Portrait: Die Rabenmutter
Satirisch sollen sie gewesen sein, die Fragen der Landeszeitung Lüneburg (LZ) an Andrea Henkel. Die ist Vize-Vorsitzende der Linksfraktion im Stadtrat Lüneburg und musste sich von der LZ fragen lassen, ob „eine abendliche Ratssitzung der richtige Ort für einen Säugling ist?“
Henkels Ehemann David Amri und Vater der beiden gemeinsamen Kinder sitzt ebenfalls für Die Linke im Stadtrat. Aber ihn fragte keiner. „Typisch“, sagt Henkel, die im Januar in einer, wie sie sagt, „verheerenden Diskussion“ im Rat als Rabenmutter hingestellt worden sei.
Henkel und Amri wurden 2016 in den Lüneburger Rat gewählt: „Wir haben damit nicht gerechnet und uns gefragt, wie wir das organisieren können – das Baby war da erst drei Monate alt und noch nie in Fremdbetreuung“, sagt Henkel. Also kam es mit in die Ratssitzungen: „Das Baby ist ruhig und pflegeleicht, und beim kleinsten Geräusch sind wir raus gegangen.“
Ausschließlich positiv seien die Reaktionen der Ratsmitglieder gewesen, auch am Stillen habe sich niemand gestört. „Aber dann kam eine Sitzung im Dezember, die viereinhalb Stunden dauerte“ – anderthalb Stunden länger als vorgeschrieben. Darüber beschwerte Henkel sich: „Die Reaktion war völlige Verständnislosigkeit“, sagt sie. Der Oberbürgermeister habe ihren Unmut als „privates Problem“ bezeichnet „und die Sozialdezernentin sagte, sie habe ja schon eher gedacht, das Kind würde sicher leiden – als Leiterin des Jugendamtes würde sie solche Fälle kennen“.
Und dann kam die LZ, die unter anderem wissen wollte: „Sollten Ratsmitglieder auch ihre pflegebedürftigen Angehörigen mit in die Ratssitzung bringen dürfen?“ Henkel war empört, der Ratsvorsitzende wandte sich wegen „unangebrachter Fragen“ an die LZ – und deren Lokalchef dichtete die Fragen im Nachhinein zu Satire um: „Der Reporter hat in keinster Weise den Eindruck gemacht, als seien seine Fragen satirisch“, sagt Henkel.
Schlimmer noch seien die Kommentare „von oberster Stelle im Rat“ gewesen: „Da wurde uns Kindeswohlgefährdung vorgeworfen“, sagt Henkel. Bis April ist sie jetzt mit ihrer Familie in Chile, „und bevor ich in diesen Stadtrat zurückkehre, muss ernsthaft über Gleichstellung und Partizipation gesprochen werden.“ schn
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