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Hüterin der Charta

Nato Das von Trump als veraltet kritisierte Militärbündnis wird wieder wichtiger werden – als Instrument eines aufgeklärten Westens

privat
Ulrich Franke

Jahrgang 1977, lehrt Politikwissenschaft an der Universität Bremen. ­­2010 erschien von ihm „Die Nato nach 1989: Das Rätsel ihres Fortbestandes“ im VS Verlag für Sozialwissenschaften.

von Ulrich Franke

Stark wird sie also sein, Donald Trumps Unterstützung der Nato. Zumindest teilte dies der neue Mann im Weißen Haus kürzlich dem Generalsekretär des westlichen Militärbündnisses und der US-Armeeführung mit. Dass der frisch vereidigte US-Präsident sogar „zu einhundert Prozent“ hinter der Nato stehe, hatte Ende Januar bereits die britische Premierministerin verlauten lassen. Auch Trumps jüngste Äußerungen zum Thema bleiben damit innerhalb der Bandbreite seines Interviews mit der Bild-Zeitung und der Londoner Times. Darin hatte der neue US-Präsident nur wenige Tage vor seinem Amtsantritt gesagt, er halte die Nato für wichtig und veraltet zugleich.

Diese Worte stellen einen massiven Einschnitt dar. Sie haben ein Ende der Nato über Nacht vorstellbar, wenn nicht zu einer politischen Option gemacht. Bislang hatte dieses Vorhaben hierzulande und in weiten Teilen der übrigen westlichen Welt höchstens auf der Agenda von Linken, Grünen (sofern in der Opposition) und ganz Rechten gestanden. Dass ein Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika deren Geschäft betreibt, ist neu.

Das amerikanische Experiment

Mit der Wahl des erratischen Unternehmers Trump hat sich der US-amerikanische Souverän zu einem Experiment mit der Zuverlässigkeit der In­stitutionen seines politischen Systems

aufgeschwungen. Auch die Außenpolitik bleibt davon nicht verschont. Damit kann sich diesem Experiment niemand mehr entziehen, denn im Falle Washingtons bedeutet Außenpolitik seit dem Eintritt in den Ersten Weltkrieg im April vor hundert Jahren immer auch Weltpolitik.

Bei der Durchsetzung ihres weltweiten Führungsanspruchs stützt sich die US-Regierung seit bald sieben Jahrzehnten auf die Nato. Trumps Volten lenken die Aufmerksamkeit nun aber auf eine Frage, die seit der Selbst­auf­lösung der Sowjetunion nicht mehr in dieser Dringlichkeit gestellt worden ist: Warum besteht die Nato überhaupt noch?

Innerhalb der Politikwissenschaft kursieren dazu vielfältige Antworten. Die Nato habe mit der Sowjetunion als Hauptgegner ihren Daseinszweck verloren und existiere ohnehin nur noch auf dem Papier, erklären die einen. ­Andere verweisen dagegen auf die Rückkehr dieses Gegners durch das Russland Putins, den Aufstieg Chinas oder beides zugleich. Darüber hinaus wird, ganz entgegen Trumps Rechnung, argumentiert, dass die Nato ihren Mitgliedern noch immer mehr nutze, als sie diese koste, und es stets effizienter sei, auf be­stehende Institutionen zurückzugreifen, als neue zu schaffen.

Schließlich wird das Transatlantische Bündnis gern auch als politisches Fundament der militärischen Zusammenarbeit zwischen den USA und ihren europäischen Verbündeten verstanden, als Ausdruck einer gemeinsamen westlichen Identität auf Basis von Demokratie, Kapitalismus und Menschenrechten.

Seltsam unterbelichtet bleibt dabei, dass der Daseinszweck der Nato von Anfang an eng verwoben ist mit dem größten zwischenstaatlichen Instrument zur globalen Neuordnung nach dem Zweiten Weltkrieg – den Vereinten Nationen. Beide Organisationen wurzeln in der Atlantikcharta, die US-Präsident Roosevelt und der britische Premier Churchill im August 1941 unterzeichneten. Im Nordatlantikvertrag von 1949 machen die zwölf Nato-Gründungsmitglieder jedoch deutlich, dass sie sich als Avantgarde der Vereinten Nationen sehen. Sie erneuern nicht nur die transatlantische Krisengemeinschaft der beiden Weltkriege, sondern geben auch zu verstehen, die Prinzipien der im Oktober 1945 in Kraft getretenen Charta der Vereinten Nationen effektiver verwirklichen zu können, gegebenenfalls auch ohne die Legitimation des Weltsicherheitsrats.

Schon im Nordatlantikvertrag angelegt ist somit ein höchst spannungsgeladenes, ambivalentes Verhältnis zwischen den beiden Organisationen. Infolgedessen tritt die Nato immer wieder in Konkurrenz zu den Vereinten Nationen und fungiert, wie im Kosovokrieg (1999), als sich selbst ermächtigender Hüter deren Charta.

Die Protektion der ­Vereinten Nationen wiegt schwerer als die Launen eines Präsidenten

Von Generation zu Generation ist diese Überzeugung innerhalb des Transatlantischen Bündnisses weitergegeben worden. Warum also sich nach Trumps Amtsantritt um die Zukunft der Nato sorgen? Als Daseinszweck des Bündnisses wiegen Protektion und Bevormundung der Vereinten Nationen weit schwerer als die Launen eines Präsidenten.

Neue Unübersichtlichkeit

Kurzfristig dürften Trumps wechselhafte Einlassungen daher wohl vor allem darauf hinauslaufen, dass die Verbündeten die 2002 vereinbarten 2 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung für Verteidigung ausgeben. Um dieser Forderung Nachdruck zu verleihen, zeigt sich der US-Präsident mal drohend, mal verständnisvoll: heute „alte Allianzen stärken“, morgen „neue schaffen“; heute zu „einhundert Prozent“ hinter der Nato, gestern zu „tausend Prozent“ hinter der CIA – und morgen zu wie viel Prozent auch immer hinter Putin. Aus dieser vom Weißen Haus geschürten Unübersichtlichkeit sollen die Bündnispartner den Schluss ziehen, dass sie einem Veralten der Nato am wirksamsten begegnen, indem sie ihre Militäretats kräftig erhöhen.

Auf längere Sicht indes ist das vordringlichste Problem der Nato mit ihren inzwischen 28 Mitgliedern ein anderes. Die Bereitschaft, die Vorreiterrolle des Westens in und gegenüber den Vereinten Nationen hinzunehmen, schwindet in der immer rascher an Bedeutung gewinnenden außerwestlichen Welt zusehends. In dieser brisanten Konstellation hat Trump nicht mehr zu bieten als das schale Pathos seines „America First“. Den globalen Ansehensverlust des Westens wird er damit nicht aufhalten, sondern beschleunigen.

Somit kommt den Partnern der USA die Aufgabe zu, die Nato unter Trump endlich zum Instrument eines über sich selbst aufgeklärten Westens zu machen, der im Dienste der Vereinten Nationen deren Charta zu universeller Geltung verhilft – gleichberechtigt und in kollegialem Verbund mit den Vertretern aller anderen Weltregionen. Nur wenn dies gelingt, bringt das von Trump heraufbeschworene neue Nachdenken über die wichtige, veraltete Nato etwas Gutes.

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