsorientierten würden sie sich zu den ersten Gesprächen treffen, sagt Sozialarbeiter Kaufmann. Das kann ein Einkaufszentrum, ein Kioskeck oder ein Sportverein sein. In einer systemischen Beratung würde sie mit dem geneigten Aussteiger dessen Familiengeschichte durchgehen, um zu sehen, welche Motive ihn dazu bewegten, in die rechte Szene zu gehen. Diese Interessenlage werde versucht, für einen neuen Weg nutzbar zu machen.

Wichtig sei, ein Alternativangebot zu finden, das den potenziellen Aussteiger ein ähnliches Gefühl der Intensität gibt. Vor allem müsste ein neues soziales Umfeld gefunden werden, entweder über einen Sportverein oder über ein anderes Hobby.

So ein Umdenken gehe nicht von jetzt auf gleich, sagt Kaufmann. Zum Glück sei „Kurswechsel“ voll ausfinanziert: „Dadurch haben wir Zeit, die Menschen so lange zu begleiten, wie es seien muss.“ Wobei begleiten auch heißen kann, beim Entfernen von einschlägigen Tattoos zu helfen.

Doch wie sollen sich ausstiegswillige Rechtsextreme mit den eigenen Ressentiments auseinandersetzen, wenn in der Mitte der Gesellschaft die Grenzen zur gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit längst überschritten werden? Die Menschenverachtung im eigenen Denken zu erkennen, zu erwarten, dass man sich selbst hinterfragt, während viele anderen so reden, sei eine neue Situation, sagt Kaufmann. Im Netz würden Hate Speak und Echoräume rechtsextreme Jugendliche in ihrem rechten Denken bestärken. Die gestiegene Zahl der Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte vermittle das Gefühl gesellschaftlichen Zuspruchs.

In Hamburg hat sich bis zum heutigen Tag kein Funktionär der NPD an „Kurswechsel“ gewendet. „Erwarten wir auch nicht, hier ist der gesellschaftliche Druck gegen Rechtsextremismus so groß, dass die, die fest in der Szene sind, auch äußert fest verankert sind“, sagt Kaufmann.

Dafür kommen manchmal Leute zu ihnen, die gar nicht ins extremistische Schema passen. „Eine Mitte-50-Jährige hat sich an uns gewandt. Sie dachte eigentlich nicht, rechte Einstellungsmuster zu haben und war dann über die eigenen Aussagen so erschrocken, dass sie sich bei uns gemeldet hat“, sagt Kaufmann. Ein mutiger Schritt, den andere ruhig auch wagen sollten. Andreas Speit

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